Staatsbesuch Als Schah Mohammad Reza Pahlavi 1967 Deutschland besuchte, organisierte der Autor Bahman Nirumand Proteste. Bis eine Demonstration vor der Deutschen Oper eskalierte und ein Polizist einem Studenten in den Kopf schoss: Mord während der „Zauberflöte“
von Bahman Nirumand
Auf Vorschlag von Hans Magnus Enzensberger, den ich am Teheraner Goethe-Institut kennengelernt hatte, schrieb ich ein Buch über die Lage im Iran, das Anfang 1967 im Rowohlt Verlag erschien. Der Zufall wollte, dass wenige Monate später der Schah zu einem Staatsbesuch nach Deutschland kam. Für das Teheraner Regime war die Publikation ein Stich ins Herz. Jährlich gab die Regierung Millionen für PR aus, um den Kaiser als aufgeklärten, reformfreudigen Monarchen darzustellen, und nun sollte all dies durch eine einzige kritische Schrift zunichte gemacht werden.
Die Publikation war für die damalige Zeit ungewöhnlich. Länder wie der Iran lagen aus der Sicht der Deutschen in weiter Ferne. Es war eher die Regenbogenpresse, die Berichte publizierte, die wie Märchen aus Tausendundeiner Nacht klangen. Geschichten über den Kaiser auf dem persischen Pfauenthron und seine schönen Gattinnen Soraya und Farah erweckten Sehnsüchte nach dem Kaiserreich.
Und nun kam einer, der den schönen Schein durch sinistere und erschütternde Fakten zerstörte – und zeigte, wie der Westen aus eigenen Interessen und trotz allen Bekenntnissen zu Menschenrechten und Demokratie Despoten wie den Schah unterstützte. Dennoch wäre das Buch nicht zum Bestseller geworden, wenn es den Staatsbesuch nicht gegeben hätte und die iranische Auslandsopposition in der Bundesrepublik nicht so gut organisiert gewesen wäre. Das somit erweckte Interesse für Iran als Modell eines Entwicklungslands und der Krieg in Vietnam waren ausschlaggebend dafür, dass die antiautoritäre Protestbewegung in der Bundesrepublik mit dem Internationalismus verknüpft wurde.
Breites Protestbündnis
Der Dachverband der iranischen Auslandsopposition, CIS/NU, war mit mehreren Zehntausend Mitgliedern weltweit präsent, die Zentrale war in Deutschland. Sobald der Besuch des Schahs bekannt wurde, bereiteten wir uns vor. Wir schrieben Flugblätter, planten Kundgebungen, Veranstaltungen, Demonstrationen. Natürlich baten wir auch deutsche und ausländische Organisationen um Unterstützung. Beim SDS, dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund, stießen wir auf wenig Begeisterung. Man wolle sich auf den Vietnamkrieg konzentrieren, Aktionen gegen den Schahbesuch würden davon ablenken, wurde uns mitgeteilt. Unser Argument, der Staatsbesuch biete eine Gelegenheit, über das Verhältnis von westlichen Metropolen und Ländern der sogenannten Dritten Welt aufzuklären, schien die SDS-Führung nicht zu überzeugen.
Demgegenüber stieß unser Vorschlag bei der Kommune 1 auf große Begeisterung. Die Kommunarden, allen voran Fritz Teufel, Dieter Kunzelmann, Reiner Langhans und Ulrich Enzensberger, machten sich sofort ans Werk, diskutierten phantasievoll über mögliche Aktionen. Ein Poster mit dem Konterfei des Schahs und dem Wort „Wanted“ („Gesucht“) zog viel Aufmerksamkeit auf sich. Den Text dazu verfasste der Schriftsteller Peter Schneider. Auch zahlreiche Happenings lockerten unsere ernsten Proteste auf.
Universitärer Widerstand
In den letzten Tagen vor der Schah-Visite gewann die Atmosphäre zunehmend an Brisanz. Nun schloss sich auch der SDS unserer Kampagne an. Die CIS/NU übernahm die Leitung der Protestaktionen. Wir beschlossen, den Schah auf Schritt und Tritt zu verfolgen. In allen Großstädten bereiteten wir Demonstrationen und Kundgebungen vor. Die Iranische Botschaft in der Bundesrepublik fragte in einer Verbalnote an das Auswärtige Amt, welche Schritte die Bundesregierung zu unternehmen gedenke, um dem Treiben Einhalt zu gebieten. Und als bekannt wurde, dass am Vorabend des Schahbesuchs in Berlin eine Veranstaltung an der Freien Universität mit mir als Hauptredner stattfinden sollte, forderte die Botschaft die Bundesregierung und den Berliner Senat auf, die Veranstaltung zu verbieten. Es sei ein unfreundlicher Akt, erklärte sie und drohte gar mit der Absage des Staatsbesuchs.
Jahrgang 1936, in Teheran geboren. Nach der Promotion in Deutschland ging er als Dozent zurück in den Iran, musste aber 1965 flüchten. Heute lebt er als Publizist in Berlin.
Der Berliner Senat beugte sich dem Willen des Diktators und forderte den Rektor der Universität auf, die Veranstaltung abzusagen. Doch der Rektor blieb standhaft, er werde niemals die Unabhängigkeit der Universität preisgeben. Diese Auseinandersetzung, die über Wochen auch in den Medien geführt wurde, und die drastischen, für die Bevölkerung belastenden Sicherheitsmaßnahmen für den Schahbesuch erhöhten die Zustimmung für die Protestbewegung.
Stahlruten und Holzlatten
Die Veranstaltung im überfüllten Audimax der Freien Universität war der Auftakt des Schahbesuchs in Berlin. Am nächsten Vormittag versammelten sich etwa zweitausend Demonstranten vor dem Schöneberger Rathaus. Kurz vor dem Eintreffen der Staatsgäste wurden etwa einhundert Iraner mit Bussen der BVG auf den Vorplatz des Rathauses gefahren. Sie waren bewaffnet mit Stahlruten, Totschlägern und Holzlatten. Nachdem die Gäste ins Rathaus gegangen waren, wurden sie wie auf Kommando auf die Protestierenden losgelassen. Die Polizei schritt erst ein, nachdem es mehrere Verletzte gab. Wesentlich brutaler wurde es am Abend vor der Deutschen Oper. Hier ging die Polizei mit ihrer berühmten „Leberwursttaktik“ gegen Demonstranten vor. Während der Schah und Bundespräsident Heinrich Lübke Mozarts Zauberflöte lauschten, holte sie zum finalen Schlag aus, prügelte wahllos um sich und verletzte zahlreiche Demonstranten.
Auch ich bekam einige Knüppelschläge, kam aber mit blauen Flecken davon. Unterwegs hörte ich, dass ein Polizist getötet worden sei. „Alle Mühe ist umsonst gewesen“, dachte ich. „Jetzt wird die Stimmung gegen uns umschlagen.“ Stunden später stellte es sich heraus, dass nicht ein Polizist, sondern ein demonstrierender Student erschossen worden war. Der Tod von Benno Ohnesorg leitete ein neue Phase der Protestbewegung ein: die Spaltung der Gesellschaft, die Organisation der Gegengewalt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen