Staatsministerin Keul über Afrikapolitik: „Das haben wir so nicht kommen sehen“
Putsche, Kriege, Fortschritte: Katja Keul, Staatsministerin im Auswärtigen Amt, zieht eine gemischte Bilanz der deutschen Afrikapolitik in den Ampeljahren.
taz: Frau Keul, Sudan ist aktuell die größte Flüchtlings- und Hungerkrise weltweit und es sieht nicht so aus, als ob sich daran etwas ändert in nächster Zeit. Sie waren kürzlich in der Region – wie haben Sie die Krise wahrgenommen?
Katja Keul: Die Krise in Sudan ist die größte humanitäre Katastrophe derzeit und bekommt nicht die nötige Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Wir haben über 11 Millionen Flüchtlinge in Sudan und um Sudan herum, allein 3 Millionen in den Nachbarstaaten. In Tschad haben wir fast 1 Million Flüchtlinge und es kommen jeden Tag 800 bis 1000 weitere an, überwiegend Frauen und Kinder. Wir konzentrieren uns sehr auf die humanitäre Hilfe. Wir haben als Bundesregierung im April eine große Sudan-Konferenz mit Frankreich und der EU in Paris gemacht, für humanitäre Unterstützung geworben und dort €244 Millionen zur Verfügung gestellt – inzwischen sind etwa €275 Millionen zusammengekommen.
taz: Von der Sudan-Konferenz sollten auch politische Initiativen ausgehen. Da ist nicht wirklich was passiert, oder?
Keul: Wir unterstützen Sudans Zivilgesellschaft und geben ihr Raum und eine Plattform. Auch in Paris kamen die zivilen Akteure zusammen und waren sich einig, dass es nach dem Krieg nur eine zivile Lösung geben kann.
taz: Wie soll es denn zu einer Nachkriegsordnung kommen?
Keul: Das ist ja das große Problem, dass alle Waffenstillstandsverhandlungen nicht geglückt sind. Was teilweise funktioniert, sind kleine lokale Lösungen vor Ort. Aber wir brauchen natürlich einen Waffenstillstand und eine Vereinbarung, dass der Zugang der humanitären Hilfe problemlos funktioniert. Das ist aktuell nicht der Fall. Es fahren zwar LKWs von Tschad nach Sudan, aber die Seite von Armeechef Burhan hat nach wie vor hohe bürokratische Hürden aufgebaut. Das ist, wo wir im Moment am meisten Druck machen.
taz: Woran liegt es, dass man nicht weiterkommt?
Keul: Beide Konfliktparteien – die SAF unter General Burhan und die RSF unter General Daglo, genannt Hemedti- sind nicht gewillt, Verantwortung für das Wohl der Bevölkerung zu übernehmen. Beide setzen nur auf ihre militärische Stärke, beide glauben, sie könnten das gewinnen. Es ist auch ein Kampf um die Legitimität und Burhan sieht sich als de facto Präsident, der sich nicht mit Hemedti, einem Milizenführer, an einen Tisch setzen will.
taz: L i egt es auch daran, dass es ausländische Unterstützung für beide Seiten gibt?
Keul: Es gibt im Laufe des Konflikts immer wieder Unterstützung von externen Akteuren. Das hält diesen Konflikt auch am Leben. Ohne externe Unterstützung wären wir vielleicht schon an einem anderen Punkt.
taz: Können Sie Namen nennen?
Keul: Russland und Iran sollen Waffen an die SAF geliefert haben. Es gibt aber auch Berichte, dass die Vereinigten Arabischen Emirate Waffen an die RSF liefern. Wir können diese Berichte nicht bis ins letzte Detail überprüfen. Aber natürlich sprechen wir international deutlich an, dass der Druck auf die Konfliktparteien von allen Seiten kommen muss und dass es die Aussicht auf Frieden nicht verbessert, wenn externe Akteure mitmischen. Wir sprechen das immer wieder an, weil wir glauben, dass das eine gewisse Wirkung hat.
taz: Wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass der Konflikt sich ausweitet – über Flüchtlinge Richtung Tschad, Richtung Südsudan?
Keul: Diese Gefahr besteht. Deswegen ist es wichtig, dass wir weiterhin diese Nachbarstaaten humanitär unterstützen. In Tschad kooperiert die Regierung mit den internationalen Organisationen, den Menschen wird dort eine Perspektive aufgebaut; man geht davon aus, dass sie nicht zurückkehren. In Südsudan haben wir eine sehr instabile Lage. In Äthiopien gibt es bereits interne Konflikte, die sich durch weitere Fluchtbewegungen verstärken können. Die äthiopische Seite macht sich Sorgen über Waffen, die in die Konfliktgebiete gelangen könnten.
taz: Die Sahelregion ist insgesamt sehr instabil geworden. Es gab die Reihe von Putschen in Mali, Burkina und Niger, und auch den Sudankrieg. Im Vergleich zu vor drei Jahren ist die Region heute viel ungemütlicher für internationale Zusammenarbeit, oder?
Keul: Den Konflikt in Sudan haben wir vor drei Jahren so nicht haben kommen sehen, im Gegenteil: Es gab damals noch ganz viel Hoffnung. Im Sahel war es auch vor drei Jahren schon nicht einfach. Meine erste Dienstreise in dieser Funktion ging nach Mali, und dort mussten wir feststellen, dass die beabsichtigte Zusammenarbeit so nicht mehr fortgeführt werden konnte. Wir hatten versucht, Fehler, die möglicherweise in Mali gemacht wurden, in Niger zu vermeiden: nicht mit so einem großen militärischen Fußabdruck dort agieren, sondern mobiler, kleiner, zurückhaltender, und das hatte ja auch erste Erfolge gezeigt, so dass der Putsch in Niger in der Tat für uns überraschend war.
taz: Würden Sie rückblickend sagen, dass von deutscher Seite bestimmte Fehler gemacht wurden oder es Versäumnisse gab, ohne die jetzt die Situation eine andere wäre?
Keul: Wir handeln als Deutschland ja immer im Rahmen der EU und der UN, das war auch in Mali so, aber natürlich muss man sich Gedanken machen. Wenn man sich erinnert, wie groß die Unterstützung in Mali war im Januar 2013, als die Franzosen intervenierten, um Mali gegen Islamisten zu unterstützen: Da gab es eine ganz andere Stimmung, man hat die Franzosen begeistert empfangen, und wenn man sieht wo wir jetzt gelandet sind – da kann nicht alles richtig gelaufen sein. Wir haben vielleicht die Sensibilität dieser Staaten, wenn es um ihre Souveränität geht, gerade im Sicherheitsbereich, nicht immer ausreichend ernst genommen. Zugleich waren die Erwartungen beider Seiten aneinander vielleicht zu hoch
taz: Hat sich Deutschland zu eng an Frankreich orientiert? Das waren ja vor allem Putsche gegen die französische Präsenz und gegen die französische Rolle.
Keul: Vielleicht hat man es sich zu bequem gemacht und es in den Verantwortungsbereich der Franzosen gelegt, dort die Strategien festzulegen. Das Spiel, was die Malier mit uns immer spielen wollten – die Franzosen sind die Schlechten und wir sind die Guten – das haben wir nie mitgespielt und ich habe auch immer deutlich gemacht, wir lassen uns nicht als Europäer gegeneinander ausspielen. Aber untereinander müssen wir uns schon fragen: Hätten wir uns anders einbringen können? Ich glaube, dass das auch für Frankreich ein großer Einschnitt war und wir in Zukunft gemeinsam überlegen müssen, wie wir uns europäisch noch einiger aufstellen und gemeinsam die Strategien beschließen.
taz: In Tschad ist Frankreich militärisch präsent, aber es wurde vor gar nicht so langer Zeit der deutsche Botschafter rausgeschmissen, weil er die Regierung kritisiert hatte. Jetzt ist wieder ein Botschafter da – da bleibt man doch sehr eng an der französischen Politik.
Keul: Ich bin sehr froh, dass wir jetzt wieder einen Botschafter in Tschad haben, das ist extrem wichtig gerade jetzt, wo wir bei der humanitären Hilfe so viel zusammenarbeiten. Wir werden demnächst hoffentlich auch wieder einen Botschafter Tschads in Berlin haben. Tschad ist ein Partner, mit dem wir zusammenarbeiten können und der mit uns zusammenarbeiten will. Was den demokratischen Prozess betrifft, muss man es sicher nicht schönreden, aber zumindest haben sie den Anspruch, ihre Transition zu Ende zu bringen und Wahlen durchzuführen.
taz: Für wie wichtig halten Sie die Rolle Russlands in dieser ganzen Entwicklung?
Keul: Fast im ganzen Sahel haben wir gesehen, dass Russland versucht, Einfluss zu nehmen, mit Desinformationskampagnen und auch militärisch.
taz: Und in Sudan? Da hat Russland kürzlich sein Veto im UN-Sicherheitsrat gegen eine Resolution zum Schutz der Zivilbevölkerung eingelegt.
Keul: Das ist verheerend, weil die Zivilbevölkerung in Sudan unermessliches Leid erfährt und Russland sich hier den grundlegendsten Prinzipien widersetzt. Es ist nicht überraschend, aber das Zeichen ist katastrophal für die vielen notleidenden Menschen.
Katja Keul, 54, ist seit Dezember 2021 Staatsministerin im Auswärtigen Amt, zuständig u.a. für Afrika und auswärtige Kulturpolitik, und seit 2009 für die Grünen im Bundestag.
taz: Ein Thema, das wichtig ist für die Wahrnehmung Deutschlands in Afrika und bei dem Sie in den letzten drei Jahren viel unternommen haben, ist die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit. Würden Sie sagen, diese Aufgabe ist jetzt erfolgreich erledigt?
Keul: Auf keinen Fall. Diese Aufgabe ist nicht erledigt, diese Aufgabe wird uns immer begleiten. Aufarbeitung von Geschichte ist ja etwas anderes als einen Schlussstrich zu ziehen. An vielen Stellen sind wir vorangekommen, und an vielen Stellen stehen wir noch am Anfang. Das bleibt eine Herausforderung, die aber auch sehr viel Hoffnung für die Zukunft macht, weil es eben kein Blick nur in die Vergangenheit ist.
taz: Wo sind Sie besonders gut vorangekommen?
Keul: Ein Schwerpunkt war Tansania. Wir haben jetzt die Ausstellungseröffnung zur deutsch-tansanischen Geschichte am 28. November in Berlin. Das ist ein Erfolg, weil dort Deutsche und Tansanier gemeinsam entscheiden, was ausgestellt wird und wie ausgestellt wird. Dann haben wir Fortschritte gemacht bei der Provenienzforschung. Bei „human remains“, bei menschlichen Gebeinen, haben wir heute viel mehr Informationen. Vor drei Jahren war die Schätzung noch, dass bei 80 Prozent aller Gebeine die Herkunft nicht zu ermitteln ist, jetzt sind wir nur noch bei 40 Prozent. Ich habe dieses sensible Thema mit den Regierungen angesprochen, sowohl in Tansania als auch in Kenia als auch auf den Salomonen und in Papua-Neuguinea. Die Regierung in Tansania hat wenig Interesse an diesem Thema gezeigt. Kenia ist offener. Bei Namibia hatte es ja ohnehin bei Vorgängerregierungen Rückführungen von menschlichen Gebeinen gegeben, weitere werden folgen.
taz: In manchen Ländern sind diejenigen, die am stärksten unter der Kolonialherrschaft gelitten haben, nicht unbedingt die, die jetzt am meisten politischen Einfluss haben, und die Regierungen hören ihnen auch nicht immer besonders gut zu. Ist das ein Problem?
Keul: Es ist nicht ungewöhnlich, dass es zwischen Zivilgesellschaft und Regierung Differenzen gibt. Ich habe auch immer wieder der Zivilgesellschaft auch hier in Deutschland vermittelt, wir können als Bundesregierung nicht eine legitime souveräne Regierung eines afrikanischen Staates ignorieren oder umgehen.
taz: Aber mit Namibia hat das ja nicht funktioniert. Da gab es ja mit der „Gemeinsamen Erklärung“ von 2021 ein Abkommen, dann doch wieder nicht, weil in Namibia der Widerstand außerhalb der Regierung zu groß war.
Keul: Die Verhandlungen mit Namibia sind noch nicht abgeschlossen. Aber wir sind uns mit der namibischen Seite einig, dass wir sie schnell zu einem Abschluss bringen wollen Die Gespräche, die wir führen, laufen konstruktiv und in guter Atmosphäre. Wir sind fest entschlossen, weiter am Versöhnungsprozess mit Namibia zu arbeiten, auch mit dem Ziel, dass der Bundespräsident dort die Bitte um Vergebung wird aussprechen können.
taz: In Kamerun waren Sie demgegenüber intensiv mit der Zivilgesellschaft im Austausch, mit den Nachfahren des 1914 von den Deutschen hingerichteten Bürgerrechtlers Manga Bell. Sie waren 2022 auf seiner Hinrichtungsstätte in Kamerun und haben da gesagt, Sie wollen den Erwartungen von dort zuhören. Welchen Erwartungen können Sie entsprechen, und welchen nicht?
Keul: Durch die Rede am Hinrichtungsort haben wir klargemacht, dass wir Manga Bell und seinen Mitstreiter Ngoso Din politisch rehabilitieren. Anerkennung von Unrecht war den Nachfahren sehr wichtig im Hinblick auf die Wiederherstellung der Würde, das ist das Kernanliegen. Darüber hinaus haben wir unterstützt, dass die Ausstellung über Manga Bell aus Hamburg nach Kamerun gekommen ist, ich habe sie in Yaounde Anfang des Monats eröffnet. Sie ist jetzt anders als die Ausstellung in Hamburg, sie beschäftigt sich mit der Entstehung des Staates Kamerun, und verbindet die Ausstellung von historischen Objekten mit zeitgenössischer Kunst. Das ist auch eine Erwartung Kameruns an uns. Die kamerunische Jugend ist sehr interessiert an deutscher Kultur, das größte Interesse an der deutschen Sprache in Afrika gibt es in Kamerun, es gibt Interesse an zivilgesellschaftlichem Austausch und natürlich auch an wirtschaftlichen Investitionen.. Das Goethe-Institut betreut in Kamerun sechs Schulen mit verstärktem Deutschunterreicht, davon profitieren viele kamerunische Kinder.
taz: Als Bundesregierung könnten Sie ja auch die Arbeitsmigration erleichtern, Kamerunern mehr Zugang geben zu Deutschland. Es gibt dazu Abkommen mit einigen Ländern, aber Kamerun ist nicht dabei.
Keul: Wir haben etliche Gesetzesänderungen zur Fachkräfteeinwanderung vorgenommen, das gilt für alle Staaten, auch für Kamerun. Die Kapazitäten der Botschaft in Yaounde werden aufgestockt, wir digitalisieren unsere Visaverfahren und verlagern immer mehr Visumsbearbeitung ins Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten in Brandenburg.. Aber klar, wir können noch besser werden, etwa bei den Studentenvisa. Das ist ein Prozess, und das geht nicht von heute auf morgen.
taz: Würden Sie sagen, dass Ihre Arbeit im Bereich der kolonialen Aufarbeitung auch in Deutschland etwas vorangebracht hat? Gibt es jetzt mehr Bewusstsein, mehr Offenheit?
Keul: Ich würde jetzt gerne sagen, dass wir in diesen drei Jahren das Land aufgerüttelt haben, das wäre schön. Ich glaube, das braucht noch ein bisschen. Aber man kann das Rad nicht mehr anhalten oder zurückdrehen. Ich sehe es auch als meine Aufgabe, weiterhin über das Thema zu sprechen. Ich stelle fest, dass das Thema „human remains“ die Leute aufrüttelt. Das ist auch eine ganz wichtige Erwartung gerade der Nachfahren in Afrika, die sagen: Warum wisst ihr da so wenig drüber in Deutschland?
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