Stallbrände in Norddeutschland: Die gesengte Sau
Offizielle Stellen erfassen nicht, wie oft es in Niedersachsen und Schleswig-Holstein zu Stallbränden kommt. Die Opposition fordert schärfere Regeln.
Den Tierschützern graut es bei der Vorstellung: Das Brandschutzsystem sei „aus Sicht von Fachleuten unzureichend“, sagt Pro Vieh, eine Brandmeldeanlage werde laut Bauantrag als nicht erforderlich angesehen. Voß-Hagen, von der taz um Kommentierung gebeten, schweigt.
Dabei ist Brandschutz in Ställen kein Nischenthema. Rund alle zwei Stunden geht in Deutschland ein Tierstall in Flammen auf, rein rechnerisch. 5.000 Brände erfasst der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Berlin, pro Jahr. „Ein großes Problem sind dabei korrosive Gase wie Ammoniak, die von den Tieren ausgestoßen werden“, sagt ein Sprecher des GDV. „Sie können Bauteile der Elektroinstallation angreifen, „wodurch Brände etwa aufgrund von Kurzschlüssen entstehen können“. Bislang sei häufig nicht festgelegt, wie oft die Inhaber der Ställe ihre Anlagen prüfen lassen müssen.
Der GDV plädiert für kleinere Ställe. „Rein brandschutztechnisch wird es nicht zu schaffen sein, jedes Tierleben zu schützen“, schränkt er ein. Es sei aber „eine Debatte nötig, wie viel Verlust gesellschaftlich akzeptabel ist und welche Brandschutzmaßnahmen dafür notwendig sind“.
Auch Stefan Stein vom Tierschutz-„Team Stallbrände“ hat Zahlen in „horrenden Dimensionen“ zusammengetragen: Allein 2021 seien knapp 153.000 Tiere getötet und 433 Menschen verletzt oder getötet worden, schreibt er in einem offenen Brief an die Politik.
Die Frühjahrs-Agrarministerkonferenz (AMK) hat Anfang April einen Bericht „begrüßt“, der sich mit Brandvorbeugung, Brandbekämpfung und Tierrettung befasst, das Thema aber im Übrigen auf den Herbst vertagt. Die Bau- und Innenministerkonferenz sei zu fragen, ob ein präventiver Brandschutz bundesrechtlich geregelt werden könne.
Bund und Länder schöben sich gegenseitig die Verantwortung zu, kritisiert Claudia Preuß-Ueberschär, Sprecherin des Tierschutznetzwerks „Kräfte bündeln“. Das Netzwerk fordert, „angesichts des schleppenden Prozesses bis zur gesetzlichen Festschreibung von Brandschutz- und Havariekonzepten einen sofortigen Bau- und Genehmigungsstopp für agrarindustrielle Tierhaltungsanlagen“.
Wer fragt, wie oft es in Norddeutschlands Ställen brennt, wie viele Tiere dabei sterben und was die Brände verursacht, stößt schnell an Grenzen – auch in Schleswig-Holstein. „Für das Thema ‚Brandschutz‘ ist das Innenministerium zuständig“, bescheidet Jana Ohlhoff, Sprecherin des Landwirtschaftsministeriums.
Doch dort ist nichts zu holen. „Daten zu Stallbränden werden nicht zentral erfasst“, sagt Tim Radtke, Sprecher des Innenministeriums. Auch Christian Böse, Sprecher des Statistischen Amts für Hamburg und Schleswig-Holstein, teilt mit, dass „keine Daten zum Thema Brände, Brandursachen o.ä. erfasst werden“. Er empfehle, die Feuerwehr zu fragen.
Ähnlich in Niedersachsen: Man möge sich an das Landeskriminalamt (LKA) wenden, sagt Alexandra Schönfeld, Sprecherin des Landwirtschaftsministeriums. Konkrete Fallzahlen können auch die LKA-Sprecher Simon Ebbertz und Philipp Hasse nicht bieten. Die Zahlen für Brände von „Ställen, Scheunen oder Schuppen“ lägen seit 2018 „jeweils im unteren dreistelligen Bereich“ – erfasst ist hier aber nur strafrechtlich Relevantes, kein technischer Defekt. Zu geschädigten oder getöteten Tieren gebe es bei der Vorgangserfassung kein Pflichtfeld. Die Zahl der fahrlässigen Brandstiftungen habe seit 2018 „durchgehend im mittleren zweistelligen Bereich“ gelegen, die der vorsätzlichen 2018 bis 2020 „im niedrigen dreistelligen“.
Grüne in Niedersachsen frustriert
Niedersachsens Landesamt für Statistik muss gleich ganz passen. Daten zu Stallbränden würden „leider nicht erhoben“, sagt Sprecherin Konstanze Uteg. Möglicherweise könne das Innenministerium weiterhelfen, die Bundespolizei.
Stall-Brandschutz ist in Niedersachsen und Schleswig-Holstein kein rechtsfreier Raum, von der Landesbauordnung bis zur Nutztierhaltungsverordnung. Die Opposition sieht allerdings Schärfungsbedarf.
Miriam Staudte, Vize-Fraktionsvorsitzende der Grünen im von CDU und SPD beherrschten Landtag Niedersachsen, zeigt sich auf taz-Anfrage frustriert, dass „unser Antrag zu Stallbränden in dieser Wahlperiode nicht mehr beschlossen wird“.
Tierschutzrecht lückenhaft
Der Antrag ist schon von Mitte 2021. Einer seiner zentralen Sätze: „Die häufigen und oftmals verheerenden Brände in großen Tierhaltungsanlagen zeigen die erheblichen Schwierigkeiten dieser Anlagen mit Blick auf bauliche und präventive Brandschutzvorkehrungen auf.“
Die Liste der Forderungen der Grünen ist lang: von automatischen Brandmeldeanlagen mit Rufweiterleitung an die Einsatzleitstelle über die erhöhte Feuerwiderstandsdauer für alle tragenden und aussteifenden Bauteile bis zu automatisch auslösenden Fluchttüren und zur Prüfung aller elektrischen Anlagen durch Sachverständige alle zwei Jahre.
Auch Sandra Redmann, landwirtschaftspolitische Sprecherin der Landtagsfraktion der SPD im durch CDU und Grüne geführten Schleswig-Holstein, sieht Handlungsbedarf: „Leider fehlen im geltenden Tierschutzrecht hinreichend konkrete Anforderungen zu Sicherheitsvorkehrungen im Falle technischer Störungen und im Brandfall“, sagt sie. „Zudem verhindert die Bauweise großer Ställe oft die Rettung von Tieren.“
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