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Sportlerin für FrauenrechteRennen für afghanische Mädchen

Robina Jalali ist als erste Afghanin bei Olympia und zieht später ins Parlament ein. Seit die Taliban wieder an der Macht sind, fehlt von ihr jede Spur.

Bild: Carmen Seils

R obina Jalali ist früh um ihr Leben gelaufen. In den Hügeln bei Kabul trainiert sie barfuß oder in Sandalen. Als sie mit Sprintwettbewerben beginnt, allein unter Jungs, werfen die Taliban Drohbriefe vor ihrem Haus ab. „Ich habe geweint und gefragt: Warum kann ich nicht sein wie die Männer?“ Noch als Kind sagt die afghanische Spinterin ihrem Vater: „Betrachte mich nicht als Frau. Behandle mich wie einen Sohn.“

Robina Jalali hat Glück. Ihr Vater, ein liberaler Geschäftsmann, unterrichtet seine sieben Töchter während der ersten Taliban-Herrschaft heimlich zu Hause. Robina Jalali erinnert sich später an das Aufwachsen als Mädchen unter den Taliban: „Man konnte nicht zur Schule, nicht spielen, nichts machen. Man war einfach die ganze Zeit zu Hause.“ Eine Schule besucht sie erst mit 16 Jahren, nach dem Sturz der Islamisten. Und mit 17 nimmt sie 2004 gemeinsam mit der Judoka Friba Razayee als erste afghanische Frau an Olympia teil.

Jalali wird damit Postergirl des gern zitierten olympischen Geistes, bei dem es nicht ums Gewinnen geht, sondern ums Dabeisein. Über hundert Meter wird sie 2004 mit 14,14 Sekunden Vorletzte, bei ihrer zweiten Olympiateilnahme 2008 wird sie Letzte. „Mein Hauptziel war nicht der Sieg. Ich wollte den Mädchen zeigen, dass es eine Welt jenseits ihres Elends gibt.“

Jalali tritt mit Hidschab und lockerer langer Hose an, und unter dem Nachnamen Muqimyar statt ihres Familiennamens. „Ich wollte nicht, dass die Islamisten meinen Traum beschmutzen, indem sie mich für meine Kleidungswahl kritisieren“, erklärte sie später das konservative Outfit. Viel Hass bekommt sie trotzdem, etwa weil sie als Frau ins Ausland reist. „Ich hatte keine öffentliche Unterstützung.“

Kandidatur fürs afghanische Parlament

Im Gegensatz zu anderen Athletinnen entscheidet Robina Jalali, in der Heimat zu bleiben. „Ich habe jeden Tag mit Angst gelebt. Wenn ich der Angst nachgebe und das Land verlasse, was passiert mit all den Afghan:innen, die zurückbleiben? Was für ein Vorbild wäre ich?“ Nach ihrer Karriere arbeitet sie für die Kabul Bank, dann wählt sie einen weiteren ungewöhnlichen Weg: Mit nur 25 Jahren kandidiert Jalali 2010 als Parteilose für das afghanische Parlament, es geht ihr vor allem um Frauenrechte.

Wieder erhält sie Morddrohungen. „Nachts hänge ich meine Plakate auf und morgens sind sie weg“, erzählt sie der BBC. Täglich gehen Gerüchte um, man habe sie ermordet. Die Scheibe ihres Wagens wird eingeschlagen. Außerhalb des Stadtzentrums kann sie aus Sicherheitsgründen nicht auftreten. Kritisiert wird Robina Jalali auch von Aktivistinnen. Sie sei eine Opportunistin ohne politische Erfahrung. Und Teil der korrupten US-gestützten Nomenklatura um Präsident Hamid Karsai – dessen Bruder gehört die Bank, wo Jalali arbeitet.

2010 wird Robina Jalali nicht gewählt, aber 2018 zieht sie ins Parlament ein. Im selben Jahr wird sie Vizepräsidentin des Olympischen Nationalen Komitees von Afghanistan und im Januar 2020 Chefin des afghanischen Leichtathletikverbands. Jalali bleibt unverheiratet. Und unerschrocken. „Mir sind die Drohungen der Taliban egal, ich bin sie gewöhnt“, sagt sie einmal. Die Ex-Sprinterin gehört zu jenen, die einen Kompromiss mit den Taliban befürworten: Solange diese die Verfassung akzeptierten und Frauen das Recht auf Arbeit, Sport und Bildung einräumten, habe sie kein Problem mit ihnen.

Vielleicht ist das naiv. Auch unter der desaströsen US-Besatzung befürworten viele afghanische Männer etwa körperliche Züchtigung und Ermordung von vermeintlich unsittsamen Frauen. Im August 2021, während des chaotischen Truppenabzugs, kommen die Taliban sofort wieder an die Macht. Seither fehlt von Robina Jalali jede Spur.

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Alina Schwermer
freie Autorin
Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum und Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen und übers Reisen. Autorin mehrerer Bücher, zuletzt "Futopia - Ideen für eine bessere Fußballwelt" (2022), das auf der Shortlist zum Fußballbuch des Jahres stand.
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