Spanischer Supercup in Saudi-Arabien: Der Mumm des Altstars
Fußball im heiklen politischen Raum: Warum Fußballprofi Toni Kroos in Saudi-Arabien plötzlich vom Publikum ausgepfiffen wird.
T oni Kroos gilt als meinungsstark. Mit seinem Bruder ratscht er sich in eigenem Podcast durch die Fußballwelt, und einen ZDF-Reporter belehrte er sogar mal nach gewonnener Champions League, er solle nicht so dumme Fragen stellen. Oft lohnt es sich durchaus, dem deutschen Ex- und vielleicht Bald-wieder-Nationalspieler zuzuhören. Zum Thema Saudi-Arabien nannte er beispielsweise mal offen „das eine, was mich von einem Wechsel abhalten würde“: die Missachtung der Menschenrechte.
Zugehört haben sie ihm offenbar auch in Saudi-Arabien selbst. Dort wird derzeit der spanische Supercup ausgespielt – ein Arrangement gegen 40 Millionen Euro pro Ausgabe, das für Kroos in die Kategorie der Veranstaltungen fällt, bei der er Real Madrids Reisedelegation nur deshalb beehrt, weil „wir Marionetten von Fifa, Uefa und den anderen Verbänden sind“. Am Mittwoch stieg das Halbfinale gegen Atlético Madrid (5:3), und Kroos wurde bei jedem Ballkontakt wüst ausgepfiffen. „Amazing crowd“, schrieb er später lässig auf X, vormals Twitter: Tolles Publikum, was für ein Spaß.
Ähnlich ironisch äußerte sich der Trainer des Rivalen, Diego Simeone: „Ich freue mich sehr über die vielen arabischen Fans, die Atlético unterstützt haben, das ist ein enorm wichtiges Wachstum des Vereins.“ Ironisch war das deshalb, weil es das komplette Stadion mit Real hielt, samt eines Blocks von Claqueuren, die genau an derselben Stelle in genau derselben Einheitskleidung genau dieselben Lieder sangen wie im heimischen Stadion Santiago Bernabéu.
Auch Pfiffe bei Beckenbauer-Gedenken
Nur halt nicht, wenn Toni Kroos am Ball war. Und auch nicht, als der ausrichtende spanische Verband vorm Anpfiff eine Schweigeminute für Franz Beckenbauer anordnete. Da mischten sich unerhörte Pfiffe von den Tribünen in die getragene Geigenmusik, die zu solchen Anlässen in La Liga ertönt.
Wie Recherchen der mitgereisten Reporter ergaben, waren die Unmutsbekundungen allerdings wohl nicht als Affront gegen den Kaiser gemeint; das hätte auch überrascht, stimmten die Saudis doch etwa bei der WM-Vergabe 2006 brav für ein Deutschland, dessen Regierung jetzt gerade Waffenlieferungen genehmigt hat. Vielmehr, so die Berichte, sollten die Pfiffe ein Unverständnis über die im Land unbekannte Schweigegeste artikulieren.
Schon vor sieben Jahren kam es bei einem WM-Qualifikationsspiel in Australien zu einem ähnlichen Eklat, als die saudischen Gästespieler eine Schweigeminute für Terroropfer in London boykottierten. Alles ein Missverständnis, beeilten sich die Saudis damals zu erklären. Einen hässlichen Eindruck hinterlässt so etwas trotzdem. Vor dem zweiten Halbfinale zwischen Barcelona und Osasuna (2:0) verzichtet man daher lieber ganz auf die Ehrung.
Als Erinnerung für „den Westen“ und seinen Sport bleibt, dass seine lukrativen Deals mit Saudi-Arabien eben nicht nur einen amorphen „Markt“ erschließen, der Trikots kauft, Fernsehabos abschließt und Social-Media-Postings feiert, sondern in einem konkreten politischen Raum stattfinden. Die Naivität, dass sich die Golfstaaten ob des hohen Besuchs einfach nur vor Dankbarkeit erschlagen fühlen, wird spätestens bei der mächtigen, sendungsbewussten und in seinen Methoden oft brutalen Saudi-Diktatur zu nichts als vorsätzlicher Dummheit.
Zum Finale am Sonntag hin wird es spannend: Wieder Pfiffe gegen Kroos oder keine Pfiffe? Wird sich Reals PR-Abteilung den Spieler zur Seite nehmen, damit er den kommerziell so wichtigen Standort durch ein paar freundliche Worte besänftigt? Oder wird das saudische Regime die Fans disziplinieren, damit sie nicht weiter die Aufmerksamkeit auf ein Thema lenken, von dem man sich doch reinwaschen will? Man weiß nicht so ganz, welches Szenario man gruseliger finden soll.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Mögliche Neuwahlen in Deutschland
Nur Trump kann noch helfen
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln
Prognose zu KI und Stromverbrauch
Der Energiefresser
Nahost-Konflikt vor US-Wahl
„Netanjahu wartet ab“
FAQ zur Rundfunkreform
Wie die Öffentlich-Rechtlichen aus der Krise kommen sollen
Umgang mit Trauer
Deutschland, warum weinst du nicht?