Stadtwerk in Berlin: "Das wäre eine Totgeburt"
Energieexperte Patrick Graichen gibt dem Senats-Stadtwerk kaum Chancen: Außer der politischen Unterstützung fehlten ihm die Anlagen.
taz: Herr Graichen, nach dem Scheitern des Volksentscheids diskutiert Berlin über das geplante Stadtwerk des rot-schwarzen Senats. 1,5 Millionen jährlich sind dafür eingeplant, die SPD will jetzt deutlich mehr: 5,5 Millionen Euro. Was ließe sich damit anfangen?
Patrick Graichen: Über die 1,5 Millionen Euro brauchen wir gar nicht zu reden. Aber mit den 5,5 Millionen Euro könnte man etwas ähnlich dem im Jahr 2009 gestarteten Stadtwerk in Hamburg aufbauen. Die haben mit 10 Millionen Euro Eigenkapital angefangen.
Die Grünen fordern sogar 50 Millionen Euro für das Berliner Stadtwerk.
Deren Konzept hat ja auch viel Größeres vor. Dort ist etwa ein ganz starkes Wärmesegment eingebaut, das im Kern die Gebäudesanierung in Berlin voranbringen soll. Dafür sind 50 Millionen Euro auch die richtige Größenordnung. Aber diese Komponente hat der Senatsentwurf ja gar nicht.
Der Senat plant sein Stadtwerk bisher nur für die Versorgung mit Strom. Wofür genau wird das jetzt diskutierte Anlaufgeld benötigt?
Zuerst mal braucht es einen fähigen Geschäftsführer oder eine Geschäftsführerin und einen Businessplan. Die entscheidende Frage für dieses Stadtwerk aber ist: Bleibt es bei der Beschlusslage, dass ausschließlich eigenproduzierter Strom verkauft werden darf?
Der promovierte Umweltökonom ist Vizedirektor und Strommarktexperte des Berliner Thinktanks "Agora Energiewende".
Bisher ist es so: Nur in der Region selbst erzeugter Ökostrom darf vertrieben werden.
Wenn es dabei bleibt, dann kann man mit dem Stadtwerk überhaupt nicht viel machen. Dann ist das eine Totgeburt.
Warum?
Die SPD hat sich erneut für ein Stadtwerk in der kleineren Senatsversion starkgemacht. "Wir wollen ein echtes, erfolgreiches Stadtwerk", sagte Umweltexperte Daniel Buchholz am Mittwoch. "Wir meinen das ernst." Man wolle schnellstmöglich Windkraftanlagen auf landeseigenen Grundstücken im Umland aufbauen.
Buchholz deutete an, dass das Stadtwerk, anders als vorgesehen, in Ausnahmefällen mit Strom handeln könnte. Hier hatte sich zuletzt auch Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer (CDU) bewegt. Heute will die SPD den Komplettrückkauf der Wasserbetriebe im Parlament vorbringen. Sie sollen Mutter des Stadtwerks werden. (ko)
Welchen eigenproduzierten Ökostrom in Berlin haben wir denn? Fast keinen. Im Bundesländervergleich der Agentur für Erneuerbare Energien ist Berlin immer ganz unten. Das hat, völlig klar, zum einen damit zu tun, dass das Flächenpotenzial für Wind- oder Solarkraft in Stadtstaaten geringer ist. Aber auch unter den Stadtstaaten ist Berlin Schlusslicht. Und das hat mit politischem Willen zu tun.
Wie viele Haushalte könnte das Stadtwerk denn mit den derzeitigen Berliner Ökoanlagen versorgen?
Vielleicht ein paar hundert. Damit wäre das Stadtwerk derzeit kein Stromversorger für Berlin, sondern wohl mehr ein Projektierer, der herumrennt und nach Standorten für seine Erneuerbare-Energie-Anlagen sucht.
Wie schnell ließen sich denn neue Anlagen aufbauen?
Bis sich ein Windrad dreht, dauert es schnell zwei, drei Jahre. Das könnte auf landeseigenen Flächen am Berliner Stadtrand oder in Brandenburg geschehen. Kurzfristig müsste das Stadtwerk also Strom ein- und weiterverkaufen. Aber das darf es ja nicht.
Also was tun?
Wenn die Initiative ernst gemeint ist, muss die Restriktion weg. Fast alle Stadtwerke dieser Republik kaufen 80 Prozent ihres Stroms dazu. Die meisten Kraftwerke gehören eben nicht den Stadtwerken, unabhängig davon, ob es sich um Öko- oder andere Anlagen handelt. Die Hamburger Stadtwerke haben sich verpflichtet, in den ersten fünf Jahren auf 50 Prozent eigenerzeugten Strom zu kommen. Das wäre eine realistische Größe auch für Berlin.
Wie viele Kunden bräuchte es, bis sich so ein Stadtwerk trägt?
Als die Hamburger 2012 erstmals Gewinn gemacht haben, hatten sie 80.000 Kunden.
Das könnte also zügig gehen.
Nun ja, 80.000 Kunden muss man erst mal bekommen. Die Stuttgarter sind mit ihrem neuen Stadtwerk jetzt ein gutes halbes Jahr am Start und haben etwa 5.000 Kunden.
Womit könnte Berlin Kunden locken?
In Hamburg waren es günstiger Ökostrom und das Versprechen, innerhalb von fünf Jahren etwas Lokales und Nachhaltiges aufzubauen. Dafür gab es eine ordentliche Werbekampagne und Rückendeckung vom Senat. Damit hat Hamburg Energie innerhalb der ersten vier Jahre 80.000 Kunden bekommen. Da könnte sich Berlin etwas abgucken.
Wie schnell könnte das Stadtwerk an den Start gehen?
Ein Jahr braucht es locker, bis die Strukturen aufgebaut sind.
Das Stadtwerk ist als Tochter der Berliner Wasserbetriebe konzipiert. Richtig so?
Das ist zweitrangig, glaube ich. Entscheidend sind eine ordentliche Ausstattung und ein guter Chef oder eine gute Chefin.
Was sagt Ihr Gefühl: Wird das rot-schwarze Stadtwerk mehr als ein neuer Mini-Stromanbieter auf dem Markt?
Das hängt davon ab, ob das jetzige Stromhandelsverbot aus dem Gesetz verschwindet und ob es die politische Rückendeckung von oben gibt. An beidem kann man derzeit Zweifel haben.
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