Staatsminister Roth über Frauen in der EU: „Ohne Quote wird nichts besser“
Vor dem Frauentag fordert Europa-Staatsminister Michael Roth eine feministische EU-Politik. Das nächste deutsche Kommissariat soll an eine Frau gehen.
taz: Herr Roth, Sie bezeichnen sich als überzeugten Feministen. Was heißt das für Sie?
Michael Roth: Treffender wäre Aktivist für Geschlechtergerechtigkeit. Aber den Begriff Feminismus finde ich sehr gut, weil manchen Männern nach wie vor der Kamm schwillt, wenn sie ihn nur hören. Feministen sind aus deren Sicht die Anführer der politischen Korrektheit. Mir gefällt dieser Kampfbegriff. Manchmal geht es ohne Konfrontation in der politischen Auseinandersetzung nicht.
Feminismus ist noch immer ein Kampfbegriff?
Zu viele Männer haben massive Verlustängste. Sie sehen es eben nicht als Gewinn, wenn die knappe Mehrheit der Gesellschaft am Haben und Sagen angemessen beteiligt wird. Ich erlebe das zum Beispiel bei der französischen Initiative #JamaisSansElles, der ich mich angeschlossen habe. Wir verpflichten uns, nur an Veranstaltungen teilzunehmen, wenn eine angemessene Repräsentanz von Frauen garantiert ist. Für nicht wenige Männer ist das nach wie vor eine unangemessene Einmischung. Manche Veranstalter sagen mir dann auch wirklich ab, weil es aus deren Sicht keine Expertinnen in der Europapolitik gibt. Absurd!
48, ist seit 2013 Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt. Außerdem ist er Beauftragter der Bundesregierung für die deutsch-französische Zusammenarbeit. Im Bundestag sitzt der SPD-Politiker aus Hessen schon seit 1998. In seiner Nutzer-Biografie auf Twitter stellt sich Roth selbst als Feminist vor.
„Angemessene Repräsentanz“ heißt fünfzig Prozent?
Schön wär’s! So weit gehen wir noch nicht mal. Angemessen bedeutet, dass bei einer Gesprächsrunde zumindest ein oder zwei Frauen vertreten sind.
Vor einigen Wochen haben Sie in einer Rede eine „feministische Europapolitik“ gefordert. Wie würde die aussehen?
Es geht beispielsweise um die Ausgabenpolitik. Ich bin für eine geschlechtergerechte Aufstellung des EU-Haushalts, auch Gender Budgeting genannt. Wir müssen bei allen Ausgabeposten genau schauen, wer davon stärker betroffen ist: Männer oder Frauen? Von höheren Ausgaben für die Landwirtschaft profitieren zum Beispiel eher Männer, weil sie in dem Bereich im Durchschnitt stärker vertreten sind. Wenn wir beim Nahverkehr kürzen, trifft das dagegen eher Frauen, weil sie generell die öffentlichen Verkehrsmittel stärker nutzen. Wenn wir hier sensibler werden, macht das die europäische Haushaltspolitik gerechter und damit auch besser.
Haben Sie für diese Forderung Unterstützung in Europa?
Wir Deutschen sind nun wirklich nicht immer die Pionierinnen und Pioniere. Progressive Länder wie Schweden, Dänemark oder die Niederlande machen uns oft vor, wie es geht. Gerade von meiner ehemaligen schwedischen Kollegin Ann Linde und der schwedischen Regierung, für die feministische Außen- und Europapolitik längst selbstverständlich ist, habe ich viel gelernt. Wir stehen da nicht alleine.
Regierungen wie die in Ungarn oder in Italien wollen das Rad dagegen eher zurückdrehen. Sind Sie auch mit denen im Gespräch?
In der EU steht jetzt die Aufstellung des Finanzrahmens für die Jahre 2021 bis 2027 an. Dabei wird das Thema Gender Budgeting selbstverständlich angesprochen.
Nach dem Rechtsruck in mehreren EU-Ländern ist die Umsetzung einer feministischen Außenpolitik heute sicher schwieriger als sie es noch vor fünf Jahren gewesen wäre.
Das stimmt. Feminismus ist für viele Nationalisten und Populisten, aber auch Konservative, ein rotes Tuch. Da werden die richtig aggressiv. Das macht die Dinge sicher nicht einfacher, aber davon darf man sich nicht beirren lassen. Ganz im Gegenteil: Diese Herrschaften zu provozieren, kann durchaus zu einem Bewusstseinswandel führen.
Zu einem Bewusstseinswandel könnte es auch führen, wenn Deutschland vorangeht. Die Bundesregierung lehnt es bislang aber ab, ihren Haushalt nach dem Prinzip des Gender Budgeting aufzustellen. Haben sie darüber mal mit Finanzminister Olaf Scholz gesprochen?
Ja, zum Beispiel bei der Aufstellung des sozialdemokratischen Programms für die Europawahl. Sie wissen auch, dass wir nicht allein in der Regierung sind. Wir müssten da auch noch einen Koalitionspartner überzeugen. Aber im Grundsatz haben Sie völlig recht: Was wir von Europa erwarten, sollten wir auch im eigenen Laden umsetzen.
Wenden Sie das Prinzip zumindest schon im Außenministerium an?
Wie gesagt: Den Haushalt stellt die Bundesregierung auf, der mehrere Parteien angehören.
Neben Geld geht es auch um Personen. Wie könnten Sie für mehr Frauen in der EU-Politik sorgen?
Wir müssen die entsprechenden Gesetze auf den Weg bringen. Ohne verbindliche Quote wird sich nichts zum Besseren wandeln. Dass die Parität für Parlamente derzeit in aller Munde ist und in Brandenburg schon beschlossen wurde, hat ja etwas mit dem Rollback zu tun, den Sie bereits angesprochen haben. Wir waren viel zu naiv und dachten, dass langfristig alles konsequent besser würde. Durch den Aufstieg von Nationalismus und Populismus sind Fragen von Gleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit aber wieder stärker in die Defensive geraten. Umso wichtiger ist es, dass wir jetzt gesetzliche Vorgaben machen. Ohne die wird es am Ende nicht funktionieren.
Paritätsgesetze, die den Parteien vorschreiben, ihre Wahllisten fifty-fifty zu besetzen, sind schon auf Länderebene umstritten. Auf EU-Ebene wäre es noch komplizierter. Wie wollen Sie die Parität durchsetzen?
Eine zentrale Vorgabe wird leider noch nicht funktionieren. Denn ein europäisches Wahlrecht bedarf der Einstimmigkeit, und wir haben uns gerade erst eine blutige Nase geholt, als wir transnationale Wahllisten vorgeschlagen haben. Stattdessen müssten Mitgliedstaaten eigenverantwortlich für ihre nationalen Listen Vorgaben auf den Weg bringen. Die Mutigen und Progressiven werden am Ende vielleicht die Skeptischen davon überzeugen, dass eine wirkliche Gleichberechtigung zu einer besseren Politik führt und kein Mann davor Angst haben muss. Vor allem in den Köpfen muss sich etwas verändern.
Das EU-Parlament ist das eine, die Kommission das andere. Was ist dort möglich?
Einmal könnte sich das Europäische Parlament dazu verpflichten, nur dann eine Kommission ins Amt zu setzen, wenn sie paritätisch besetzt ist. Und zum anderen könnte die Bundesregierung mit gutem Beispiel vorangehen und eine Kandidatin für die Kommission nominieren.
Wie praktisch, dass die SPD für die Europawahl eine Spitzenkandidatin hat. Wollen Sie Katarina Barley in die Kommission schicken?
Katarina Barley wäre natürlich hervorragend geeignet. Aber darüber muss die Bundesregierung erst noch entscheiden.
Gab es in der Regierung zumindest schon Gespräche über die Selbstverpflichtung auf eine Frau als Kommissarin?
Ich würde mich freuen, wenn darüber zu gegebener Zeit ernsthaft verhandelt wird.
Sie sagten vorhin, Parität mache die Politik besser. Warum soll das so sein?
Männer sind ja nicht per se schlecht und Frauen nicht per se gut. Aber das Miteinander verschiedener Perspektiven macht die Dinge prinzipiell besser. Frauen sind in einigen Bereichen empathischer, viele haben auch selbst Diskriminierung erlebt, das schärft den Blick.
Wenn das stimmt, wäre es naheliegend, auch die Führungspositionen im Auswärtigen Amt paritätisch zu besetzen. Davon sind Sie aber noch weit entfernt.
In den vergangenen Jahren hat sich vieles getan, aber bei Weitem nicht genug. Gerade mal 16 Prozent der deutschen Auslandsvertretungen werden von Frauen geführt. Aber bei den Abteilungsleitungen sind wir durch eine bewusste Politik, die auch von Heiko Maas angestoßen wurde, schon einen Schritt vorangekommen. Insgesamt haben wir inzwischen ein knappes Drittel an Frauen in Leitungsfunktionen.
Was heißt bewusste Politik? Haben Sie Quoten für Führungspositionen?
Wir haben uns auf die Fahnen geschrieben, eine aktive Politik der Geschlechtergerechtigkeit zu betreiben. Für jede Leitungsposition wird gezielt nach Kolleginnen gesucht.
Sie sagten eben selbst: Freiwillige Quoten bringen nichts.
Es ist ein Anfang. In unserem Haus hat das Thema über viele Jahre hinweg eine viel zu kleine Rolle gespielt.
Stoßen Sie mit Ihrem Kurs unter etablierten Diplomaten auch auf Widerstand?
Ich stoße natürlich auch auf Ängste von Männern, die sagen, das benachteiligt mich doch. Die sehen das eben nicht als Chance, sondern als Bedrohung für ihre ganz persönlichen Karriereperspektiven. Aber am Ende des Tages wird sich die Einsicht durchsetzen, dass Geschlechtergerechtigkeit gut für alle ist.
Warum ist die Außenpolitik denn traditionell so eine Männerdomäne?
Jahrzehntelang gab es dieses feste Bild des Diplomaten, der sich in den Dienst des Vaterlands stellt und Deutschland international vertritt. Die Ehefrauen und die Familien hatten dem zu folgen. Dieses traditionelle Bild des Diplomaten hat sich komplett verändert. Wir sind inzwischen in der jüngeren Generation gut aufgestellt. Unser Dienst ist da genauso weiblich und bunt wie unsere Gesellschaft. Das Problem ist, dass wir erst am Anfang stehen und das noch hochwachsen muss in die Entscheidungsfunktionen. Aber ohne Steuerung und Bewusstseinswandel geht das viel zu langsam.
Sie haben bereits erwähnt, dass andere Länder weiter sind. Die schwedische Regierung hat sogar ein eigenes Handbuch für feministische Außenpolitik. Wäre das auch etwas für das Auswärtige Amt?
Wir im Auswärtigen Amt diskutieren das intensiv. Es ist ein Schwerpunkt unserer Agenda für den VN-Sicherheitsrat. Ich plane auch mit meiner französischen Amtskollegin und meinem neuen schwedischen Amtskollegen eine Veranstaltung zu dem Thema.
Ein eigenes Handbuch ist also in Planung?
Ob es ein Handbuch wird, kann ich Ihnen nicht versprechen. Ich werbe aber sehr dafür, dass das ein selbstverständliches Leitbild unserer Diplomatie wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“