piwik no script img

Sparsamkeit in KrisenzeitenIhr Leid ist meine Wut

Von seinen vietnamesischen Eltern hat unser Autor gelernt, sparsam und dem Staat dankbar zu sein. Aber dieses System hat keinen Dank verdient, sagt er.

Unnötige Lichter gehörten ausgeschaltet und der Wasserhahn wurde nie voll aufgedreht Foto: dpa

M einen Eltern war es immer wichtig, zu Hause sparsam zu sein. Nichts sollte verschwendet werden. Unnötige Lichter gehörten ausgeschaltet und der Wasserhahn wurde nie voll aufgedreht. Wenn es kalt wurde, warteten wir bis zum letzten Moment mit dem Heizen. Obwohl ich nie in Armut aufgewachsen bin, war Sparsamkeit ein wichtiger Bestandteil meiner Erziehung. Als Kind habe ich das nicht wirklich verstanden. Erst in den letzten Jahren habe ich nachvollziehen können, warum.

Mein Vater kam als vietnamesischer Vertragsarbeiter in die DDR, meine Mutter kurz nach der Wende in die sogenannten neuen Bundesländer. Die 1990er Jahre waren für beide geprägt von ökonomischen Sorgen, von ihrem unsicheren Aufenthaltsstatus und rechter Gewalt. Trotz aller Widerstände haben sie sich für ein Leben in Deutschland entschieden.

Mit der ersten festen Arbeitsstelle folgte die erste Wohnung und später auch der Aufenthaltstitel. Sie haben sich ihr Bleiberecht erkämpft. Ab und zu erzählten sie mir, wie schwierig die Zeit damals doch war. Wenn ich aber nach mehr Geschichten frage, versuchen sie so schnell wie möglich vom Thema abzulenken. Was genau alles passierte, weiß ich bis heute nicht. Über die Vergangenheit zu reden, halten sie für nicht notwendig – dass es schmerzhaft ist, wollen sie sich vielleicht nicht eingestehen. Verständlicherweise.

Sparsam aus Unsicherheit

Die Gesellschaft wollte meine Eltern nicht, der Staat schaute tatenlos zu und das System profitierte von ihnen. Existenzangst gehörte zum Alltag – egal wann, egal wo. Die Sorge, zu jeder Zeit alles verlieren zu können, hat sich tief in ihr Gedächtnis eingebrannt. Ihre Sparsamkeit ist das Zeugnis dieser jahrelangen Unsicherheit. Es ist deswegen nachvollziehbar, dass sie heute stolz auf ihren sozialen Aufstieg sind. Und ich bin es auch. Ohne meine Eltern wäre ich heute nicht hier. Sie haben sich Tag für Tag ausgebeutet, um uns Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Für ihre Lebensleistung bin ich meinem Vater und meiner Mutter von ganzem Herzen dankbar – cảm ơn bố và mẹ.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Dennoch möchte ich nicht in ihre Fußstapfen treten und dankbar für Deutschland sein. Ein Staat mit einem System, welches Profite über die Bedürfnisse der Menschen stellt, erfährt von mir nicht die geringste Dankbarkeit. Der Kapitalismus hat meine Eltern ausgebeutet und meinem Vater dieses Jahr das Leben genommen. Arbeiten, bis es nicht mehr geht und einen Arzt aufsuchen, wenn es schon zu spät ist – so war es für meinen Vater und so ist es weiterhin für meine Mutter. Ihr Leid ist meine Wut aufs System.

Jetzt, in Krisenzeiten, zeigt sich dieses System von der besten Seite. Während die Lebenshaltungskosten explodieren und die Großkonzerne sich über Krisengewinne freuen, sollen wir wieder sparen und dankbar sein für die kleinen Zuschüsse. Nein, danke. Papa, Mama, ich kann euer Leid nicht rückgängig machen. Ihr sagt immer, dass ich einfach dankbar sein muss – aber eine bessere Welt wird uns nicht geschenkt. Wir müssen sie erkämpfen. Genug ist genug.

Quang Paasch, 21, war die letzten Jahre einer der Sprecher von Fridays for Future. Hier beschäftigt er sich jeden Monat mit der Frage, was falsch läuft und verändert werden muss.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Quang Paasch, 21 Jahre alt, ist Student, Speaker und Aktivist aus Berlin. Seine ersten öffentlichen Auftritte machte er als einer der Sprecher von Fridays For Future. Heute ist er Programmkurator und Moderator in der Urania Berlin, erstellt auf TikTok politische Bildungsvideos für die Tincon und leitet das Medienkollektiv “ZANK.info”. Quang Paasch studiert Sonderpädagogik und Politikwissenschaften an der FU Berlin. In dieser Kolumne beschäftigt er sich ab jetzt jeden Monat mit der Frage, was in unserer Gesellschaft falsch läuft und was verändert werden muss.
Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Bei einem solchen geschichtlichen und sozialen Hintergrund wundert mich das Fazit.



    Dass Rassismus zu verurteilen ist, ist selbstverständlich.



    Der Bogen zum " falschen System" bleibt allerdings vage.Wir leben in Deutschland nicht im Kapitalismus, sondern in der sozialen Marktwirtschaft.



    Der Unterschied sollte für Alle, die ein bisschen über den Tellerrand gucken können, offensichtlich sein.



    Die angeblich " kleinen Zuschüsse" kosten den Staat eine Menge. Tja, in der Demokratie sind wir der Staat und wer es besser machen will, kann sich wählen lassen. Auch dies , als Teil des Systems, ist in Deutschland deutlich einfacher, als z.B. in den USA.



    Die Refinanzierung der Milliarden " kleiner Zuschüsse" obliegt ebenfalls uns, den BürgerInnen.



    Dabei werden wir noch merken, wie " klein" die Zuschüsse waren.



    Das beschriebene Ehepaar war sparsam. "Haushalten" ist ein Begriff aus dieser Zeit, in der man mit dem Geld zurecht kam dass man/ frau hatte. Das ist heute, wo praktisch alles auf Kredit finanziert wird, schwer vorstellbar.



    So scheint auch dem Autor schwer vorstellbar, dass die



    " kleinen Zuschüsse" irgendwie zurückgezahlt werden müssen.



    Klimapolitisch betrachtet geht es nicht nur darum, dass



    " Irgenwer" Klimareperationen zahlt, sondern auch ums Sparen.



    Wer wirklich das Klima schützen will, muss sich bewusst machen, dass das nur mit Einschränkungen geht.



    Gegen das, was wir gerade" Sparen"( wer macht es wirklich?) nennen, wird die nötige Einsparung am persönlichen Fußabdruck ein paar Schuhgrößen mehr ausfallen.



    Einem " Sprecher von fridays for Future " sollte der Zusammenhang auffallen.

  • Zum Kapitalismus und der Dankbarkeit gegenüber dem Staat:

    "Der Kapitalismus ist eine Bestie, die die Welt verheert und letztlich für Ihren Untergang sorgen wird."

    In unserem Staat ist diese Bestie in einen Käfig gesperrt, der ihre Aktionsmöglichkeiten stark einschränkt. Der Käfig wird vom Staat in Stand gehalten, er sorgt dafür, dass die Tür zubleibt, die Gitter nicht verrosten und wir zwar von der Kraft der Bestie profitieren können, dabei aber in Sicherheit vor ihr sind. Dafür muss man dem Staat nicht dankbar sein, denn der Staat – das sind wir alle. Und weil das so ist, leben wir seit mehr als 70 Jahren im Frieden – nicht brüderlich, nicht gleich, aber halbwegs frei und halbwegs sicher. Man könnte allen, die positiv und konstruktiv daran mitarbeiten dankbar sein, das wäre eine Idee.

    Dieses oben beschrieben System ist ungesund, widerlich und gefährlich. Aber es ist das einzige, was man damals hinbekommen hat, und es funktioniert – bislang. Man kann sich schon fragen, ob man dieses System nicht durch etwas Gesünderes, Besseres ersetzen könnte. Ob es klug ist, dafür an diesen Gittern zu sägen und zu rütteln? Meine Generation hat das nicht getan. Die einen hatten zu viel Angst vor den Folgen, viele fanden wohl auch Gefallen an Ihrer vermeintlichen Machtposition gegenüber der Bestie – und haben gut von ihr profitiert.

    Das alles fällt jetzt auf die Füße der jungen und zukünftigen Generationen. Alles was wir geschafft haben war 70 Jahre Frieden, und den Anfang vom Ende der Welt. Was jetzt kommt, müsst ihr entscheiden. Also entscheidet, setzt euch zur Wehr. Rüttelt an den Gittern. Für alles was dann folgt, seid ihr verantwortlich.

  • tja, was soll man sagen. wenn in berlin am kudamm viele luxusboutiquen nachts um 2 hell erleuchtet sind, obwohl wir krieg haben, obwohl wir alle strom sparen sollen, obwohl es eine verordnung gibt - diese ordnungswidirgkeit nur im nebensatz irgendwo in der letzten lokalspalte gerade noch so erwaehnt wird -



    ich verstehe die wut des autors. uebrigens hab auch ich diese wut, ganz ohne familiaere hintergeschichte. ich habe einfach wut auf den fetten, arroganten, selbstgefaelligen teil dieses deutschlands, die erhabenen, the entitled, die sich selbst feiern, so frei zu sein, alles tun und lassen zu koennen, was ihnen beliebt, und wenn dabei noch gesetze ueberschritten werden - umso besser. denn auf den staat wird im allgemeinen schon lange geschissen. ueber den staat kann man sich hoechstens beschweren. seit es keine erkennbaren pflichten mehr gibt. wie z.b. die wehrpflicht. seitdem hat der staat jede autoritaet verloren. staat, was nervst du? so wirken politiker heute wie bei der treibjagd, vom volk vor sich hergetrieben, und statt der tugend, sich zu erklaeren im geiste einer demokratischen transparenz, wirken sie gehetzt und sich rechtfertigend. wir sind das volk, und wer seid ihr?



    das ganze fuehrt dann dazu, dass sich der rechte und konservative teil dazu hinreissenlaesst, absurden forderungen zu folgen, atomkraftwerke laenger laufen zu lassen. wir brauchen mehr strom! wir haben zu wenig! damit wir ihn unnuetz vergeuden koennen, wir wellness-juenger deutschlands! lasst alle schaufenster 24/7 den ganzen winter erstrahlen, macht hoch, die temperatur, das tor macht weit, schoen weit auf, damit alle es schoen warm haben UND frische luft gleichzeitig, alles andere wirkt aermlich.



    und meine wut steigert sich ins unermessliche, wenn ich dann bilder aus der ukraine sehe, wo menschen ohne strom und ohne heizung leben muessen.



    es ist ja nicht so, dass keiner spart, aber der teil, der sich einen dreck drum schert, kommt wie immer lachend und feixend davon.

    • @the real günni:

      "Wir haben Krieg"? Ich kenne hier niemanden, der/die kämpft, tötet oder beim Kampf getötet wird. Sie? Auch ist unsere Infrastruktur intakt.

    • @the real günni:

      Und mitten im grün-dominierten Bergmannkiez heizt ein Restaurant die große, aber vollkommen leere Terrasse mit einem halben Dutzend Gasbrennern. Natürlich auf höchster Stufe, es ist schließlich kalt heute. Schicki-Micki-Matzbach ist das Klima total wumpe. (Warum) ist das erlaubt?

  • "Ein Staat mit einem System, welches Profite über die Bedürfnisse der Menschen stellt, erfährt von mir nicht die geringste Dankbarkeit."

    Masel tov!

  • Wohl wahr.

    Wenn mal wieder der Satz "wir leiden hier unter den Sanktionen" fällt, sollte man mal zurückblicken, welche Leute denn eigentlich warum unter den Sanktionen leiden und ob das nicht sehr viel mit der neoliberalen Politik der letzten 20 Jahre und nur sehr wenig mit der Ukraine und den Gaspreisen zu tun hat.

  • "Eine bessere Welt erkämpfen". Das ist so einfach geschrieben, aber wie sieht "die bessere Welt aus"? Meine Gegenrede: Ich wäre schon lange tot, wäre ich nicht hier geboren. Ich kenne kein anderes System, in dem Menschen Zugang zu einer besseren Kranken- etc.pp.-Behandlung haben.

  • Menschen wie Sie brauchen wir hier noch viele mehr.

    Vielleicht bekommen wir eine solidarische Gesellschaft irgendwann gebacken.