Sozialministerium in Niedersachsen: Gleichstellung wird klein gemacht
Das Sozialministerium legt die Abteilung Frauen und Gleichstellung mit einer anderen zusammen. Um das Thema zu stärken, behauptet das Ministerium.
Diese Sorge hält die Behörde von Sozial-, Arbeits-, Gesundheits- und Gleichstellungsminister Andreas Philippi (SPD) für unbegründet: „Es wird im Ergebnis zu einer Stärkung der Gleichstellung kommen“, schreibt Sprecher Sebastian Schumacher. Gleichstellung sei eine Pflichtaufgabe mit Verfassungsrang, dennoch gebe es großen Nachholbedarf.
Deswegen wolle man „bestmögliche Arbeitsfähigkeit und maximale inhaltliche Schlagkraft“ sicherstellen. Dafür sollen die derzeit in vier Referate aufgeteilten 24 Mitarbeitenden der Abteilung in einer neuen aufgehen. Die neue Abteilung werde rund 70 Personen umfassen, rund 30 davon zuständig für die Themen Frauen und Gleichstellung.
Der Grund für die Pläne: „Im aktuellen Zustand sind die Organisationseinheiten mitunter recht klein, was bei offenen Stellen, in Krankheitsfällen, bei Schwangerschaft oder Mutterschutz zu Problemen in der Weiterbearbeitung von Themen führt.“
Auch der Verwaltung fehlt Personal
Der Fachkräftemangel macht auch vor der Verwaltung nicht halt: Im April, schreibt Schumacher, seien von den 366 Stellen im Ministerium mehr als 60 vakant gewesen.
Die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Gleichstellung, in der rund 290 haupt-, neben- und ehrenamtliche Gleichstellungsbeauftragte aus allen Kommunen in Niedersachsen zusammenarbeiten, hat vor wenigen Wochen von den Plänen erfahren. So erzählt es Marion Lenz, LAG-Vorstandsmitglied und Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Braunschweig. „Von der rot-grünen Regierung überrascht uns das.“
Die Gründe dafür halte sie zwar für „organisatorisch nachvollziehbar“. Aber wenn die Abteilung zu klein ist, so Lenz weiter, warum vergrößere man sie dann nicht, statt sie mit einer anderen zusammenzulegen? „Für uns ist das eine falsche Lösung für ein Problem, das richtig erkannt wurde.“
Für die LAG ist die Abteilung im Sozialministerium ohnehin falsch angesiedelt, sagt Lenz. Gleichstellung sei eine Querschnittsaufgabe. Sie nennt Beispiele: Beim Bauen geht es um sichere Innenstädte, in der Kultur um Sichtbarkeit – in Führungspositionen sowie auf Podien. „Wer ist in Führung, wer ist sichtbar, wer verdient das Geld?“ Das alles könnte man in allen politischen Ressorts fragen. Deswegen sei es wichtig, die Abteilung in der Staatskanzlei anzusiedeln und nicht im Sozialministerium.
Neues Gleichstellungsgesetz soll kommen
Auch Umweltthemen sollten unter dem Aspekt der Gleichstellung angeschaut werden, findet Lenz: „In der Verursachung und in den Auswirkungen sind Männer und Frauen unterschiedlich.“ Männer würden im Schnitt größere Autos fahren, zudem verursachten reiche Menschen mehr Umweltschäden – und es seien nun einmal mehr Männer reich und mehr Frauen arm. Ein Beispiel der Auswirkungen des Klimawandels: „Hitzetote sind deutlich mehr Frauen.“
Die Sorge, dass das Thema in Zukunft hinten runterfällt, speise sich aus Erfahrungen aus den Kommunen. „Gerade im Bereich Jugend und Familie passieren immer dringliche Dinge.“ Kolleg*innen unterstützen in dem Falle die anderen – und eigene Themen blieben liegen. „Ich kann mir vorstellen, dass die Unterstützung nur einseitig passiert“, sagt Lenz. Dabei gebe es mit dem neuen Gleichstellungsgesetz ein aktuelles Projekt, das schon viel zu lange aufgeschoben worden sei.
Das Gesetz befinde sich „aktuell in der Finalisierung“, schreibt Schumacher. Im nächsten Jahr werde man sich zudem „intensiv um das Thema Gewalt gegen Frauen kümmern“. Auch werde man einen Schwerpunkt setzen „im Bereich der Queerarbeit“ ebenso wie im Bereich Antidiskriminierung. Mit der Umstrukturierung werde das Thema „auch in Zukunft eine sehr große Rolle spielen“.
Die LAG möchte Ende November öffentlich gegen die Pläne protestieren – bevor sie beschlossen werden. Durch das Parlament muss diese Entscheidung nicht, der Minister kann allein über die Organisation seines Hauses entscheiden. Details der Pläne, heißt es aus dem Ministerium, würden derzeit noch intern beraten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“