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Spanien verweigert 5-Prozent-NatozielDer Trump die Stirn bietet

Reiner Wandler
Kommentar von Reiner Wandler

Spanien will sich nicht verpflichten, den Rüstungshaushalt auf 5 Prozent anzuheben – und zeigt damit: Es ist möglich, sich den USA zu widersetzen.

¡Dame esos cinco? No, sagt Ministerpräsident Pedro Sánchez. Er weigert sich den Rüstungshaushalt auf 5 Prozent anzuheben Foto: Diego Radamés/dpa

D er spanische Ministerpräsident hat sich wieder einmal durchgesetzt. Wie einst bei der Frage der Strompreisbildung während der Energiekrise zu Beginn des Ukrainekriegs gegenüber der Europäischen Union erzielte der Sozialist Pedro Sánchez erneut eine „iberische Ausnahme“. Anders als alle anderen wird sich Spanien nicht dazu verpflichten, den Rüstungshaushalt auf 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) anzuheben, wie es US-Präsident Donald Trump fordert. Es werden 2,1 Prozent sein – und dabei wird es vorerst auch bleiben.

Das erreichte der sozialistische Chef einer in Minderheit regierenden Linkskoalition noch vor der Eröffnung des Nato-Gipfels in Den Haag. Aus den USA verurteilt dies ein wütender Trump, und in der übrigen Nato müssen so manche heftig schlucken – und trotzdem: Sánchez hält tapfer stand.

Indem er Trump die Stirn bietet, kommt er nicht nur den Forderungen seiner linksalternativen Koalitionspartner entgegen, sondern erfüllt auch den Wunsch eines großen Teils der spanischen Bevölkerung. Spanien ist sowohl ausgesprochen EU-freundlich als auch gegenüber der Nato so kritisch eingestellt wie kaum ein anderes Land in beiden Bündnissen – und das betrifft nicht nur die Linke. Spanien trat 1986 erst nach einem Referendum der Nato bei; die Gegner konnten über 43 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Es ist das Land der Proteste gegen Kriege – sei es gegen den Irakkrieg, über den die damalige konservative Regierung stürzte, oder aktuell gegen den Feldzug Israels im Gaza­streifen. Den Kriegstreibern Trump und dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu zu folgen, wäre für Sánchez tödlich – das weiß er.

Die einzige dissonante Stimme

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Vor laufender Kamera wagte der Spanier den Spagat. Die Verpflichtung seines Landes bestehe darin, operative Fähigkeiten bereitzustellen – nicht darin, einen bestimmten Prozentsatz zu erreichen. Gleichzeitig bekennt sich Sánchez ausdrücklich zu einer europäischen Verteidigung. Er bekräftigte, weiterhin an allen Strukturen der Nato teilzunehmen und Truppen sowie Material bereitzustellen, stellte jedoch Diplomatie und Friedenspolitik über Kriegsbereitschaft: Kriege – das scheint heute in Vergessenheit geraten zu sein – würden keine Gewinner kennen.

Diese Weigerung, sich Washington zu beugen, verschafft Sánchez Glaubwürdigkeit – weit über sein Land hinaus. Der Spanier ist damit die einzige dissonante Stimme im lauten Aufrüstungs-Säbelrasseln der anderen europäischen Hauptstädte. Und er zeigt: Es ist möglich, sich Trump zu widersetzen.

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Reiner Wandler
Auslandskorrespondent Spanien
Reiner Wandler wurde 1963 in Haueneberstein, einem Dorf, das heute zum heilen Weltstädtchen Baden-Baden gehört, geboren. Dort machte er während der Gymnasialzeit seine ersten Gehversuche im Journalismus als Redakteur einer alternativen Stadtzeitung, sowie als freier Autor verschiedener alternativen Publikationen. Nach dem Abitur zog es ihn in eine rauere aber auch ehrlichere Stadt, nach Mannheim. Hier machte er eine Lehre als Maschinenschlosser, bevor er ein Studium in Spanisch und Politikwissenschaften aufnahm. 1992 kam er mit einem Stipendium nach Madrid. Ein halbes Jahr später schickte er seinen ersten Korrespondentenbericht nach Berlin. 1996 weitete sich das Berichtsgebiet auf die Länder Nordafrikas sowie Richtung Portugal aus.
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18 Kommentare

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  • Hätte Europa doch nur mehr solcher Politiker mit Rückgrat.

  • Respekt!

  • Spanien ist ja maximal weit weg von Russland.

    In Estland sieht man das wahrscheinlich anders.

  • ... geht doch.



    da sollten sich die alle anderen ein Beispiel dran nehmen.



    Aber leider sitzen sie ja lieber dort, wo es dunkel und warm (37 Grad) und alles vergoldet ist.

  • Er bietet weniger Trump die Stirn, als dass er vor seinen Koalitionspartnern kuscht, und indirekt auch vor Putin.

  • Na klar ist es möglich sich den USA, insbesondere Trump, zu widersetzen. Eigentlich ist das sogar die Aufgabe europäischer Politiker. Leider haben weder sie, noch unsere Wirtschaftsbosse, genug Rückgrat dafür. Schmusekurs mit megalomanen Protonazis führt nie zu etwas Gutem. Irgendwie fällt mir da der arme Chamberlain 1939 ein. Damals nannte er sein vermeintliches Husarenstück von München ganz vollmundig 'Appeasement'. Elf Monate später fing der zwote Weltkrieg an.

  • Das friedenspädagogische Dogma das Kriege keine Gewinner kennen würden ist zwar moralisch gut gemeint aber empirisch leider nicht haltbar. Natürlich sieht sich Putin als Gewinner seiner Aggression wenn er sein Reich erweitert egal welchen Preis es kostet. Israel hat die strategische Bedrohung durch den Iran stark reduziert. Die Ukraine überlebt als Staat nur weil sie bereit und in der Lage ist Krieg gegen die russische Aggression zu führen. Kriege haben selbstverstöndlich einen hohen Preis aber auch ihren Zweck. Lettland, Littauen, Estland, Polen und Finnland können es sich aufgrund ihrer geographischen Lage im Gegensatz zu Spanien leider nicht leisten verteidigungs- politische Trittbrettfahrer zu sein.

  • Nein, Sancheź küsst nicht das Hinterteil von Trump. Der Mann hat Rückgrat und Verstand und ist in seiner Auswahl wen er küsst, besonders wählerisch.



    "Und er zeigt: Es ist möglich, sich Trump zu widersetzen."



    Ja, ist es, aber nicht von unserer derzeitigen Regierung.

  • Ja, das ist ein mutiger Schritt und die grundsätzliche Einstellung teile ich.



    Allerdings bedarf es massiver Investitionen um sich, in Europa , militärisch von dem immer unsicheren "Partner" USA unabhängig zu machen.



    Das 5% Ziel wird durch 3,5% in Rüstung und 1,5% in Infrastruktur übrigens zielführend relativiert.



    Den Schritt in die Unabhängigkeit halte ich für richtig. Eine weiterer Schritt wäre eine europäische Armee, die den brüchigen Nordadlantikpakt ablösen könnte.



    Das funktioniert aber nur, wenn entsprechende Kapazitäten vorhanden sind.



    Merz meint, hier sei Maulheldentum ausreichend.



    Es ist daher gut, dass das Verteidigungsministerium in kompetenten Händen ist.



    Die Union will durch verbale Großspurigkeit die Eingeständnisse im Koalitionsvertrag vergessen machen.



    Da agiert die Union trump und Konsorten nicht unähnlich.



    Traurig, dass die Medien diese Kampagne nur widergegeben und nicht hinterfragen.



    Selbst die Taz scheint sich, unabhängig von Inhalten, so dem Ziel die Union zu stärken und die Sozialdemokratie zu schwächen verschrieben zu haben.

  • Abgesehen von Kanada, Portugal und Island (das keine eigene Armee unterhält) ist Spanien auch weiter von Russland entfernt als jedes andere NATO-Land.

  • Nun ist Spanien in Europa auch - neben Portugal - am weitesten weg von der russischen Grenze.

    Natürlich bekundet Sanchez noch Bündnistreue.

    Ich glaube es aber nicht.

    Ich denke, wenn Russland in Estland oder Litauen einmarschiert, wird es die NATO sprengen.

    Nicht alle Staaten werden bereit sein, ihre Soldaten für Menschen auf der anderen Seite Europas sterben zu lassen.

    Die Spanier werden nicht die Einzigen sein.

  • Wenn eine Organisation wie die NATO einzelne Staaten dazu verpflichten möchte, ihren Haushalt an den nationalen Parlamenten vorbei auf Kriegsvorbereitung auszurichten, dann ist das anti-demokratisch, und das ist noch der geringere Vorwurf. Eine politische Ordnung, in der so etwas möglich ist, ist es m.E. nicht wert, verteidigt zu werden. Der spanische Ministerpräsident ist momentan die einzige Stimme der Vernunft und der Demokratie in einem zunehmend autoritären und außenpolitisch schlafwandelnden europäischen Chor.

  • Natürlich ist es möglich sich Trump zu widersetzen!

    • @nutzer:

      Und das Beste ist, Putin freut es auch! Für manche also krasses Win-Win...

      • @DemianBronsky:

        Putin freut es vor allem, wenn wir den Sozialstaat noch weiter zersetzen, um hanebüchenen Rüstungsausgaben zu finanzieren, die ohnehin nur im Sumpf der Rüstungsindustrie versackern (wie die Milliarden, die wir jetzt schon ausgeben).

        Denn das garantiert, dass nach der nächsten Wahl Kanzler Höcke Putin direkt einlädt.

  • Eine ganz andere Perspektive, in der Putin und die Mullahs gar nicht vorkommen. Möglicherweise wäre es sinnvol, mal die Infoquellen kontrollieren!

  • Klar, weit weg von der russischen Bedrohung kann man sich sicherer fühlen.



    Man sollte sich dann an anderer Stelle auch nicht unbedingt auf Solidarität in EU und Nato hoffen.

  • "Es ist möglich, sich Trump zu widersetzen."



    Natürlich ist es möglich. Und das sich ein Sozialist Trump widersetzt ist nichts Ungewöhnliches - ungewöhnlich wäre es, wenn er als Sozialist Trumps Forderungen nachkommen würde.



    Für Deutschland ist das keinerlei richtungsweisend - weder regiert bei uns eine linke Minderheitenregierung, noch ist unser Kanzler ein Sozialist.



    Äpfel mit Birnen 🤷‍♂️