Spahn gegen Corona-Aprilscherze: Nur mit Humor zu ertragen
Das Gesundheitsministerium bittet, am 1. April auf erfundene Corona-Geschichten zu verzichten. Doch gerade Krisenzeiten brauchen Scherze.
W ussten Sie schon: Die Bundesregierung plant Gutschriften für Bordellbesucher, einlösbar für die Zeit nach Corona. In diesen „schweren Zeiten geschlossener Prostitutionsstätten“, so das Gesundheitsministerium, bräuchten Freier eine Perspektive. Und: KrankenhauskleidungsfetischistInnen sollen mit einer Sonderabgabe belegt werden, weil sie derzeit „wichtige Ressourcen wie Atemmasken und Plastikkittel unnötigerweise für sexuelle Aktivitäten binden“.
April, April, natürlich. Geht es nach dem Ministerium, sollte es keine Aprilscherze mit dem Coronavirus geben. Jens Spahns Haus empfahl, „auf erfundene Geschichten zu der Coronavirusthematik zu verzichten“, denn sie könnten zur „Verunsicherung“ beitragen. Spahns Humorpolizei hat etwas falsch verstanden: Gerade Krisenzeiten brauchen Scherze, weil sie ohne sie nicht zu ertragen sind. Dass ein Witz befreiende Wirkung haben kann, sollte auch das Gesundheitsministerium wissen.
Gute Aprilscherze halten der Öffentlichkeit den Spiegel vor, parodieren oder entlarven sie, etwa den Irrsinn der Corona-Breaking-News. Wieder 812 Tote in Italien! USA überholt bei den Toten jetzt Spanien! Manche Medien und Social-Media-Aktive schreiben so. Selbst formal korrekt, sind solche Schlagzeilen geifernder Sensationsjournalismus und viel gefährlicher als gut überlegte April-Falschmeldungen, die kurz darauf als Unsinn erklärt werden.
Bedenklich ist ein gesellschaftliches Klima, in dem ein Ministerium Empfehlungen zum Humorverzicht ausspricht. Wir leben in Zeiten, in denen ein hingeworfenes „Geht's dir gut?“ normal geworden ist – eine Scheinfrage, die eher ein Befehl ist. ReporterInnen faken mit einem „Wie fühlt sich das an für Sie?“ Anteilnahme und sind doch nur interessiert an einem schnellen O-Ton. Scherzkekse und FreundInnen der Ironie dagegen sind die wahren Menschenfreunde. Sie nehmen Mitmenschen ernst, weil sie sich Zeit nehmen, zu überlegen, worüber sie lachen könnten. Sie verabreichen das nötige Gegengift zu Abstumpfung und Zynismus in Krisenzeiten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“