Deutscher Völkermord in Namibia: Versöhnungsabkommen vor Gericht

Nachfahren der Opfer des Völkermords in Deutsch-Südwestafrika verklagen Namibia. Das Abkommen mit Deutschland sei völkerrechtswidrig.

Eine Schwarze Frau in bunten Kleidern sitzt auf der Erde

Soll keine Ansprüche an Deutschland stellen: Angehörige der Herero in Namibia Foto: Thomas Dressler/imago

BERLIN taz | Die Aufarbeitung des deutschen kolonialen Völkermordes an den Herero und Nama im heutigen Namibia landet vor Gericht. Die Nachfahren der Opfer des Völkermordes haben beim High Court in der Hauptstadt Windhoek Klage gegen das „Ver­söhnungsabkommen“ eingereicht, das die Regierungen Deutschlands und Namibias 2021 miteinander geschlossen hatten.

Im einstigen Deutsch-Südwestafrika hatten deutsche Kolonialtruppen zwischen 1904 und 1908 geschätzt 100.000 Herero und Nama direkt getötet oder sie dem Hungertod überlassen, als Rache für einen antikolonialen Aufstand. Aus Sicht vieler Forscher erfüllt diese kollektive Tötung der beiden Volksgruppen aufgrund ihres planmäßigen Charakters den Tatbestand des Völkermords.

Nachdem 2004 erstmals ein deutsches Regierungsmitglied in Namibia um „Vergebung“ bat – die damalige Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wiedzorek-Zeul (SPD) –, einigten sich die Regierungen in Berlin und Windhoek 2021 nach sechs Jahren Gesprächen auf die Formulierung, die „Geschehnisse“ seien „aus heutiger Sicht“ als Völkermord zu bewerten.

Eine juristische Anerkennung, dass der deutsche Staat damals einen Völkermord beging, lehnt die Bundesregierung bis heute aus Angst vor möglichen Rechtsfolgen ab. Eine solche ist auch in der Vereinbarung von 2021, die keine Reparationen für die Opfer vorsieht, nicht enthalten.

Deutschland anerkennt darin lediglich seine „moralische Verantwortung für die Kolonisierung Namibias und für die historischen Entwicklungen, die zu den beschriebenen Völkermordumständen führten“. Auch sieht es „eine moralische, historische und politische Verpflichtung, eine Entschuldigung für diesen Völkermord zu unterbreiten und danach die nötigen Mittel für Versöhnung und Wiederaufbau bereitzustellen“.

Viele erfolglose Versuche, das Abkommen neu aufzurollen

Genannt werden zwei Beträge von zusammen 1,1 Milliarden Euro Entwicklungshilfe über 30 Jahre. Das sei final, führt Paragraf 20 der Erklärung aus: „Beide Regierungen teilen das Verständnis, dass die genannten Summen alle finanziellen Aspekte der mit der in dieser Gemeinsamen Erklärung behandelten Themen der Vergangenheit abschließend regeln.“

Das stieß in Namibia auf Befremden. In den USA hatten Herero-Vertreter zuvor Deutschland vergeblich auf Reparationen von vier Milliarden Euro verklagt. In Namibia wird die Forderung nach Wiedergutmachung mit der nach einer umfassenden Landreform verknüpft. Vor allem aber vermissen Vertreter der Opfergruppen, also die traditionellen Autoritäten der heutigen Herero und Nama, ihre förmliche Beteiligung.

Eine parlamentarische Ratifizierung der „Gemeinsamen Erklärung“ gab es weder in Berlin noch in Windhoek. Die deutsche Regierung hielt das nicht für notwendig, Namibias Regierung stieß auf so heftigen Widerstand im Parlament, dass am 2. Dezember 2021 der Parlamentspräsident lediglich die Zurkenntnisnahme der Erklärung verkündete. Eine Abstimmung für oder gegen die Erklärung gab es nicht.

Die Klage vor dem High Court folgt nun auf vergebliche Versuche, das Thema neu aufzurollen und Zusatzvereinbarungen zu erreichen. Dies lehnte Namibias Regierung ab und Deutschland blieb bei seiner Linie, nicht unter Umgehung der Regierung mit namibischen Opfervertretern zu verhandeln.

Eingereicht hat die Klage der ehemalige namibische Vizeminister für Landreform, Bernadus Swartbooi, der 2016 aus der regierenden Swapo (South West African People’s Organisation) austrat und eine „Bewegung der Landlosen“ gründete. Diese tritt ebenfalls als Kläger auf, zusammen mit elf „traditionellen Autoritäten“. Verklagt werden alle Spitzenvertreter des namibischen Staats.

Kern der Klage ist die mangelnde Beteiligung des Parlaments. Die Einigung sei nicht einfach eine Regierungserklärung, sondern aufgrund bindender Formulierungen wie Paragraf 20 ein zwischenstaatlicher Vertrag. Dieser beschränke in unzulässiger Weise die Möglichkeiten der Namibier, Wiedergutmachung zu erlangen. Durch den Ausschluss der Opfer habe Namibias Regierung außerdem Selbstverpflichtungen gebrochen. Insgesamt sei die Gemeinsame Erklärung verfassungs- und völkerrechtswidrig.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.