Spielfilm über queere Rapperin: Teenies lieben toxisch
In „Heartbeast“, dem Spielfilmdebüt von Aino Suni, verliert eine queere Rapperin ihr Herz an ihre Stiefschwester. An der Figurenzeichnung hapert es.
Sie hat raspelkurzes grünes Haar, ihren drahtigen Körper versteckt sie meist unter weiten Klamotten. Die 15-jährige Elina (Elsi Sloan) gibt schon allein ob ihrer äußeren Erscheinung eine außergewöhnliche Protagonistin ab. Zumindest im Kino, wo – anders als jetzt in der Serienwelt – junge, weibliche Hauptfiguren nur selten gängige Schönheitsvorstellungen unterwandern.
Mit ihrem durchdringenden Blick und ihrer still beobachtenden Art zieht sie unmittelbar in ihren Bann. Während der Eröffnungssequenz schlängelt sie sich an betrunkenen Teenagern vorbei, lehnt die Aufforderung, vor den Feiernden zu rappen, entschieden ab. Kurz darauf verlässt sie die Hausparty, trägt ihren Song stattdessen nur der menschenleeren finnischen Natur vor.
Man gewinnt den Eindruck, dass sich hinter ihrer Zurückhaltung etwas Interessantes verbirgt. Etwas, das sie nicht etwa aus Scham geheim hält, sondern weil es schlicht zu kostbar ist, um es mit jedermann zu teilen.
Der scharfe Kontrast, den Elina so zu ihrem Umfeld verkörpert, tritt mit dem Umzug an die strahlend helle Côte d’Azur noch stärker zutage. Dort quartiert sie sich in das rosafarbene Zimmer ihrer Stiefschwester Sofia (Carmen Kassovitz) ein – und die zwei Jahre ältere Tochter des neuen Partners ihrer Mutter scheint all das zu sein, was Elina nicht ist.
„Heartbeast“. Regie: Aino Suni. Mit Elsi Sloan, Carmen Kassovitz u. a. Finnland/Frankreich/Deutschland 2022, 103 Min. Läuft am 5. 12. im Kino und auf Mubi.
Zu Techno in Tanzwut
Mit ihrer betont femininen Art ist sie an ihrer Schule überaus beliebt. Durch das Ballett hat sie stets eine kleine Schar an gleichaltrigen Bewunderern um sich. Selbstredend fühlt sich Elina von Sofia angezogen, folgt ihr bald auf Schritt und Tritt. Eine erwartbare Machtdynamik spielt sich ein: Elina ist ihr Schatten, Sofia steht im Licht.
Es scheint so, als ob Regisseurin und Drehbuchautorin Aino Suni den altgedienten Grundsatz „Gegensätze ziehen sich an“ walten lässt. Tatsächlich kommt es grundlegend anders: Hinter Sofias vorzeigbarer Fassade lauern ein paar Abgründe. Anders als Elina blickt sie auf eine Drogenhistorie zurück, schleicht sich nachts aus dem Haus und feiert exzessiv.
In einer besonders apart arrangierten Szene fügt die finnische Filmemacherin selbst dem eigentlich mit mädchenhafter Grazilität assoziierten Ballett eine finstere Note hinzu: Mit nicht mehr als einem ledernen Harness bekleidet, verfällt Sofia zu grimmem Techno in Tanzwut.
Das gekonnte Spiel mit Licht und Schatten, das dabei zum Einsatz kommt, ist beispielhaft für Aino Sunis visuell imponierendes Spielfilmdebüt.
Der Film gibt keine Erklärungen
Die Handlung von „Heartbeast“ bleibt hinter diesen kraftvollen Bildern allerdings bald zurück. Nachdem Sofia auf einer Party einen Rap-Song auflegen lässt, den Elina eigens für sie geschrieben hat, nimmt diese grausame Rache an ihrer mittlerweile zur persönlichen Obsession gewordenen Stiefschwester. Nun kommt auch an ihr eine bislang ungekannte Seite zum Vorschein, eine, die wesentlich düsterer ist als Sofias.
Während von Elinas geheimnisvollem Seelenleben zu Beginn des Films noch ein großer Reiz ausgeht, entwickelt sich das Fehlen von Erklärungen für ihr zusehends radikaler werdendes Verhalten zu einem regelrechten Ärgernis. Schritt um Schritt versucht sie Sofia unter ihre Kontrolle zu bringen, sie abhängig von ihr zu machen.
Das komplexe thematische Terrain, auf das sich „Heartbeast“ damit begibt, wird nicht durch eine entsprechende psychologische Tiefe in der Figurenzeichnung aufgefangen. Weil zunächst so nachvollziehbar erzählt wird, ist umso bedauerlicher, dass der Plot später in eine beinah beliebig wirkende, schließlich ermüdende Aneinanderreihung von Grenzüberschreitungen abgleitet.
Wem der Sinn nach einer lesbischen Coming-of-Age-Story samt Protagonistin mit bunten Haaren steht, sehe sich also besser noch einmal „Blau ist eine warme Farbe“ an. Und für queeren Rap mit düsterem Musikvideo ist „Zon“ von der Schwedin Silvana Imam ein lohnenswerter Geheimtipp.
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