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Nachhaltigkeitsforscher über Konsum„Es geht nicht nur ums Carsharing“

Teilen und Tauschen liegen im Trend. Warum eigentlich? Weil der Kopf frei geworden ist, sagt Nachhaltigkeitsforscher Harald Heinrichs.

„Postmaterialistische Werte werden seit den 70er Jahren beobachtet.“ Bild: dpa

taz: Herr Heinrichs, das Teilen und Tauschen gewinnt an Popularität. Ist das Ende der Wegwerfgesellschaft in Sicht?

Harald Heinrichs: Leider noch nicht.

Warum nicht?

Der Trend geht tatsächlich dahin, dass es neben dem individuellen Konsum und Besitzen auch noch andere Formen des Besitzens und Nutzens gibt. Das Internet begünstigt das natürlich. Aber wir stehen nicht vor einer Revolution, nach der die Menschen nur noch teilen und tauschen und nichts mehr besitzen.

Wird Konsum durch die neuen Formen denn nachhaltiger?

Wenn sich beispielsweise mittels Nachbarschaftsauto fünf oder sechs Haushalte ein Fahrzeug teilen, dann hat das natürlich positive Auswirkungen auf die Umwelt, weil weniger Ressourcen verbraucht werden. Wie groß die aber sind – dazu gibt es keine Daten. Die Vermutung ist, dass es einen positiven Effekt gibt.

Bild: privat
Harald Heinrichs

Jahrgang 1970, ist seit 2009 Professor für Nachhaltigkeit und Politik an der Leuphana-Universität Lüneburg.

Können nicht auch neue Konsumbedürfnisse entstehen?

Auch das weiß man noch nicht genau. Es ist plausibel, dass Ressourcen eingespart werden können, siehe Carsharing. Doch es ist auch denkbar, dass es Verdrängungseffekte gibt. Ein potenzieller Verdrängungseffekt wäre, dass ich das Geld aus der eingesparten Bohrmaschine in einen Flug nach Mallorca investiere. In dem Moment wäre natürlich durch den Substitutionseffekt für die Umwelt nichts gewonnen.

In der Studie „Deutschland teilt“, an der Sie mitgewirkt haben, ist viel von postmaterialistischen Werten die Rede, als Voraussetzung für die neuen Formen des Konsums. Ist dieser Wertewandel neu?

Postmaterialistische Werte werden seit den 70er Jahren beobachtet. Neu ist, dass diese Werte in die Mitte der Gesellschaft einsickern und in verschiedensten sozialen Gruppen vorkommen.

Wie kommt es dazu?

Unter anderem durch ein langfristig gestiegenes Bildungs- und Einkommensniveau. In dem Moment, in dem Menschen ihre grundlegendsten Bedürfnisse befriedigt haben, wird der Kopf frei, sich über anderes Gedanken zu machen, wie Umweltschutz oder ein sinnerfülltes Leben.

Die Voraussetzung ist also ein gewisser Lebensstandard?

Davon geht man aus, zumindest in den industrialisierten Ländern. Es gibt aber auch Gegenthesen aus anderen Kulturkreisen, die darauf hinweisen, dass auch ärmere Menschen durchaus postmaterialistische Wertvorstellungen haben können.

Angenommen, die Effekte sind tatsächlich positiv – wie ließe sich der Trend zum gemeinschaftlichen Konsum fördern?

Da müsste sich zunächst einiges ändern. Unser komplettes Gesellschafts- und Wirtschaftssystem ist auf Eigentumsökonomie und individuellen Konsum ausgerichtet. So gibt es etwa viele steuer-, finanz- und vertragsrechtlichen Fragen, die ungeklärt sind.

Wie die Frage, wer zahlt, wenn es einen Unfall mit der geliehenen Bohrmaschine gibt?

Zum Beispiel. Es geht eben um viel mehr als hier mal Carsharing und da einen Tauschring. Da finde ich es erstaunlich, dass sich die politischen Akteure, von denen man es erwarten könnte, da nicht stärker engagieren.

Können Sie das erklären?

Es könnte an der Wachstumsfrage liegen, die natürlich unbequemen ist. Zwar gibt es noch keine ausführlichen Studien zur volkswirtschaftlichen Bilanz von Postkonsumismus. Doch wenn viel geteilt und weniger konsumiert wird, beinflusst das natürlich die Ökonomie – und wirkt materiellem Wachstum entgegen. Und das will anscheinend keine Partei offensiv angehen.

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1 Kommentar

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  • BI
    Bertram in Mainz

    Die Gefahr liegt darin, dass mal wieder ein Modetrend ins Extrem läuft. Teilen ist sinnvoll, wenn man etwas Wertvolles nur selten braucht. Vermutlich hat jeder Gartenverein Maschinen, die man ausleihen kann. Aber ich kann schlecht das Radio teilen mit jemandem, der zu anderer Zeit Nachrichten hört.

     

    Wir teilen schon Vieles, wir nennen es bloß nicht so. Öffentliche Einrichtungen und Verkehrsmittel, Mietwohnungen, die wir nur zeitweise bewohnen, Schulen, Freizeiteinrichtungen, Hotelzimmer, den Kopierer oder Drucker im Copyshop usw.

     

    Bei Immaterialgütern sollten wir jedoch in eine andere Richtung gehen: Teilen durch legales Kopieren. Das kann in Zukunft auch die Produkte aus dem 3-D-Drucker umfassen.

     

    Teilen auch bei Alltagsgegenständen? Ich möchte das nicht. Es bindet den Benutzer an Terminpläne. Mal schnell ein paar Löcher bohren? Mit der Leih-Maschine wird das aufwändig. Man muss sich beim System melden und bekommt die nächste freie Maschine in der Umgebung angezeigt. Pause nach ein paar Löchern, den Rest morgen? Gibt Ärger, wenn der Nächste schon für die Maschine angemeldet ist.

     

    Wenn wir übertreiben, wird aus der intelligenten Verteilung die Planwirtschaft einer Mangel-Verwaltung. Viel gewinnen wir nicht mal, wenn die geteilten Geräte dann entsprechend schneller verbraucht sind. Wir sind offenbar fasziniert davon, Alles und Jedes in zentrale Datenbanken einzuspeisen, zentral zu verwalten und zu verteilen.

     

    Einfache Maßnahmen werden gar nicht mehr diskutiert. Geräte einfach länger benutzen. Langlebigere Geräte bauen. Förderung des Gebrauchtmarkts oder die Möglichkeit, Dinge einfacher zu verschenken, wäre auch eine Art des Teilens. Warum lassen wir uns solche Veralberungen gefallen wie beim Wegwerf-Tintendrucker? Warum brauchen wir dauernd neue Geräte, obwohl wir die Funktionen der Vorgänger gar nicht ausschöpfen?

     

    Eine gesetzliche Verlängerung von Garantie und Gewährleistungsfristen würde ganz ohne Bürokratie zu weniger Müll führen. Warum zahlen wir volle Mehrwertsteuer auf Gebrauchtes? Die Bürokratie für den reduzierten Satz ist da. Man muss nur Gebrauchtes, für das schon mal bezahlt wurde, pauschal auf die Liste setzen.

     

    Aber das ist wohl zu einfach gedacht? Wir wollen das ganz Große! Die internetbasierte optimale Verteilung! Wird man einfach so spontan mal an die frische Luft können? Ohne vorher das Miet-Bike im Internet auf Termin zu ordern? Oh, besser Termin wechseln, ist ab 20 Uhr billiger. Anderer Tag noch billiger? Jaaa! Mist, das ist der Tag, für den schlechtes Wetter erwartet wird ;-(

     

    Es kann passieren, dass wir mehr Möglichkeiten haben, aber trotzdem stärker gegängelt werden.