Stadtreinigung entfernt Tauschbox: Abriss statt Kommunikation
Auf St. Pauli wurde eine Tauschbox ohne Ankündigung von der Hamburger Stadtreinigung zerstört und entsorgt. Nun protestieren die Anwohner*innen.
Eine „Freebox“ ist ein Tauschregal, von Freiwilligen aufgebaut und organisiert, in dem gebrauchte und nicht mehr gebrauchte Dinge getauscht oder einfach nur verschenkt werden können. Die Box steht auf öffentlich zugänglichem Grund und ist für alle Menschen rund um die Uhr nutzbar. Tauschboxen stehen an vielen Orten in Hamburg, auch die Stadt selbst wirbt mit den selbstverwalteten nachhaltigen Projekten.
„Im Januar 2021 wurde die Freebox gebaut“, erinnert sich Christian Oppermann, der bis vor Kurzem selbst in der Nachbarschaft des Paulinenplatzes wohnte und sich mit etwa zehn weiteren Anwohner:innen um die tägliche Pflege, Reinigung und Ordnung der Freebox gekümmert hat. Die abgerissene Box sei die zweite Version gewesen, aus hochwertigem und haltbarem Bauholz gezimmert. Drinnen sei viel Platz für Klamotten, Schuhe und alles Mögliche gewesen, die Box sei viel genutzt worden.
Dass sie jetzt abgerissen wurde, kann Oppermann nicht verstehen. „Vor ein paar Tagen haben wir das Gerücht gehört, dass aufgrund einer Umstrukturierung in der Behörde ein anderer Umgang mit den Tauschboxen angestrebt wird und unsere Box akut gefährdet ist.“
Christian Oppermann, Anwohner
Wenige Tage später, am frühen Dienstagmorgen, rückte die Stadtreinigung an. Auf einem Video eine:r Passant:in ist zu erkennen, wie drei Mitarbeitende die Box mit Äxten kurz und klein schlagen. „Wir sind schockiert über die Herangehensweise der Stadt, die Box ohne jegliche Kommunikation oder Kontaktaufnahme zu entfernen“, so Oppermann.
Dass man nicht erst das Gespräch gesucht habe, begründet die Stadtreinigung gegenüber der taz mit fehlenden Kontaktdaten an der Box. „Wenn Tausch- und Spendenboxen sinngemäß genutzt und regelmäßig gepflegt werden, unterstützen wir diese Idee grundsätzlich. Hier war dies über mehrere Monate nicht der Fall, dadurch wurde eine zunehmende Vermüllung der Box und des Umfelds ausgelöst und ein Fehlnutzung des anliegenden Spielplatzes begünstigt“, so die Stadtreinigung.
Die Gruppe der freiwilligen Helfer:innen habe in der jüngsten Zeit weniger Kapazitäten gehabt, sich um die Box zu kümmern und sie sauber zu halten, so Oppermann. In einem Aufruf in der Nachbarschaft habe man nun jedoch sechs neue Freiwillige mobilisieren können. So wäre auch in Zukunft die Ordnung und Sauberkeit der Box gewährleistet gewesen.
Noch am selben Abend hätten sich in zwei Stunden etwa 100 Personen bei einer Kundgebung am Paulinenplatz beteiligt, neben gesammelten Unterschriften wurden Statements an das Bezirksamt und Liebeserklärungen an die Freebox auf zwei Transparenten festgehalten und am ursprünglichen Standort der Box befestigt.
Auch einige obdachlose Menschen seien dort gewesen, erzählt Oppermann. Viele von ihnen hätten sich bei der Freebox warme Kleidung und Schlafsäcke holen können – rund um die Uhr, das sei eine Besonderheit der öffentlich zugänglichen Tauschbörse gewesen. Ukrainische Geflüchtete aus der nahe gelegenen Unterkunft „Budapester Hof“ hätten das nachbarschaftliche Angebot in den vergangenen Monaten zu schätzen gelernt und sich auch an der Demonstration beteiligt.
Auf dem Paulinenplatz halten immer wieder Menschen im Vorbeigehen inne. Viele sagen, die Box habe den Ort aufgewertet, man habe dort mit der Nachbarschaft ins Gespräch kommen können. Einige nutzen die Box selbst. Auch das provisorische Angebot aus Servierwagen und Postbox wird rege genutzt. Eine Hose findet eine neue Besitzerin, ein Buch und eine Deko-Flasche finden kurze Zeit ihren Weg in die Freebox. Doch vor Wind und Wetter ist die provisorische Box nicht geschützt, auch bietet sie nur einen Bruchteil des Platzes der ursprünglichen Freebox.
Für Christian Oppermann ist daher klar: Die Box muss wieder aufgebaut werden. Am Samstag, den 19. 11. um 12 Uhr wollen die Unterstützer:innen erneut auf dem Paulinenplatz für den Wiederaufbau der „Freebox“ demonstrieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste