Sprachförderung in den Kitas: Drohendes Ende eines Erfolgsmodells
Das Programm der Sprach-Kitas läuft aus. Nicht alle Bundesländer wollen die Förderung fortsetzen. Dabei wurde kaum eine andere Bildungsinitiative so gelobt.
Hinter diesem pädagogischen Fachbegriff steckt ein Ansatz, der längst durch Forschungsergebnisse gestützt wird: Kinder lernen Sprachen am besten durch alltägliche Sprachanlässe – beim Essen, im Morgenkreis, beim Spielen in der Puppenecke oder im Kreativraum, beim Anziehen der Jacke. Ein Bewusstsein dafür zu schaffen, Fortbildungen zu geben, Sprachprojekte anzuschieben, Elterngespräche zu führen oder die Kooperation mit örtlichen Büchereien zu pflegen, all das gehört zu Berufsalltag von Sprach-Fachkräften.
Doch ob es sie weiterhin geben wird, ist vielerorts unklar. Denn die sogenannten Sprach-Kitas, wie die Einrichtungen mit Sprach-Fachkräften genannt werden, drohen auszulaufen. 2023 beendete der Bund die Förderung des Programms und überließ die Verantwortung den Ländern. Immerhin entschieden sich die meisten Bundesländer für eine Fortsetzung der Programme bis Ende 2024.
Wie es danach weitergeht, darüber herrscht in vielen bisher geförderten Kitas noch große Unsicherheit. Manche können auf ein Nachfolge-Programm des Bundeslands oder des Kita-Trägers zurückgreifen, andere haben diese Möglichkeiten nicht. Die Stellen der Sprachfachkräfte wurden explizit aus den Fördermitteln finanziert. Ohne diese Förderung müssen sie entweder in den Gruppendienst zurückkehren oder sich neu orientieren. Und ohne die zusätzlichen Fachkräfte blieben kaum noch Zeit und Kapazitäten, um Kinder in ihrer Sprachentwicklung gezielt zu fördern.
Ungesteuerter Spracherwerb Im Alter von ein bis eineinhalb Jahren sprechen die meisten Kinder ihre ersten Worte. In den folgenden Monaten entwickelt sich der aktive Wortschatz rasant. Nach und nach eignen sie sich die Sprache an, die sie in ihrer nächsten Umgebung hören, von den Eltern, Verwandten oder eben den Erzieher:innen. Mit dieser Sprache machen sie ihre täglichen Erfahrungen und benennen munter, was sie hören, sehen, fühlen und tun. Einzelne Worte können in dieser Zeit dabei viele Bedeutung haben. Zum Beispiel werden Hunde, Autos und der Apfel als Ball bezeichnet. Nach und nach verstehen sie immer besser, was die Wörter bedeuten und wie man sie richtig verwendet. Dabei lernen sie auch Grammatik und Satzbau. In der Forschung wird dies auch „ungesteuerter Spracherwerb“ genannt.
Rasanter Sprung Zwischen dem 2. und 3. Lebensjahr macht die Sprachentwicklung einen besonders großen Sprung. In kurzer Zeit lernen Kinder immer mehr Wörter und sprechen die ersten längeren Sätze. Bis zum fünften Lebensjahr haben die meisten Kinder dann den Satzbau ihrer Muttersprache verinnerlicht. Auch die Geschichten, die Kinder erzählen, werden immer komplexer. Sie verfügen nun über einen passiven Wortschatz (Wortverständnis) von etwa 9000 bis 14000 Wörtern und einen aktiven Wortschatz (Wortproduktion) von 3000 bis 5000 Wörtern.
Wichtige Impulse für Kinder
Dabei wurde selten ein Bildungsprogramm von pädagogischen Fachkräften sowie Bildungsforschenden so einhellig gelobt wie die „Sprach-Kitas“. 2016 ins Leben gerufen, stellte es Kitas unter anderem eine Sprach-Fachkraft zur Verfügung. „Die wissenschaftliche Evaluation hat gezeigt, dass das Sprach-Kita-Programm gerade in den Kitas sehr gut funktioniert, in denen Kinder aus sehr vielen Nationen zusammenkommen“, sagt Dagmar Bergs-Winkels, Professorin für Kindheitspädagogik an der Alice Salomon Hochschule Berlin. Gleichzeitig hätten die letzten Pisa-Ergebnisse den großen Bedarf an frühkindlicher Sprachförderung deutlich gemacht. Kinder aus Zuwandererfamilien haben demnach besonders schlechte Chancen, im Bildungssystem erfolgreich zu sein.
„Zum Glück erleben wir, dass viele Träger den Bedarf und Sinnhaftigkeit der Sprach-Fachkräfte erkannt haben und sie durch Stellen in der Fachberatung oder Leitungsebene auffangen wollen. Allerdings können sich das längst nicht alle Kita-Einrichtungen, die es nötig hätten, auch leisten“, sagt Bergs-Winkels. Die wahrscheinliche Folge sei mittelfristig wieder weniger Sprachförderung für die Kinder, die sie am dringendsten benötigen.
Maria Kube hat Glück. Ihre Stelle als Sprachkraft in einer Hamburger ASB-Werkstatt-Kita ist langfristig gesichert – durch das Landesprogramm Kita-Plus und Gelder ihres Trägers. Damit kann sie sich weiterhin der Sprachbildung ihrer Kita-Kinder widmen. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist ein Bewusstsein für die eigene Sprache und die Rolle als Sprachvorbild – und das entsteht nicht von heute auf morgen.
Damit Kinder ins Sprechen kommen, brauchen sie im Alltag oft positive Impulse – zum Beispiel durch Fragen, die nicht nur mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden können. Hinzu kommt, dass die pädagogischen Fachkräfte wichtige Bindungspersonen sind. Im besten Fall machen die Kinder bei ihnen die Erfahrung, dass ihre Meinung wichtig ist und sie ernst genommen werden. Das ermutigt auch zum freien Sprechen, Erzählen und Argumentieren. Auch Kinderbücher spielen bei der Sprachbildung eine wichtige Rolle.
Auch Selbstverständlichkeiten kosten Geld
In der In der ASB-Werkstatt-Kita Pillauer Straße wurden eigens mehrere Bücherinseln eingerichtet, in die sich die Kinder zurückziehen und Bücher anschauen können – gemeinsam mit einer pädagogischen Fachkraft, ihren Freunden oder allein. „Gute Kinderbücher bieten auch vielfältige Sprachanlässe. Die Kinder können zuhören, Fragen stellen oder gemeinsam Geschichten erfinden“, erklärt Kube.
Und wenn die Erwachsenen mit dem Finger zeigen, welches Wort sie gerade lesen, erfahren die Kinder, dass Buchstaben und Wörter eine Bedeutung haben und dass man deutschsprachige Texte von links nach rechts liest. Außerdem erleben die Kinder, dass es sich lohnt, selbst lesen zu lernen – mit positiven Auswirkungen auf den späteren Schrifterwerb und Lesenlernen in der Schule aus.
Viel mit Kindern zu reden oder ihnen aus Kinderbüchern vorlesen – das klingt nach Selbstverständlichkeiten. Dennoch brauche man dafür Fördergelder und zusätzliches Fachpersonal, erklärt Dagmar Bergs-Winkels. „Um Kindern auf Augenhöhe zu begegnen, sich ein Spiel erklären zu lassen oder in Ruhe über ein Bilderbuch zu sprechen, braucht es Zeit und Muße. Bei augenblicklichen Gruppengrößen von 25 Kindern und einer angespannten Personaldecke kommt genau das oft viel zu kurz“, sagt sie. In den Sprach-Kitas habe es durch die zusätzliche Fachkraft immerhin mehr Zeit für Reflexion und Austausch im Team gegeben.
Maria Kube kümmert sich nicht nur um Sprachanlässe für die Kinder und Teamfortbildungen, sondern will auch mit den Eltern ins Gespräch kommen. Dafür hat sie zum Beispiel ein Gartenstammtisch-Format ins Leben gerufen. Dabei berichten die Erzieher:innen bei Kaffee und Kuchen über ihre pädagogische Arbeit, beim nächsten Termin geht es um „Alltagsintegrierte Sprachbildung“.
Regelmäßig kommen auch Eltern in die Kita und lesen aus Kinderbüchern in ihrer Landessprache vor. „So bauen wir Brücken zum Elternhaus“, sagt Kube, „auch eine noch so gute pädagogische Arbeit kann die Förderung im Elternhaus nur teilweise ersetzen“, sagt Kube.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies