Speicherung von Fluggastdaten: Weniger Rasterfahndung am Himmel
Das BKA muss die Auswertung der Fluggastdaten massiv reduzieren. In den letzten Jahren wurden mehr als 145 Millionen Flugpassagiere erfasst.
Das BKA hat seit dem Start der Flugverkehrsüberwachung im August 2018 bis April 2022 die Datensätze von 145.821.880 Fluggästen gespeichert und ausgewertet. Erfasst werden rund 40 Millionen Flugreisen pro Jahr. Geregelt ist das im Fluggastdatengesetz, das 2017 in Kraft trat und die PNR-Richtlinie der EU umsetzt. PNR steht für Passenger Name Records, also Fluggastdaten.
Erfasst werden dabei alle Flüge in die EU hinein und aus der EU heraus, aber auch alle Flüge zwischen den EU-Staaten. Nur bei rein innerstaatlichen Reisen (beispielsweise von München nach Hamburg) werden die Passagierdaten nicht gespeichert.
Zum einen werden die Fluggastdaten mit polizeilichen Datenbanken abgeglichen, um zum Beispiel flüchtige Straftäter:innen zu erwischen. Laut BKA gab es seit dem Start 20.012 Fahndungserfolge beim Register-Abgleich.
Zum anderen sollen aber auch bisher unbekannte Straftäter:innen anhand bestimmter „Muster“ erkannt werden. Wer zum Beispiel die gleichen Reiserouten nutzt wie Drogenkuriere und sich auch sonst wie ein Drogenkurier verhält, muss mit einer individuellen Überprüfung rechnen. Das BKA meldet beim Muster-Abgleich 670 Treffer in knapp vier Jahren.
Speicherung nur noch sechs Monate
Das BKA, das in Deutschland für die Speicherung und Auswertung der Flugdaten zuständig ist, lobt die Fluggastdatenauswertung als „effektives System“. Auch eine Ausweitung der Überwachung auf den grenzüberschreitenden Flug- und Fährverkehr hält das BKA für „sinnvoll“. Politisch ist das derzeit aber nicht geplant.
Stattdessen muss nun die anlasslose Fluggastüberwachung massiv reduziert werden. Grund dafür ist das Grundsatzurteil des EuGH vom 21. Juni. Der EuGH hat auf Anfrage des belgischen Verfassungsgerichts die Fluggastdaten-Richtlinie der EU geprüft. Das Ergebnis: Die Richtlinie sei nur dann mit EU-Recht vereinbar, wenn sie „eng ausgelegt“ und die Befugnisse der Behörden auf das „absolut Notwendige“ begrenzt werden. Das hat nicht nur Folgen in Belgien, sondern in der ganzen EU. Also auch in Deutschland.
So verlangt der EuGH, dass die Fluggastdaten nicht mehr fünf Jahre lang gespeichert werden, sondern grundsätzlich nur noch sechs Monate. Das ist eine Verkürzung der Speicherdauer auf ein Zehntel der bisherigen Zeit. Zwar wurden die Daten bisher schon nach sechs Monaten „depersonalisiert“, die Namen der Fluggäste waren in der Datei also nicht mehr zu sehen. Doch auf richterlichen Beschluss konnte die Depersonalisierung rückgängig gemacht werden. Laut BKA ist dies in 670 Fällen auch erfolgt. Künftig ist das nicht mehr möglich, weil die Fluggastdaten nach sechs Monaten völlig gelöscht werden müssen.
Kein Einsatz von künstlicher Intelligenz
Der EuGH hat auch die Gründe der Auswertung reduziert. Sie muss sich künftig auf die Verhinderung und Aufklärung von zwei Arten von Straftaten beschränken; erstens auf terroristische Straftaten und zweitens auf Taten, die mit dem Flugverkehr zu tun haben, etwa Flugzeugentführungen. Dagegen sind Datenabgleiche wegen vieler anderer Delikte wie Mord, Vergewaltigung und Umweltkriminalität künftig nicht mehr möglich. Das ist eine massive Beschränkung. Nur 5 Prozent der bisherigen Treffer hatten laut BKA mit Terror zu tun. Der Anteil der Treffer bei flugbezogenen Taten wird noch berechnet, dürfte aber auch eher klein sein.
Zudem hat der EuGH eine anlasslose Speicherung der Fluggastdaten bei Flügen innerhalb der EU verboten. Eine Erfassung und Auswertung ist hier künftig nur noch ausnahmsweise möglich, vor allem wenn eine akute terroristische Bedrohung vorliegt. Laut BKA betreffen bisher aber immerhin 61 Prozent der Datensätze „Intra-EU-Flüge“. Der Großteil der Speicherung entfällt also bald.
Für das größte Aufsehen sorgte der EuGH mit der Auflage, dass bei der Erkennung verdächtiger Muster keine maschinell lernenden Systeme und keine unkontrollierte künstliche Intelligenz mehr eingesetzt werden darf. Der EuGH sah darin die Gefahr, dass die so entstehenden Algorithmen zu Falschverdächtigungen führen. In den Jahren 2018 und 2019 seien in manchen Staaten immerhin fünf von sechs Treffern „falsch positiv“ gewesen, führten also zu einem falschen Verdacht.
Doch hier haben die EuGH-Vorgaben nur geringe Auswirkungen auf Deutschland. Denn das BKA versichert, dass es bei der Mustererkennung keine künstliche Intelligenz und keine maschinell lernenden Systeme einsetzt. Zwar arbeitet auch das BKA mit vermeintlich verdächtigen Reisemustern. Doch die BKA-Muster beruhen auf dem Erfahrungswissen von Kriminalpolizisten.
BKA ist unzufrieden
Mit den bevorstehenden Einschränkungen ist das BKA dennoch unzufrieden. Sie seien „nicht förderlich“ für eine effektive Strafverfolgung und die Gewährleistung von Sicherheit, erklärte eine BKA-Sprecherin. Wann das deutsche Fluggastdatengesetz entsprechend geändert wird, ist noch nicht absehbar. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wertet die EuGH-Entscheidung noch aus. „Bereits jetzt ist aber absehbar, dass sie zu deutlichen Einschränkungen für die Verarbeitung von Fluggastdaten führt.“ Nach Abschluss der Auswertung werde das Ministerium die erforderlichen Anpassungen des Fluggastdatengesetzes „anstoßen“.
Wenn die Politik bei den Fluggastdaten nicht bald reagiert, wird sie Druck von deutschen Gerichten bekommen. Beim EuGH liegen auch fünf Vorlagen aus Deutschland, zwei vom Verwaltungsgericht (VG) Wiesbaden, drei vom Amtsgericht (AG) Köln, alle Klagen wurden von der GFF (Gesellschaft für Freiheitsrechte) koordiniert. Nach den klaren Vorgaben des EuGH vom Juni haben sich die Vorlagen aber wohl erledigt. Die beiden Gerichte wollen jedenfalls bald selbst entscheiden.
Das AG Köln muss klären, ob Fluggesellschaften Daten ihrer Fluggäste an das BKA weitergeben dürfen. Beim VG Wiesbaden geht es um die Frage, ob das BKA diese Daten speichern und auswerten darf. Beide Gerichte können nun zumindest auf die Umsetzung der EuGH-Vorgaben pochen. Die erste Verhandlung am AG Köln soll am 7. November stattfinden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!