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Sprecher Landesarmutkonferenz Berlin„Wir lassen sie verrecken“

Seit 10 Jahren gibt es die Landesarmutskonferenz. Weniger arm ist Berlin in der Zeit nicht geworden. Sprecher Hermann Pfahler hat klare Forderungen.

Konkrete Folge der Wohnungsnot Foto: Karsten Thielker
Manuela Heim
Interview von Manuela Heim

taz: Herr Pfahler, die Landesarmutskonferenz feiert heute ihr zehnjähriges Bestehen. Haben Sie viel Grund zu feiern?

Hermann Pfahler: Wir haben leider die Armut in Berlin weder abschaffen noch verringern können, wenn Sie das meinen. Aber wir haben doch auch eine Menge erreicht.

Wie hat sich die Dringlichkeit Ihrer Arbeit verändert in den Jahren seit der Gründung?

Es gibt so viel verschämte Armut bei Menschen im Alter, mit Migrationshintergrund, bei Familien. Ich bin seit über 30 Jahren in diesem Geschäft und wir hatten noch nie, wirklich noch nie, so viele Familien, die wohnungslos sind. Das ist absolut erschreckend, man denke nur an die Kinder.

Was sind die Schwerpunkte Ihrer Arbeit für die nächsten zehn Jahre?

Eines unserer Hauptthemen wird es sein, Solidarität in der Gesellschaft einzufordern. Es gibt zum Glück sehr viel ehrenamtliches Engagement in der Stadt und viele Menschen, die sich für die Bekämpfung von Armut aussprechen. Aber die Gefahr, dass wir ausein­anderbrechen und immer mehr Leute nur noch schauen, wie sie ihr eigenes Bündel retten, ist groß. Wir haben Situationen, da wollen Kirchengemeinden auf ihrem eigenen Grund, zum Beispiel auf ungenutzten Friedhofsflächen, dringend benötigte Sozialwohnungen bauen. Und dann gibt es immer wieder Behörden und Privatleute, die das behindern.

Inwiefern?

Da kommen Argumente wie „Ich kann meinen Hund nicht mehr schön ausführen.“ Und dabei lassen wir Menschen auf der Straße verrecken. Das ist doch gepflegter Egoismus. Man kann angesichts der Wohnungsnot auch nicht jede Kleingartenlaube retten, sondern wir müssen die Akzeptanz dafür steigern, dass Erholung vielleicht besser im schönen Brandenburg aufgehoben ist als an den S-Bahn-Gleisen im Innenstadtring.

Im Interview: 

Hermann Pfahler

72, war seit Anfang der 1980er als Sozialarbeiter und Streetworker tätig, später Referent der Diakonie für Existenzsicherung und Integration. Seit 2011 ist er ehrenamtlicher Sprecher der Berliner Landesarmutskonferenz und will es bleiben, solange er „noch etwas beitragen kann zur Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung“.

Die Berliner ­Landesarmutskonferenz

ist ein Netzwerk aus über 60 Nichtregierungsorganisationen, die sich gegen Armut und Ausgrenzung in Berlin einsetzen. Im Dezember 2009 wurde es von 35 Organisationen gegründet. Am Abend des 26. November wird das Jubiläum ab 18 Uhr in der Kreuzberger Heilig-Kreuz-Kirche gefeiert. Weitere Informationen und Anmeldung finden sich unter ­landesarmutskonferenz-berlin.de (mah)

Wie wollen Sie da gegensteuern?

Gerade arbeiten wir mit Karikaturisten zusammen, um auf Plakaten und Postkarten auf das Thema Armut und Ausgrenzung in der Stadt aufmerksam zu machen. Wir sind nicht die, die Krawall machen, wir appellieren an die Einsicht der Menschen.

Der Jahrestag ist auch ein Anlass zurückzuschauen: Vielleicht erzählen Sie mal, warum es vor zehn Jahren überhaupt eine Landesarmutskonferenz brauchte.

2010 war das Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung. Das war der Anlass für mehrere Initiativen und Aktive ein Bündnis zu bilden, um geballt gegen Armut in Berlin vorzugehen. Bei uns sind, und das ist das Besondere, nicht nur die Wohlfahrtsverbände dabei, sondern auch Hochschulen wie die Alice-Salomon oder die Evangelische Hochschule und Initiativen wie das Berliner Arbeitslosenzentrum BALZ. Ein wesentlicher Antrieb war damals die hohe Zahl der Wohnungslosen. Mit 10.000 bis 12.000 haben wir 2009 gerechnet. Inzwischen müssen wir leider davon ausgehen, dass sich die Zahl verfünffacht hat. Genaue Zahlen gibt es ja leider immer noch nicht.

Aber bald: Am 29. Januar sollen erstmals die Obdachlosen Berlins gezählt werden.

Das ist auch unser Erfolg, wir waren da von Anfang eingebunden und haben seit unserer Gründung dafür gekämpft. Wir haben auch damals schon auf etwas gedrängt, das jetzt zaghaft begonnen wurde und inzwischen „Housing First“ genannt wird: Wir brauchen keine Übergangsheime, sondern wohnungslose Menschen brauchen Wohnraum.

Aber woher soll der Wohnraum kommen?

Es ist schön, dass die Bezirke jetzt Häuser aufkaufen, aber das nützt den 50.000 wohnungslosen Menschen erst einmal gar nichts. Deswegen fordere ich, dass konsequent zehn Prozent der gekauften Wohnungen wohnungslosen Menschen zur Verfügung gestellt und mehr Sozialwohnungen gebaut werden. Es kann nicht sein, dass obdachlose Menschen mit „Safe Places“und „Tiny Homes“ abgespeist werden. Mit diesen Begrifflichkeiten reden wir uns schön, was eigentlich ein Skandal ist.

Auch der Neubau kommt ja im Moment vorrangig Besserverdienenden zugute.

In Sachen Neubau von günstigem Wohnraum sind nicht nur die Landeseigenen gefordert. Neben Genossenschaften und Kirchengemeinden denke ich da zum Beispiel auch an die Krankenhäuser aus Kaiserszeiten, die über riesige Parkflächen verfügen, auf denen man auch das ein oder andere Haus noch bauen könnte. Wenn die gemeinnützigen Organisationen genügend Unterstützung von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung bekommen, dann sind, da bin ich überzeugt, eine ganze Reihe von denen bereit, in den Wohnungsbau mit einzusteigen.

Kommen wir noch mal zurück zu Ihren Erfolgen der letzten zehn Jahre …

Wir sind im Prinzip ein klassischer Lobbyverein für Menschen, die sich selbst nicht zu Wort melden. Wir sprechen zum Beispiel die Politiker an, die neu ins Abgeordnetenhaus kommen, um für die Interessen unserer Mitgliedsorganisationen und damit für die Interessen armer Menschen in Berlin zu werben. So haben wir es uns über die Jahre erkämpft, dass wir in den wichtigen politischen Runden wie etwa den Strategiekonferenzen zur Bekämpfung von Wohnungslosigkeit und Kinderarmut dabei sind. Gegen Kinderarmut wird, auch auf unser Betreiben hin, gerade eine Art Rahmenplan entwickelt. Wir waren es auch, die maßgeblich darauf gedrängt haben, die Übernachtungsplätze in der Kältehilfe auszubauen. Und bei der Anpassung der „AV Wohnen“ …

Also den Vorschriften, wie hoch die übernommene Miete bei Empfängern von Sozialleistungen sein darf …

… nehmen wir mit gewissem Erfolg permanent Einfluss. Vor zwei Jahren haben wir eine Broschüre herausgebracht zum Thema „Was tun, wenn die Wohnungskündigung droht“. Sie ist in einfacher Sprache verfasst und wird von uns kostenlos weitergegeben. Eine ganze Reihe Jobcenter und Bezirksämter haben sie uns in großen Stückzahlen abgenommen und inzwischen wird sie in Hamburg und Bremen nachgedruckt. Segmente daraus verfilmen wir gerade, um noch mehr Personenkreise zu erreichen.

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2 Kommentare

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  • Wenn jede Grünfläche innerhalb der Stadt planiert ist und mit Wohnungen bebaut wird es sicher ein schönes Leben in Berlin ( Hier die Friedhofsgärten und Krankenhausparks). Gerade die Krankenhäuser dürften sich freuen, wenn sie keinerlei Grünanlage mehr haben in denen sich Patienten erholen können. Wäre es nicht viel Sinnvoller am Randbereich Wohnungen zu bauen die dann gut angebunden werden? Nicht umsonst hat New York mit dem Centralpark eine der besten Lagen nicht zum Wohnen genutzt. Eine Stadt braucht nun mal auch Erholungsflächen die jeder schnell erreichen kann.

    • @Choronyme:

      Geben Sie es schon zu, Sie haben einen Hund.