Start der autofreien Zone in Ottensen: Raum zum Sein
In Ottensen müssen sich die Menschen erst noch daran gewöhnen, dass die Straßen im Ortskern seit Sonntag den Fußgänger- und RadfahrerInnen gehören.
Dafür verirren sich immer wieder trotz der neuen Schilder und gelben Markierungen Autos und LieferantInnen in die neue FußgängerInnenzone – auch ohne die erforderliche Ausnahmegenehmigung. Am Dienstagmittag waren zwei Polizisten unterwegs, um sie aus dem Ortskern zu verbannen.
Ausnahmen gelten hier seit Sonntag nur für Krankentransporte, Taxen und MarkthändlerInnen. Lieferfahrzeuge dürfen zwischen 23 und 11 Uhr fahren, AnwohnerInnen und Gewerbetreibende brauchen eine Sondergenehmigung. Das hatte im Vorfeld für Diskussionen gesorgt.
Wer alt oder krank sei, könne eben nicht mit dem Fahrrad fahren, sagt der Ottenser Klaus Knebel: „Anwohnerparken müsste weiter erlaubt sein.“
Der Ortskern von Ottensen ist von September bis Februar für Autos gesperrt.
Autofrei sind die Ottenser Hauptstraße bis zur Mottenburger Straße, die Bahrenfelder Straße zwischen Alma-Wartenberg-Platz und Klausstraße sowie Teile der Großen Rainstraße und der Erzberger Straße.
Am Sonntag wurde die Zone mit einem Straßenfest eröffnet.
Eine Ausnahmegenehmigung bekämen AnwohnerInnen problemlos, wenn sie einen privaten Stellplatz haben, teilte das Bezirksamt Altona auf Anfrage der taz mit. Mittlerweile sei der überwiegende Teil der Genehmigungen den AntragstellerInnen zugegangen. Alle anderen könnten für den Projektzeitraum günstigere Dauerstellplätze in den umliegenden Parkhäusern mieten.
163 Parkplätze sind für das Projekt weggefallen. Das fällt im Viertel auf. Ohne die sonst überall parkenden Autos ist hier viel Raum. Doch nicht allen gefällt die Leere: „Das sind Geisterstraßen“, sagt Daniela Scholl, Inhaberin eines Blumenladens an der Bahrenfelder Straße.
Die Floristin schlägt Begrünungen und Bänke für die autofreie Zone vor. Dafür erscheint der vom Bezirk Altona gewählte Projektzeitraum von September bis Februar allerdings ungünstig. Im Sommer gäbe es wohl mehr Möglichkeiten – und mehr Menschen, die sich auf der Straße aufhalten wollen.
Ob ihr Geschäft unter der neuen FußgängerInnenzone leiden werde, will Scholl noch nicht abschätzen. Das zeige sich in der Vorweihnachtszeit. „Wenn es im November und Dezember nicht läuft, haben viele von uns Gewerbetreibenden ein Problem.“ Sie will aber nicht ausschließen, dass sich das Experiment am Ende positiv auswirkt.
Wie viele OttenserInnen sieht sie den nächsten Monaten mit gemischten Gefühlen entgegen. Ob auf der Straße oder auf dem Markt zwischen Käse- und Gemüsestand: Das Thema ist überall. „Als Nicht-Autofahrerin freue ich mich, und für Kinder ist es gut“, sagt Marktbesucherin Miriam Böckeler. Sie sehe aber auch die verstopften umliegenden Straßen. „Die Frage ist, ob es sinnvoll ist, den Verkehr so zu verlagern“, sagt Böckeler.
Tatsächlich gibt es an den Eingängen in die neue Zone immer wieder Chaos, wie an der Kreuzung der Bahrenfelder Straße und der Klausstraße. Wer trotz des neuen Verbots in die Zone gefahren ist, muss rückwärts fahren und mitten auf der Kreuzung wenden. Dahinter bilden sich lange Schlangen.
Die Verkehrsdaten untersucht während des Projekts die Technische Universität Hamburg. Für die wissenschaftliche Auswertung befragen Studierende die AnliegerInnen. Von ihren Ergebnissen hängt unter anderem ab, ob der Bezirk das Testgebiet noch um zwei weitere Straßenabschnitte erweitert. Ob das Experiment weitergeht, entscheidet sich im Februar. Dann könnte Ottensen dauerhaft eine größere FußgängerInnenzone bekommen – und ein Vorbild für weitere Stadtviertel sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen