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Kommentar Housing First in HannoverNur eine Light-Version

Andrea Maestro
Kommentar von Andrea Maestro

Die hannoversche Variante von Housing First knüpft die Vergabe von Wohnungen an Bedingungen. Das steht den Grundsätzen des Prinzips entgegen.

Profitieren nur zum Teil von Housing First: Obdachlose in Hannover Foto: dpa

E ndlich! Die Stadt Hannover hat gemeinsam mit der Stiftung „Ein Zuhause“ ein Pilotprojekt vorgestellt, um obdachlose Menschen in eigene Wohnungen zu bringen. Seit Monaten hatte die Verwaltung daran gearbeitet, das vom Rat der Stadt gewünschte Prinzip Housing First in Hannover umzusetzen. Was dabei herausgekommen ist, ist allerdings nur eine Light-Version. Es steht den Grundsätzen von Housing First sogar entgegen, denn das neue Zuhause bekommen die Obdachlosen nicht bedingungslos.

Mit ihren Schulden, Suchterkrankungen oder psychischen Problemen sind obdachlose Menschen für private Vermieter*innen vor allem ein Risiko. Auf dem freien Wohnungsmarkt haben sie keine Chance. Wenn Kommunen es mit der Bekämpfung von Obdachlosigkeit ernst meinen, muss dieses wirtschaftliche Risiko für die öffentliche Hand egal sein. Sie müssen den Betroffenen helfen, von der Straße wegzukommen und ein menschenwürdiges Leben zu führen, auch wenn die Chance besteht, dass diese scheitern.

Housing First soll eigentlich die Menschen erreichen, die durch jedes Raster fallen. In einer eigenen Wohnung können sie zur Ruhe kommen – physisch und psychisch. Vielleicht sind sie erst danach in der Lage, Hilfe anzunehmen. Wenn die Stadt und die Stiftung nun aber nur denjenigen Obdachlosen Wohnungen geben möchten, die gut mit Sozialarbeiter*innen kooperieren und damit vermeintlich pflegeleichter sind, nehmen sie wieder eine Auswahl vor – und schließen diejenigen aus, die die Hilfe womöglich am nötigsten haben.

Das bedeutet nicht, dass das Konzept der Stadt komplett unbrauchbar ist. Alle Menschen, die unfreiwillig auf der Straße leben, brauchen eine Wohnung. Die Hilfe trifft also in jedem Fall die Richtigen. Aber um zu sehen, ob dieser Pilotversuch tatsächlich funktioniert und in der Stadt zum Standard für die Arbeit mit Obdachlosen werden sollte, ist es notwendig, auch die Menschen einzubeziehen, die mit ihrem Verhalten anecken und die schwierig sind. Diesen Härtetest muss das Konzept bestehen.

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Andrea Maestro
Redaktionsleiterin taz.nord
War bis Dezember 2022 Redaktionsleiterin der taz nord. Davor Niedersachsen Korrespondentin der taz. Schwerpunkte sind Themen wie Asyl und Integration, Landwirtschaft und Tierschutz.
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2 Kommentare

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  • 9G
    97088 (Profil gelöscht)

    Konzepte gegen Wohnungs- und Obdachlosigkeit gab es in Hannover schon viele. Fast ebenso viele Projektideen und ein paar Projektskizzen. Leider wenig nachhaltig Konkretes. Die Stadt steht nicht an der Spitze der Bewegung und versucht wie immer, Risiken auszulagern und den Diskurs so bereitbandig zu gestalten, dass er in seiner Meinungsvielfalt „versandet“.

  • Wie definiert sich kooperativ? Wenn es bedeutet, dass man nur Gesprächsbereit sein soll und bei Verwaltungstechnischen Themen mitwirkt, ist es aus meiner Sicht ok. Damit wäre das Angebot sehr niederschwelig ggü. der alten Hürden Suchterkrankung etc.