Städtebauer wird chinesischer Premier: Die Arbeit an der Gesellschaftskluft

Chinas Premierminister Li Keqiang soll dem Land zu einem neuen Wachstumsmodell verhelfen. Sein Rezept: Mehr Urbanisierung und sozialer Ausgleich.

Der neue chinesische Premierminister verspricht noch mehr Investitionen in die Bildung, die Gesundheitsversorgung und den sozialen Wohnungsbau. Bild: dpa

PEKING taz | Mit nur sechs Enthaltungen und drei Gegenstimmen haben die knapp 3.000 Delegierten des Nationalen Volkskongresses den 57-jährigen Li Keqiang am Freitag zu Chinas neuen Premierminister gewählt. Seine Wahl zum Regierungschef der Volksrepublik hatte ein enger Führungszirkel innerhalb der KP-Führung schon vorher unter sich ausgemacht. Sie war nur noch Formsache.

Und doch ist Li einer der wenigen, der nicht an die Regierungsspitze kommt, weil er über beste familiäre Beziehungen innerhalb der Pekinger KP-Elite verfügt – wie etwa das neue Staatsoberhaupt Xi Jinping, der am Donnerstag inthronisiert wurde. Auch in den internen Fraktionskämpfen gilt Li als wenig vorbelastet. Auf ihn konnten sich alle Seiten vor allem aufgrund seines Programms einigen.

Schon als Doktorand hatte sich der studierte Jurist und Ökonom intensiv mit der Frage beschäftigt, wie die schon damals existierende Kluft in China zwischen den reicheren Menschen in der Stadt und den ärmeren auf dem Land geschlossen werden könnte.

Inzwischen ist das Gefälle sehr viel größer geworden, eines der größten auf der ganzen Welt. Lis Rezept: Damit die Landbevölkerung über einen ähnlichen Wohlstand verfügt wie der Mittelstand in der Stadt, muss ein Großteil der Menschen auf dem Land verstädtert werden. Und weil viele chinesische Großstädte bereits übervölkert sind, müssen eben neue gebaut werden.

Dieses Programm ist keine Erfindung von Li. Und auch sein Vorgänger, der nun abgetretene Wen Jiabao, hatte mit der Urbanisierung bereits begonnen. Seit Jahren werden landesweit neue Städte aus dem Boden gestampft. Doch von Li wird nun erwartet, dass er dieses Konzept in den nächsten zehn Jahren auch im sozialen Bereich umsetzt.

„Wir müssen den Schwerpunkt der Regierungsarbeit auf das Wohlergehen aller Menschen lenken, besonders das der Menschen auf dem Land“, hat er erst vergangene Woche wieder betont. Er versprach noch mehr Investitionen in die Bildung, die Gesundheitsversorgung und den sozialen Wohnungsbau.

Tatsächlich muss Chinas neuer Regierungschef schon schnell Erfolge vorweisen. Denn nach zwei Jahrzehnten fast durchgängig zweistelliger Wachstumsraten gerät der Motor der inzwischen zweitgrößten Volkswirtschaft ins Stottern. Exportindustrie und staatliche Großinvestitionen allein genügen nicht mehr, Chinas Wohlstand auszuweiten.

Die KP-Kader erwarten, dass Li der Volksrepublik zu einem neuen Wachstumsmodell verhilft, das stabiler, ausgewogener und nachhaltiger ist. „Die Führung weiß, dass die Markwirtschaft zwar große Erfolge brachte, aber auch viele Schwachstellen“, sagt der ehemalige Weltbank-Ökonom Yukon Huang. Diese Schwachstellen soll Li nun beseitigen.

Li hat Erfahrung. Als Vizepremier wirkte er bereits maßgeblich an der Gesundheitsreform mit, die dafür sorgte, dass allein in den vergangenen drei Jahren 172 Millionen Menschen eine Krankenversicherung erhielten. Doch Li war von 1998 bis 2003 als Gouverneur der Provinz Henan auch mitverantwortlich, dass ein Aidsskandal vertuscht und seine Opfer schikaniert wurden.

Sein Stellvertreter soll am Samstag Wang Yang werden, ein ebenfalls ausgewiesener Reformer und zuletzt Gouverneur der liberalen Südprovinz Guangdong. Er wiederum bringt Erfahrung im Umgang mit Protesten etwa gegen Landenteignungen mit – eine der vielen Nebenwirkungen der Urbanisierung.

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