Spielfilm über 11. September: Die Frau des Attentäters
Regisseurin Anne Zohra Berrached erzählt in ihrem Film „Die Welt wird eine andere sein“ von 9/11 und der Liebe. Ein Interview mit der Filmemacherin.
Die Studenten Asli und Saeed lernen sich an einer ostdeutschen Uni kennen und verlieben sich. Ihre Beziehung entwickelt sich zunehmend kompliziert und endet mit einer Katastrophe: Der Film „Die Welt wird eine andere sein“ von Anne Zohra Berrached lief dieses Jahr auf der Berlinale und startet jetzt im Kino.
taz am wochenende: Frau Berrached, was wollten Sie in Ihrem Film erzählen?
Anne Zohra Berrached: In erster Linie möchte ich vor einem großen historischen Ereignis eine Liebesgeschichte erzählen, die eine politische Tragweite hat, uns damit alle angeht, größer ist als zwei Liebende, die tragisch auseinandergehen. Dann habe ich gemerkt: Ich will aus den Augen des Partners oder der Partnerin des Verbrechers erzählen.
Wie haben Sie recherchiert?
Die Regisseurin wurde 1982 in Erfurt geboren. Zu ihren Filmen zählen „Zwei Mütter“ (2013) und „24 Wochen“ (2016). Sie lebt in Leipzig und Berlin.
Ich kann nicht verraten, woher ich mein Recherchematerial hatte, aber ich habe intimstes Material gelesen, E-Mails von realen Paaren, und Fotos und Videos gesehen. Ein Fall ist dabei immer mehr in den Vordergrund gerückt. Wir haben das Material irgendwann zur Seite gelegt und gesagt: Okay, jetzt müssen wir unsere eigene Geschichte finden. Die ist angelehnt an echte Personen. Aber sie ist auch frei erzählt.
Zum Beispiel den Abschiedsbrief am Ende gibt es ja. Aber Sie haben bei der Figur Asli viel erfunden. Was war wichtig an ihrem Charakter?
Ich wollte, dass man ihren Charakter durch ihre Familie versteht: Asli denkt, sie hat sich von zu Hause befreit. Sie ist die Erste der Familie, die studiert, gegen den Willen der Mutter. Sie hat sich freigekämpft. Die Mutter ist sehr traditionell – aber nicht streng religiös, das ist ein Unterschied. Asli ist schlau, aber kann das nicht in allen Bereichen sein. Bei der Liebe zu Saeed ist sie nicht immer emanzipiert. Sie hat zu Hause nie gelernt, sich durchzusetzen.
Obwohl der Film aus Aslis Perspektive erzählt ist, stimmt man anfangs auch mal Saeeds Verhalten zu, dann wieder Asli, dann ihrer Mutter. Wie haben Sie das geschafft?
Ja, wir sehen konsequent Aslis Perspektive. Es gibt keine Szene, keinen Moment ohne sie. Wir haben ein Drehbuch geschrieben, das einer klassischen Dramaturgie folgt. Klar war: Die Hauptfigur muss inaktiv handeln, denn das ist das Thema meines Films. Aber das ist eigentlich ein No-Go im Drehbuchschreiben. Das heißt, es wird nicht einfach sein, dass der Zuschauer mit dieser Figur mitgeht. Denn dem Zuschauer könnte die Figur schlimm auf den Keks gehen, er könnte sagen: Mach doch endlich mal was, Mädchen! Der Zuschauer soll das auch denken, nur eben nicht zu doll. Sonst hört er auf, mit ihr mitzugehen. Meine Aufgabe ist es, den Zuschauer zu leiten: Er muss nicht unbedingt mit allem einverstanden sein, was die Hauptfigur tut, aber er muss Empathie mit ihr empfinden.
Im muslimischen Kulturzusammenhang spielt Familie eine große Rolle. Fällt es Asli darum so schwer, sich am Anfang von ihrer araberfeindlichen Mutter zu distanzieren?
Ja, ich habe ihr Verhalten auf zwei Dingen basieren lassen. Einerseits gibt es eine diffuse Schuld gegenüber dem Vater – Asli denkt, sie habe sich nicht genug um ihn gekümmert. Zum anderen ist ihr die Familie wichtig. Keine Türkin, kein Araber würde mir diese Frage nach einer Distanzierung stellen. Man kann sich einfach nicht von der Familie trennen. Das zu denken ist sehr westlich.
Wie gehen die Schauspieler:innen damit um, ein historisches Ereignis zu spielen, das uns alle betroffen hat?
Es ging nie darum, eine Figur nachzustellen. Nur darum, dass die Schauspieler intensiv und glaubhaft spielen. Ich habe zunächst geprobt, ohne ihnen das Drehbuch zu zeigen. Ich habe einfach gesagt: Das ist eine Situation, in der ihr seid, und jetzt geht's los. Dann habe ich das mitgefilmt und das Drehbuch umgeschrieben auf das, was sie improvisiert haben. So ist deren Persönlichkeit stark in das Buch mit hineingeflossen.
In einer Jahrmarktszene, in der sich die beiden das erste Mal begegnen, läuft der Song „Freed From Desire“ mit der Zeile „My baby’s got no money, he’s got his strong beliefs“. Darin steckt schon die gesamte Geschichte. Wie haben Sie das gefunden?
Ich wollte einen passenden Eurotrash-Rummelplatz-Song. Die Drehbuchautorin unseres Films, Stefanie Misrahi, kennt die Texte aller möglichen Songs auswendig. Ich habe ihr gesagt, was wir brauchen, und sie hat sofort diesen Track angeboten. Es wurde natürlich dann noch sehr teuer, die Rechte zu klären. Aber das ist eine andere Geschichte.
Was war für die libanesische Familie der Figur Saeed wichtig?
Wir sollten eine Überraschung erleben. Wir sollten als Zuschauer merken, dass unsere Erwartungen nicht erfüllt werden – Saeed kommt nicht etwa aus einer streng religiösen Familie irgendwo im Hinterland. Genau das Gegenteil ist der Fall: Sein radikaler Hintergrund hat nichts mit der Familie zu tun. Woher und wie er zu dem geworden ist, was er ist, damit beschäftigt sich der Film nicht.
Wieso ahnt Asli nicht, was Saeed plant?
Ob und wie viel sie es ahnt, wissen wir nicht genau. In ihr gibt es einen sehr starken Verdrängungsmechanismus. Nachdem er zum Beispiel plötzlich monatelang verschwindet, hätten sich andere vielleicht von ihm getrennt. In der Zeit im Libanon mit der Familie wird sie das erste Mal richtig damit konfrontiert, da sagen seine Eltern: Du bist eine Verdrängerin! Du musst die Augen aufmachen! Und darüber hinaus mache ich es ihr auch sehr schwer, denn Saeed liebt sie wirklich, das ist ein echtes Gefühl! Ich hoffe, dass der Film es schafft, dass auch die Zuschauer sich ein bisschen in ihn verlieben, dass sie in die gleiche Bredouille geraten wie meine Hauptfigur – obwohl alle Zuschauer eigentlich ab einem gewissen Punkt wissen, dass Saeed ein Verbrecher ist.
Konnten Sie im Vorfeld mit der echten Freundin eines 9/11-Attentäters sprechen?
Ich konnte mit vielen nicht sprechen, weil sie neue Identitäten haben, also gar nicht mehr zu finden sind.
Wie würden Sie Vorwürfen begegnen, dass das schreckliche Ereignis durch den Film verklärt oder bagatellisiert wird?
Ich habe sieben Jahre an dem Film gearbeitet und über solche Vorwürfe natürlich nachgedacht. Und ich würde immer antworten, dass ich konsequent bei dem bleiben muss, was ich machen will, nämlich aus ihrer Perspektive zu erzählen. Für sie war er authentisch liebend. Ich konzentriere mich auf eine einzige Facette: auf die Frau eines Attentäters, darauf, wie sie sich fühlt, auf ihr Innenleben. Ich möchte auf keinen Fall das Verbrechen entschuldigen, das er begangen hat. Und verstehen kann man ihn natürlich eh nicht. Wir haben Roger für die Rolle immer gesagt: Stell dir vor, du bist drogensüchtig, dann wirst du clean, und dann kommt ein Rückfall. So hat er das gespielt.
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