Spielfilm „Der Wald in mir“: Tief, wild, grenzenlos
Sebastian Fritzsch erzählt aus der Perspektive des psychisch kranken Jan, wie es ist, sich zunehmend für ein Tier zu halten – mit dem Wald als Heimat.

Den Titel muss man wörtlich nehmen! Tatsächlich versucht der Filmemacher Sebastian Fritzsch in seinem Spielfilm „Der Wald in mir“ vom Wald aus dem Inneren seines Protagonisten heraus zu erzählen. Und der Wald (gedreht wurde in Niedersachsen, unter anderem bei Emmerthal und Holzminden) ist dabei die große Metapher für das Tiefe, Wilde, Grenzenlose und Unerklärliche in uns: Der Wald als Seelenlandschaft.
Damit ist dieser Film tief in der deutschen Romantik verwurzelt – und auf deren pathetische und leider meist völlig humorlose Empfindsamkeit muss man sich einlassen. Sonst ist man schnell genervt davon, dass hier 91 Minuten lang die Welt aus der Sicht eines jungen Mannes gezeigt wird, an dem das einzig Interessante seine Krankheit ist.
Denn dieser Jan durchleidet eine Psychose. Von der ersten Einstellung des Films an konzentriert sich Sebastian Fritzsch darauf zu zeigen, wie verzerrt die Wahrnehmung seines Filmhelden ist. Jan studiert Biologie, doch wenn er eine Maus sezieren soll, identifiziert er sich so intensiv mit der Kreatur, dass er eine ihrer Leidensgenossinnen aus dem Labor schmuggelt und auf dem Rasen vor der Uni freilässt. Seine dunkel verhangene Wohnung ist voller Tiere in Terrarien, Aquarien und Käfigen.
Eigentlich wäre es sinnvoller gewesen, wenn Jan die Maus als Mahlzeit für eine von seinen Schlangen mit nach Hause gebracht hätte. Aber Sebastian Fritzsch zeigt uns die Realität aus der extrem subjektiven Perspektive von Jan, und in der spielen solche praktischen Erwägungen wie die Fütterung in seinem Einzimmerzoo keine Rolle.
„Der Wald in mir“ von Sebastian Fritzsch (mit Leonard Scheicher und Lia von Blarer), Deutschland 2024, 91 Minuten
Hamburg-Premiere: 8. April, 19 Uhr, Abaton; Hannover-Premiere: 8. April, 20.30 Uhr, Kino am Raschplatz; bundesweiter Kinostart am Do, 10. 4.
Jan verliebt sich in die Umweltaktivistin Alice, und diese Liebesgeschichte liefert den dramaturgischen Bogen der Geschichte. Und bald quäkt und zischt auch Alice wie ein Tier. Aber inzwischen sind wir schon daran gewöhnt, dass Fritzsch alle Register des Illusionskinos wie Lichtsetzung, Farbdramaturgie, ungewohnte Kamerapositionen und ein Sounddesign mit bedrohlich klingenden Natur- und Tiergeräuschen nutzt, um zu zeigen, dass Jan in einer ganz eigenen, von seinen Ängsten und Visionen beherrschten Welt lebt.
Denn, das ist folgerichtig, nur im Wald fühlt er sich heimisch. Dort ist eine Holzhütte sein Refugium, und dort wird er in seiner eigenen Wahrnehmung immer weniger Mensch und immer mehr zum Tier. Als er eine Nacht lang auf einem Baum sitzt und dort so krächzt, sowie mit dem Kopf zuckt wie eine Eule, zieht Alice die Notbremse und lässt ihn einweisen. Hier ist Fritzsch dann doch sehr realistisch, wenn er zeigt, wie der Patient fixiert und ruhig gespritzt wird. Und auch der folgende Absturz von Jan, der seine Wohnung verliert und an der Uni von den Prüfungen ausgeschlossen wird, zeigt der Film in naturalistischen Bildern.
Doch in den letzten Einstellungen scheint Jan dann tatsächlich zu einem Tier im Wald zu werden. Da trägt er eine Zahnprothese, die wie ein Requisit aus einem Werwolf-Film wirkt, und wenn Alice ihn schließlich im Wald sucht, trifft sie auf einen Fuchs, in dem sie Jan zu erkennen glaubt.
Über Sebastian Fritzsch steht im Pressematerial, er habe selbst „Erfahrungen mit Psychosen“ gemacht, und man spürt im Film, wie wichtig es ihm ist, dem Publikum zu verdeutlichen, wie tiefgreifend und zerstörerisch diese Krankheit sein kann. Und mit Leonard Scheicher in der Rolle des Jan hat er einen Darsteller gefunden, der sich sehr intensiv und glaubwürdig in die verschiedenen Stadien einer psychotischen Episode hineinversetzen kann.
Doch weil sich Fritzsch so stark auf die Krankheitsgeschichte konzentriert, gibt er der Figur nicht den Raum und die Zeit, um in den ersten Minuten des Films erst einmal das Interesse und die Sympathie des Publikums zu wecken. So erleben wir Jan nur als einen Kranken, dem eine komplexe Persönlichkeit fehlt, die es viel leichter machen würde, sich in ihn einzufühlen.
Und leider vertraut Sebastian Fritzsch seinen eigenen stilistischen Mitteln nicht so recht, denn nur so lässt sich erklären, dass er die konsequente subjektive Perspektive des Films mit einer wehmütig sentimentalen Filmmusik durchbricht. Oder hört Jan, während er wie ein gejagtes Tier durch den Wald läuft, wirklich in seinem inneren Ohr eine schnulzige Popballade mit einem englischen Songtext?
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