Spannervideos bei Fusion Festival: (K)ein Ort für sexualisierte Gewalt
Auf der Fusion soll heimlich in Duschen gefilmt worden sein. Es ist der zweite bekannte Fall eines linken Festivals. Wie kann es Schutz geben?
Einmal im Jahr soll für vier Tage in Lärz, einem kleinen Ort in Mecklenburg-Vorpommern, eine Parallelgesellschaft entstehen. „Ein Karneval der Sinne, in dem sich für uns alle die Sehnsucht nach einer besseren Welt spiegelt“, so schreiben es die Veranstalter*innen des Fusion Festivals, der Kulturkosmos Müritz e. V., auf ihrer Website. Doch, dass auch linke Räume nicht frei von patriarchalen Strukturen und sexualisierter Gewalt sind, zeigt sich aktuell an zwei Fällen.
Auf der Fusion sollen Menschen in Duschen gefilmt worden seien. Das geht aus der Stellungnahme des Kulturkosmos hervor, die am Montagabend im Forum der Fusion veröffentlicht wurde. Es handelt sich demnach um vier Videos, die bei der Pornowebsite xHamster vom Nutzer „Hannes Lange“ (hanneshiddencam) hochgeladen wurden, vom 23. bis 28. Januar öffentlich für alle Nutzer*innen einsehbar waren und 16.000 bis zu 37.000 Aufrufe hatten. Die Kamera soll so platziert gewesen sein, dass die Körper von der Schulter abwärts erkennbar waren, sowie mehrere Nahaufnahmen von weiblichen Körperteilen gemacht wurden; Gesichter und Köpfe sollen auf den Aufnahmen nicht zu sehen sein.
Das Erstellen und Weiterverbreiten solcher Videos ist in Deutschland eine Straftat, eine schwerwiegende Verletzung der intimen Privatsphäre und kann als sexualisierte Gewalt verstanden werden. Dass dies nun auf dem linken Festival Fusion geschieht, ist nicht nur für die Betroffenen schlimm. Viele Festivalgänger*innen der Fusion und die Veranstalter*innen sind verunsichert und enttäuscht. Denn die Fusion möchte eine Alternative zu vergleichbar großen Festivals wie Rock am Ring oder das Hurricane sein.
„Vier Tage Ferienkommunismus“
Seit 1997 treffen sich die Festivalgänger*innen jährlich Ende Juni/Anfang Juli auf einem ehemaligen russischen Militärflugplatz in der mecklenburgischen Gemeinde Lärz. Was als kleiner Rave begann, ist mittlerweile ein Festival mit 70.000 Besucher*innen unter dem Motto „Vier Tage Ferienkommunismus“. Neben elektronischer Musik, Kino, Theater und Diskussionen geht es bei dem Festival vor allem darum, eine Alltagsflucht aus der kapitalistischen Gesellschaft anzubieten.
Das Line-up ist im Vorfeld nicht bekannt, das Essen vegetarisch oder vegan, das Festival kommt ohne Werbung und Sponsoren aus und positioniert sich klar gegen rechts. Es geht um Hedonismus, aber auch um ein politisches Gegengewicht zu einer patriarchalen und immer weiter nach rechts rutschenden kapitalistischen Gesellschaft. Es gibt einige kleine Festivals in Deutschland mit einer ähnlichen Ausrichtung, doch keines in der Größenordnung der Fusion.
Dass Spannervideos auftauchen, die auf einem linken Festival entstanden sind, passiert nicht zum ersten Mal. Anfang des Jahres hatte das Reportage-Format „Strg_F“ von Funk vergleichbare Straftaten auf dem linken Festival Monis Rache aufgedeckt. Drei Jahre lang soll dort ein Mann Frauen in Dixi-Klos gefilmt und diese Videos ebenso bei „xHamster“ hochgeladen, getauscht und verkauft haben.
Vom Umgang der „Monis Rache“-Organisator*innen mit dem Vorfall sind viele Betroffenen und Festivalgänger*innen enttäuscht. Statt Anzeige gegen den Täter zu erstatten, dessen Identität dem Festival bekannt ist, setzen die Organisatori*innen auf ein „Transformative Justice“-Konzept. Sie versuchen also, den Täter dazu zu bringen, Verantwortung zu übernehmen, anstatt ihn anzuzeigen. Nur: Dieses Konzept wurde beschlossen ohne mit den mutmaßlich Betroffenen zu sprechen. Auch äußerten sich die Organisator*innen von Monis Rache zu dem Fall erst Monate später. Ihr Vorgehen war wenig transparent. Viele Betroffene, so berichtete es die taz, sehen in dem Umgang des Festivals vor allem eines: Täterschutz. Mittlerweile hat die Polizei Anklam Anzeige erstattet, das Verfahren liegt bei der Staatsanwaltschaft Stralsund.
Aufruf zum Anzeige erstatten
Und die Fusion? Die möchte anders als Monis Rache mit dem Vorfall auf ihrem Festival umgehen. Durch eine anonyme E-Mail erfuhren die Veranstalter*innen von den Videos, stellten dann umgehend mit Hilfe eines Anwaltes Strafanzeige gegen Unbekannt und ließen die Videos löschen. Sie richteten eine Mailadresse ein, an die alle direkt oder indirekt betroffenen Personen schreiben können. Und bei Bedarf will die Fusion in Berlin ein Vernetzungs-/Unterstützungstreffen organisieren, gemeinsam mit einem anwaltlichen Beistand und der Fusion-Awareness-Crew. Letztere ist in den vergangenen Jahren eingesetzt worden, um bei Belästigung und Grenzüberschreitungen einzuschreiten und sich um die Betroffenen zu kümmern.
Zudem ruft das Festival Menschen, die sich in den Videos erkannt haben, dazu auf, Anzeige zu erstatten. Denn die Behörden würden erst aktiv werden, wenn Anzeigen von Betroffenen eingegangen sind.
Seit Montagabend haben sich schon einige Leute bei der Fusion gemeldet, jedoch keine, die sich auf den Videos erkannt haben, sagt Andrea Möller vom Kulturkosmos gegenüber der taz. Das ist vor allem deshalb schwierig, da die Videos nicht mehr Online stehen, und die Tausenden Personen, die womöglich die Duschen genutzt haben, gar nicht wissen, ob sie überhaupt betroffen sind. Erschwerend kommt hinzu, dass in dem offiziellen Statement der Veranstalter*innen nicht steht, in welchem Jahr die Videos erstellt wurden.
Mittlerweile geht der Kulturkosmos aber davon aus, dass sie auf dem Festival im Jahr 2019 aufgenommen wurden. Sie wollen das aus den Aufnahmen der Duschen schließen, die zuvor renoviert wurden und sich bei der Bachstelzenbühne befinden sollen. Es handelt sich dabei um zwei Container, in denen es jeweils fünf abschließbare Duschkabinen nebeneinander gibt. Um die Duschenden zu filmen, muss man den engen Vorraum des Containers betreten. Die Veranstalter*innen gehen davon aus, dass die Kamera in einer abgestellten Rucksack oder ähnlichem platziert war.
Zu klären ist nun, ob der Täter von Monis Rache, der in linken Kreisen bekannt ist, auch der Filmer der Fusion ist. Möller sagte, dass sie noch nicht wissen, wer der Täter ist. Sicher sei aber, dass der Täter von Monis Rache nicht zu ihrem Organisationsteam gehört und die vergangenen zwei Jahre auch nicht auf der Fusion gearbeitet hat. Ob er als Gast anwesend war, wissen sie nicht.
Zwischen Freiraum und Schutzraum
Auf zwei linken Festivals hat es nun also nachweislich Vorfälle sexualisierter Gewalt gegeben. Wie kann der Wunsch nach Freiraum für alle in Zukunft mit dem Bedürfnis eines Schutzraumes – vor allem für Frauen – vereinbart werden? Wie kann verhindert werden, dass Täter Festivalgänger*innen heimlich filmen und die Videos auf Pornowebseiten weiterverbreiten? Können Taschenkontrollen vor Sanitäranlagen helfen? Braucht es mehr Security?
Die Fusion kündigt für ihr Festival Ende Juni neue „Vorsichts- und Kontrollmaßnahmen“ an. Wie diese konkret aussehen, steht zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht fest. „Doch es wird keine totale Überwachung auf dem Fusion Festival geben, das ist schon mal klar. Einen allumfassenden Schutz gibt es in unserer Gesellschaft nicht“, sagt Möller vom Kulturkosmos. Bei der Fusion nehme man das Problem trotzdem ernst, und man wolle sich neue Strategien erarbeiten. Dazu gehört auch, dass das schon bestehende Awareness-Team vergrößert werden soll.
Das ist jetzt schon deutlich mehr als von den Veranstalter*innen von Monis Rache zu hören war, der Kulturkosmos Müritz scheint die mutmaßlich Betroffenen ernst zu nehmen – ein erster und wichtiger Schritt. Doch ob das reicht, um sexualisierte Gewalt auf linken Festivals zu erkennen und gänzlich zu verbannen? Was nun stattfinden muss, ist die Einsicht, dass auch linke Festivals nicht frei sind von Gewaltstrukturen. Und es braucht eine Abkehr von Machostrukturen – in der Gesellschaft, aber auch insbesondere bei Festivals. Die Freiheit für die einen, darf keine Schutzlosigkeit für andere bedeuten.
Hinweis: In einer ersten Version hieß es, dass die Videos auf xHamster 300 bis 500 Aufrufe hatten. Die Zahl ging aus der Stellungnahme der Fusion hervor. Mittlerweile haben die Veranstalter*innen in einer aktualisierten Stellungnahme die Anzahl der Aufrufe korrigiert. Wir haben die neue Zahl in diesem Text angepasst.
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