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Sportsoziologe über Coronakrise„Ich sehe keine Alternative“

Sportsoziologe Bero Rigauer erklärt, die Coronakrise zeige die Fragilität des Profisports. Dennoch ist er skeptisch, dass ein Wandel bevorsteht.

Basketball ohne Zuschauer vor Ort: Nikos Zisis (AEK Athen) wirft in Bonn gegen die Telekom Baskets Foto: imago-images/Jürgen Schwarz
Martin Krauss
Interview von Martin Krauss

taz: Herr Rigauer, der Sport ruht derzeit. Erleben wir so etwas wie eine Entschleunigung?

Bero Rigauer: Wenn ich sehe, was derzeit etwa in der Fußballbundesliga alles versucht wird, dass man mit Geisterspielen möglichst schnell wieder in den Spielbetrieb kommen möchte, dann kann ich eine Entschleunigung wirklich nicht erkennen.

Sondern?

Wenn die Pandemie irgendwann überwunden wird, wovon ja wohl auszugehen ist, dann wird alles wieder werden wie bisher. Also eher Beschleunigung.

Das kann ja auch heißen, dass es nicht bleibt, wie es war, sondern dass es schlimmer wird.

Der bisherige Trend setzt sich fort. Das gilt für viele gesellschaftliche Bereiche: die Politik, die Ökonomie, die Kultur und den Sport.

Haben wir bei diesem Befund nicht vor allem den Profifußball der Männer im Blick?

Ja, aber das lässt sich auch am Beispiel anderer Profiligen beobachten. So hat die Basketballbundesliga entschieden, eine Zehner-Meisterschaft auszuspielen. Es geht um das alte Ziel: Meisterschaft und Geld.

Zehn Klubs spielen weiter, sieben sind aus der Meisterschaft ausgeschieden. Das klingt eher danach, dass sich die finanzstarken Vereine halten.

Im Interview: 

Bero Rigauer, geboren 1934, hatte ab 1975 an der Oldenburger Uni die erste Professur für Sportsoziologie in der Bundesrepublik inne. Von ihm erschienen Grundlagenwerke wie „Sport und Arbeit“ (1969), „Sportsoziologie“ (1982) und „Das Spiel des Sports“ (2017). Er ist weiterhin als Lehrbeauftragter tätig.

Gewiss, Klubs wie Bayern München, Alba Berlin oder Baskets Oldenburg sind dabei. Aber auch beispielsweise Rasta Vechta macht weiter – mit einem Etat, der nicht ansatzweise an die der anderen heranreicht. Es sind gar nicht unbedingt nur die finanzstarken Klubs, die dabeibleiben können. Auch wenn man in die Fußballbundesliga schaut, sieht man, dass es da nicht nur die reichen Klubs sind, die sich halten. Vielmehr zeigt sich, wie fragil die Liga, wie fragil der Profisport ist.

Wie kommt das?

Je mehr sich das Sportsystem – z. B. inhaltlich, organisatorisch und sozial – ausdifferenziert, desto aufwendiger wird seine materielle Reproduktion. Es geht Verbindungen mit anderen gesellschaftlichen Funktionssystemen ein, insbesondere Politik, Ökonomie und Massenmedien, mit der Folge zunehmender finanzieller und programmatischer Abhängigkeit.

Er hängt am Tropf?

Ja, so kann man sagen. Ein Bundesligist wie Baskets Oldenburg beispielsweise kann nicht von seinen Zuschauern leben. Er ist abhängig von anderen ökonomischen Faktoren. Das macht die Fragilität aus.

Bei Geisterspielen gibt es ja weiterhin Zuschauer. Sie befinden sich nur nicht im Stadion.

Zuschauer sind tatsächlich ein Merkmal des Sports. Wenn Geisterspiele jetzt via Fernsehen übertragen werden, haben wir es mit einer digitalen, einer unterbrochenen Interaktion zu tun. Das hat Nachteile: Man kann noch so laut schreien vor dem Fernseher, die Athleten auf dem Rasen werden es nicht hören. Es ist eben der bloß digitale Konsum.

Nun könnte man sagen, dass das ja zur Sportentwicklung gehört. Im Zivilisationsprozess, wie ihn Norbert Elias beschrieben hat, geht ja alles Körperliche zurück, alles wird distanzierter.

Es ist eine erzwungene Distanzierung, mit der wir es gerade zu tun haben. Wir können davon ausgehen, dass sie sich sofort zurückentwickelt, wenn die Pandemie überwunden ist. Dann werden die Zuschauer auch im Stadion wieder da sein.

Die gegenwärtige Krise bietet also keine Chance auf einen entschleunigten Sport?

Die zentrale Codierung dieser kapitalistischen Gesellschaft lautet: Mehr, mehr, mehr! Das ist ja auch explizit das Motto des Sports: Höher, schneller, weiter. Irgendwo bei Marx steht die Formulierung „Geld will mehr Geld“. Eine geniale Formel, die auch den Sport beschreibt.

Dabei heißt es doch derzeit oft, die Coronakrise böte die Chance, innezuhalten.

Ich sehe keine Alternative. Wo sind denn die gesellschaftlichen Diskussionen über eine Alternative zu unserem Wirtschaftssystem? Ich habe neulich ein Interview mit Alfons Hörmann gehört, dem DOSB-Vorsitzenden. Da war keine einzige Idee zu hören, ob man innehalten könnte, ob nicht andere Wege bestritten werden könnten. Es ging nur darum: Wie kriegen wir das Ganze wieder schnell ans Laufen! Sie merken: Ich bin skeptisch.

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1 Kommentar

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  • Vielleicht sollte man nicht Alfons Hörmann hören was der dazu zu sagen hat, sondern einfach mal bei der Partei Die Linke nachfragen. Von der erwarte ich schon lange eine Antwort zum Thema. Da wird sich wohl gedacht, wenn es im kommunistischen China Milliardäre gibt, warum soll es dann im demokratischen Sozialismus keine Fußballer geben, die Millionäre sind.



    In der taz gab es ja vor ein paar Tagen das Interview mit Ines Schwerdtner von "Jacobin", wo die Frage aufgeworfen wurde, ob die "Linke" keine Geschichte erzählen kann, welche die Menschen mitnimmt.



    Auch am Thema Fußball kann jeder sehen, dass sie tatsächlich nicht in der Lage dazu ist.



    Die Partei bringt es nicht auf die Kette, hier Tacheles zu reden. Genau wie bei der Kopftuchdebatte ist hier kein "roter Faden" zu finden. Nur Beliebigkeit. Das ist ein Armutszeugnis für eine sozialistische Partei.