Soziologe über Sanktionen gegen Mali: „Die Lage verschlechtert sich“

Mohamed Amara rechnet mit einer Verschärfung der Krise in Mali. Jenseits von Wahlen brauche das Land einen Generationswechsel.

Junge Lastwagenfahrer sitzen zwischen ihren Fahrzeugen und kochen Tee

Von den Sanktionen betroffen: Lkw-Fahrer warten an der geschlossenen Grenze zur Elfenbeinküste Foto: Ange Aboa/reuters

taz: Herr Amara, sind aufgrund der komplizierten Situation die Menschen in Mali mit Militär und Politik beschäftigt oder vor allem mit dem Überleben?

Mohamed Amara: Das Leben ist sehr schwierig. Schon seit 2012 gibt es Flüchtlinge, der Verkehr wurde schwieriger, die Suche nach Arbeit. All das war mit dem Terrorismus verbunden und der Lage in Libyen. Der Alltag heute ist eine Mischung aus Hoffnung und Verzweiflung.

Worin besteht die Hoffnung?

Der bisherige Präsident Ibrahim Boubacar Keïta ist nicht mehr an der Macht, und das hat etwas verändert. Die Armee konnte mit ihrem Staatsstreich dem Gegensatz zwischen Volk und Präsident ein Ende bereiten. Andererseits ist es ein Zeichen der Instabilität, wenn die Armee die Macht übernimmt.

Was macht die Verzweiflung aus?

Sie lautet: Wir wissen nicht, ob wir morgen überhaupt noch Zucker oder Tee haben. Alles ist teuer, und mit dem Gehalt gelingt es nicht, 15 oder 20 Familienmitglieder zu ernähren. Wir wissen nicht, ob wir noch reisen können. Mali ist ein Land, in dem man viel unterwegs ist. Doch diese Mobilität wird jetzt immer mehr eingeschränkt. Hinzu kommen die offenen Fragen zum Militär und zur Diplomatie. Diese Unsicherheit kann eine Ursache für einen politischen oder sozialen Konflikt sein.

Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (Ecowas) hat am 9. Januar Sanktionen gegen Mali verhängt, um Druck auf die Übergangsregierung auszuüben. Welche Auswirkungen haben sie?

Die Sanktionen sind mittlerweile spürbar. Preise für Zucker und Gas sind gestiegen. Nicht an allen Banken lässt sich noch Geld abheben. Die wirtschaftliche Lage verschlechtert sich, und sie ist abhängig von einem Dialog.

ist Soziologe an der Universität der Humanwissenschaften in Bamako (ULSHB) und Autor von „Marchands d’angoisse – Le Mali tel qu’il est, tel qu’il pourrait être“.

Dialog mit der Übergangsregierung gilt als sehr schwierig …

Es gibt viele Treffen, wie die im Dezember stattgefundene „nationale Neugründungskonferenz“. Dort entstand der Vorschlag einer Übergangszeit von bis zu fünf Jahren bis zu Wahlen. All das hat aber das Verhältnis zur Ecowas und EU weiter verschlechtert. Die Situation ist angespannt. Auch lässt sich feststellen, dass die Übergangsregierung mehr und mehr den Kontakt zu jenen verliert, die mit allen Akteuren einen Dialog führen könnten. Der Premierminister hat Schwierigkeiten, die Tür für einen Dialog zu öffnen. Nicht alle Menschen wollen eine längere Übergangszeit. Die, die dafür sind, gehen auf die Straße und sind sichtbar. Aber in Bamako ist es aktuell schwierig, die Regierung zu kritisieren. Menschen sind im Gefängnis, weil sie eine andere Meinung haben.

Ist die Übergangsregierung wirklich an einer Rückkehr zum Mehrparteiensystem interessiert?

Es gibt Hinweise, dass sie – möglicherweise unbewusst – an der Macht bleiben will. Sie sagt: Um Mali Sicherheit und Frieden zu bringen, braucht es Zeit. Deshalb hat sie der Ecowas einen Übergang von fünf Jahren vorgeschlagen. Das führt zu einer Reibung mit jenen, die die Rückkehr zur Verfassung fordern. Dann stellt sich die Frage, ob diese Sichtweise legitim oder nicht legitim ist. Mali ist eine Republik, und über die Machtfrage wird an den Urnen entschieden. Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob Wahlen stets transparent, sauber und glaubwürdig waren.

Die internationale Gemeinschaft pocht aber genau auf diese Wahlen.

Wahlen beenden das Problem nicht. Sie haben aber im demokratischen Prozess ihren Zweck. Sie geben die Möglichkeit, denjenigen die Macht zu geben, die sie wollen. Erfüllen die ihre Aufgaben nicht, kommt es zu einem Wechsel. Es gab jetzt aber einen Staatsstreich. Bei regulären Wahlen weiß man, wann etwas beginnt und wieder aufhört. Letzteres wissen wir gerade nicht. Es gibt Unsicherheit, weshalb ein Fahrplan wichtig ist.

Dabei heißt es oft, dass die Demokratie ohnehin nicht funktioniert.

Ich sehe, dass es der Demokratie in Afrika an vielem mangelt. Wer ist aber dafür verantwortlich? An erster Stelle die führende Klasse. Für mich geht es um einen Generationswechsel. Es braucht junge Menschen an der Staatsspitze, aber auch in Behörden, beispielsweise beim Verfassungsgericht. Die einzigen Jungen, die heute an der Macht sind, haben diese durch den Staatsstreich erhalten.

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