Soziale Ungleichheit im Freundeskreis: Schweigen über Geld
Ein Beitrag des Jugendformats „Funk“ über den Umgang mit Armut im Freundeskreis hat für Aufregung gesorgt. Er mag missglückt sein, aber ist auch ehrlich.
Z wei Freunde verbringen gerne Zeit miteinander. Der eine kommt aus reichem Elternhaus, bei dem anderen wird das Geld zum Ende des Monats knapp. Dann steht die Abifahrt bevor. Der Letztere will, kann aber nicht mitfahren. Der Erstere weiß warum, sagt aber auch nichts. Eine unangenehme Situation. Wie könnten sie die Freunde lösen?
Der Freund ohne Geldsorgen könnte einfach akzeptieren, dass sein Freund weniger Geld hat und sich denken: „Das ist normal und niemand kann was dafür.“ Am besten spricht er das Thema „nicht jedes Mal“ an. Oder er hilft seinem Freund, indem er ihn einlädt. „Mitleid ist aber unangebracht.“ Das sind die Vorschläge von Funk, dem jungen Angebot von ARD und ZDF, die letztes Wochenende als Post auf Instagram verbreitet und seitdem viel kritisiert wurden. Viele Menschen haben sich über die Überheblichkeit der Ratschläge geärgert. Wieso sollte soziale Ungleichheit „normal“ sein, wenn sie politisch erzeugt wird? Wieso sollte niemand „etwas dafür können“, wenn Menschen, die von Ungleichheit profitieren, an ihr festhalten? Soll man das akzeptieren?
Ein paar Tage später hat sich Funk korrigiert: Es sei ein Fehler gewesen, Armut zu normalisieren. Die Tipps aber seien von einer Kollegin gekommen, die in extremer Armut aufgewachsen sei, und die sich gewünscht hätte, dass „ihre Armut im Alltag nicht ständig thematisiert worden wäre“. Mittlerweile ist die digitale Erregung weitergezogen. Und ich frage mich: Was ist das für ein Umfeld, vor dem die Betroffene sich für etwas schämt, für das sie nichts kann? Eigentlich ist es ja nur im Interesse der Reichen, das ungerechte und unvernünftige Nebeneinander von Arm und Reich schweigend zu akzeptieren. Doch die von Armut Betroffene hat exakt denselben Impuls.
Genauso läuft es
Der Beitrag von Funk mag missglückt sein, aber er ist immerhin ehrlich. Weil es eben oft genauso läuft in Freundeskreisen. Unter den Menschen, die sich heute über den Instagram-Post ärgern, könnten sehr gut auch Freundinnen und Freunde von mir sein, mit denen ich in der Schul- und Unizeit erfolgreich totgeschwiegen habe, was uns voneinander trennt: das Geld.
Wir haben nicht darüber gesprochen, weil es beide Seiten in Verlegenheit gebracht hätte. Das mache ich keinem zum Vorwurf. Auch wenn wir nicht darüber geredet haben, gab es immer wieder solidarische Momente in meinem Freundeskreis. In der Regel haben wir die unangenehmen Situationen und ihre Ursachen aber akzeptiert.
Wenn der Freund aus dem reichem Haus und ich, der Freund, der kein Geld für die Abifahrt hatte, damals offen miteinander gesprochen hätten, dann hätten wir die Scham aus dem Weg geräumt. Wir hätten eine solidarische Lösung für die Geldfrage finden können und ich wäre mitgefahren. Würden alle mehr über Ungleichheit reden, ließe sich das Problem grundsätzlicher angehen. Dann käme es erst gar nicht zu unangenehmen Situationen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken