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Sozialexpertin zu Coronatest-Beschluss„Schutz der Anderen ernst nehmen“

Ab Herbst sollen Coronatests für Ungeimpfte kosten. Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, warnt vor unbeabsichtigten Folgen für die Schwächsten.

Kostenpflichtige Test können auch unbeabsichtigte Folgen haben Foto: Annette Riedl/dpa
Manuela Heim
Interview von Manuela Heim

taz: Frau Bentele, jeder Erwachsene hat in Deutschland ein Impfangebot bekommen. Warum soll es dann unfair sein, wenn Coronatests künftig nicht mehr die Gemeinschaft bezahlt?

Verena Bentele: Unser Verband, [der Sozialverband VdK d. R.] konzentriert sich auf die Gruppen der Gesellschaft, die besonderen Schutz brauchen. Zum Beispiel in Pflegeheimen: Es können ja auch Menschen, die geimpft sind, weiterhin Überträger des Coronavirus sein.

Um Pflegeheimbewohner und -bewohnerinnen wirklich gut zu schützen, müssen also die Tests für alle Besucher und Besucherinnen – egal ob geimpft oder ungeimpft – und auch die Mitarbeitenden weiter verpflichtend und auch kostenlos sein. Das war unsere Forderung und das hat die Bundesregierung nun glücklicherweise auch noch nachträglich so beschlossen.

Also ist jetzt alles gut mit den Tests?

Für uns gibt es noch weitere unklare Punkte. Wir müssen doch schauen, dass die Personen, die sich nicht impfen lassen können oder für die es noch keine allgemeine Empfehlung gibt – also Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen, Schwangere, Kinder und Jugendliche – nicht in ihrer Teilhabe gehindert werden.

Gerade für diese Gruppen sollen die Tests doch aber kostenlos bleiben.

Das stimmt. Aber wenn die meisten Testzentren schließen, bleibt die Frage: Wo kann ich mich überhaupt schnell testen lassen? Gerade auf dem Land kann es sehr entscheidend sein, wie weit die nächste Testmöglichkeit entfernt ist.

Zumindest Schüler*innen, die regelmäßig in der Schule getestet werden, sollen ja von der Testpflicht ausgenommen sein.

Das wäre eine klare Regelung. Aber so zwangsläufig habe ich das noch nicht aus den Beschlüssen gelesen und die Frage ist ja auch, ob sich alle Bundesländer daran halten.

Sie vertreten Gruppen, die über wenig Geld verfügen. Empfinden Sie die kostenpflichtigen Tests da generell als unzumutbare Einschränkung?

Im Interview: Verena Bentele

ist 39 und seit 2018 Präsidentin des größten deutschen Sozialverbands. Der Sozialverband VdK vertritt die sozialpolitischen und sozialrechtlichen Interessen von 2,1 Millionen Mitgliedern

Man wird genau beobachten müssen, ob die Teilhabe dieser Menschen noch weiter eingeschränkt wird, als sie es ohnehin schon ist. Was mir ganz wichtig ist: Die Tests müssen auf jeden Fall günstiger werden. Für die Menschen muss außerdem ganz klar sein, für was genau sie nun einen Test brauchen. Wenn da wieder jede Einrichtung ihre eigenen Regeln hat, schränkt das Menschen ebenfalls ein.

Im Grunde stehen sich doch zwei Forderungen nach Solidarität gegenüber: Möglichst viele sollen sich, auch mit einem gewissen Nebenwirkungsrisiko, impfen lassen, um sich und andere zu schützen. Aber man soll bitte auch die Menschen nicht an der Teilhabe hindern, die aus individuellen Gründen dazu nicht bereit sind.

Das macht es auch so schwierig. Wir als Verband sind ja in der Position, dass wir die unterschiedlichen Ansichten unserer Mitglieder vertreten. Für mich ist in dieser ganzen Debatte jedenfalls das Wichtigste, dass alle Menschen auch den Schutz der anderen und der besonders Schutzbedürftigen ernst nehmen. Es ist dann die Entscheidung jedes Einzelnen, auf welchem Weg er dem nachkommt: Durch Impfung oder regelmäßiges Testen.

Nun ist diese Entscheidung aber mit Kosten für die Allgemeinheit verbunden. Die kostenlosen Tests etwa haben bislang Milliarden gekostet.

Es ist schon richtig, dass ein Beitrag von jedem Einzelnen eingefordert wird und nicht mehr alles auf die Allgemeinheit abgewälzt wird. Deshalb wird es ja jetzt auch die kostenpflichtigen Tests geben. Uns ist nur wichtig, dass bestimmte Gruppen dabei nicht zusätzlich benachteiligt werden.

Die kostenpflichtigen Tests sind ein Negativanreiz für Menschen, sich impfen zu lassen. Hat die Politik aus Ihrer Sicht schon genug getan, um Menschen auf positivem Wege für eine Impfung zu erreichen?

Wir dürfen nicht weiterhin darauf warten, dass die Leute schon irgendwie kommen. Es wäre ein guter und richtiger Weg, noch mehr als bisher mit mobilen Impfteams an die Orte zu gehen, zu denen die Leute regelmäßig sowieso kommen. Diese aufsuchende Impfung bringt in anderen Ländern große Erfolge.

Kann es tatsächlich sein, dass Menschen auch nach anderthalb Jahren Pandemie noch keinen guten Zugang zu Informationen, zu Impf- und Testmöglichkeiten haben?

Für viele ist wirklich die Terminvereinbarung eine große Hürde: Die Frage, wo ist das Test- oder Impfzentrum? Was muss ich da mitbringen? Wir wissen von unseren Mitgliedern, dass nicht wenige Probleme haben, Behördentexte zu lesen und zu verstehen oder zu wissen, wann sie sich wo melden müssen. Aufsuchende Angebote sind da ein guter Weg, diese Menschen zu erreichen.

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