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Sonneberg und die AfDDeutschland ist ein Kindergarten

Die AfD verschenkt Luftballons, und alle anderen wollen „zuhören“ und niemanden „überfordern“. Wann behandeln wir WählerInnen wie Erwachsene?

Der AFD geht leider noch nicht die Luft aus Foto: Sascha Steinach/imago

S ie haben es vielleicht auch gesehen, das Video aus Sonneberg, Thüringen: Ein Nazi, wie er nicht mal im Comic steht, so klischeehaft sieht er aus, öffnet den Kofferraum seines Autos. Dann wirft er AfD-blaue Luftballons über den Zaun eines Kindergartens. Und alle Kinder (und Erzieherinnen) jubeln.

Viele empörte Kommentare gingen in die gleiche, naheliegende Richtung: Lasst unsere Kinder aus dem Spiel! Aber das führt in die Irre. Denn tatsächlich hat es keinen besseren Kommentar zum Erfolg der AfD in Umfragen und nun auch bei der Landratswahl in Sonneberg gegeben als dieses Video.

Die Bundesrepublik ist ein Kindergarten. Und die AfD hat das verstanden.

Die Kindergartisierung Deutschlands, sie zeigt sich in den Debatten über die AfD, aber auch im Umgang mit der Klimakrise und den Maßnahmen dagegen, etwa dem Heizungsgesetz. Ständig müssen alle „mitgenommen“, darf niemand „überfordert“ werden. Ständig soll man „zuhören“, auch wenn da nur Geschrei kommt. Jegliche Zumutung des Lebens soll von den BürgerInnen ferngehalten werden, es könnte sie verunsichern.

Jeder, der mal in einer halbwegs zeitgemäßen Kindertagesstätte außerhalb von Sonneberg war, weiß, dass diese Form der pädagogischen Ansprache längst nicht mehr zeitgemäß ist. Kein Erzieher, der noch bei Sinnen ist, würde der kleinen Alice, die im Sandkasten mal wieder mit der Plastikschaufel den Ausländer verhaut, in den Arm nehmen und trösten. Die meisten Kitas sind längst weiter als große Teile der deutschen Medien und Politik, die den Kindergarten der AfD immer noch mitmachen.

Alice im Sternhimmel

Womit wir beim Stern wären, der exem­pla­risch für den Umgang mit dem Rechtsruck und die abnehmende Relevanz klassischer Medien steht. Der Stern hat in dieser Woche Alice Weidel als Postergirl aufs Cover gedruckt und das Ganze als Tabubruch inszeniert. Das Interview mit Weidel ist dann eher naiv. „Wir stellen es uns wahnsinnig anstrengend vor, Alice Weidel zu sein“, so lautet eine Frage. Und Weidel darf behaupten, dass es bei der AfD keine Rechtsextremen gebe.

Nur, diese Alice schlägt nicht mit einer Plastikschaufel um sich, sondern ist Vorsitzende einer Partei, deren Hetze Tote in Kauf nimmt. Deswegen macht die taz keine Wortlaut-Interviews mit der AfD. Weil diese Partei lügt wie gedruckt.

Für den Stern ist die Aufregung um ihr Cover ein billiger Versuch, für einen kurzen Moment aus der selbst verschuldeten Bedeutungslosigkeit herauszutreten. Mit einem gefälschten Hitler begann vor vielen Jahren der Abstieg des Magazins, und ausgerechnet mit einer täuschend echten Führerin wollen sie ihn stoppen. Der AfD kann’s recht sein.

Es ist höchste Zeit, die AfD und ihre WählerInnen wie Erwachsene zu behandeln. Menschen wählen Rechtsextreme, weil sie rechtsextrem sind oder weil sie davon profitieren, wenn Rechtsextreme Macht erlangen. Rechtsextreme muss man ausgrenzen, bekämpfen, schlagen, mit allen Mitteln. Und wer nach Gründen für ihren Erfolg sucht, sollte sich nicht mit Kränkungen und Pädagogik beschäftigen, sondern mit den Grundlagen des Erfolgs.

wochentaz

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40 Prozent der Erwerbstätigen in Sonneberg leben vom Mindestlohn, so viele wie nirgendwo sonst. Das kann ein Ansatz sein, auch wenn ökonomische Gründe nicht ausreichen, um den Erfolg der AfD zu erklären. Rechtspopulismus ist europaweit auf dem Vormarsch. Wer eine Alternative zu ihm will, muss die Schwäche der Linken überwinden, Antifaschismus und Umverteilung organisieren. Auf die Parteien der Mitte kann man dabei nicht setzen. Sie haben nicht mehr anzubieten als Streicheleinheiten.

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Kersten Augustin
Ressortleiter Inland
Kersten Augustin leitet das innenpolitische Ressort der taz. Geboren 1988 in Hamburg. Er studierte in Berlin, Jerusalem und Ramallah und wurde an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München ausgebildet. 2015 wurde er Redakteur der taz.am wochenende. 2022 wurde er stellvertretender Ressortleiter der neu gegründeten wochentaz und leitete das Politikteam der Wochenzeitung. In der wochentaz schreibt er die Kolumne „Materie“. Seine Recherchen wurden mit dem Otto-Brenner-Preis, dem Langem Atem und dem Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet.
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10 Kommentare

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  • Der Anfang dieses Kommentars gefällt mir richtig gut. Auch ich empfinde es als unverschämt, wie die Regierung über die Bürger redet. Ich möchte nicht mitgenommen werden, ich möchte mit guten Argumenten überzeugt werden, einen Weg zu gehen. Ganz freiwillig. Wenn etwas gut ist, setzt es sich in der Regel von alleine durch, wird es aufgezwungen, gibt es einen natürlichen Abwehrreflex. Wärmepumpe als gefördertes Angebot z. B.wäre vermutlich erfolgreich.



    Menschen, die nicht mal eine abgeschlossene Ausbildung oder eine passende Qualifikation für ihr Amt haben, wollen mir erzählen, was gut für mich und das Land ist?! Die Bürger sind keine Dummchen.



    Allerdings bezweifle ich, dass man Rechtsaußenparteien mit Linksaußenparteien bekämpfen könnte.

  • Ja genau, das haben Grüne und SPD leider auch längst vergessen - Politik bedeutet eben nicht, "alle mitzunehmen", sondern Positionen, die man für richtig hält, zu vertreten und durchzusetzen. In der Regierung macht das leider ausgerechnet nur die FDP.



    Wenn man immer darauf warten würde, dass alle soweit sind, würde ja nie was passieren. Schon gar keine Revolution ;-)

    • @NoMeansNo:

      Tja, die fdp hält es "für richtig", dass Reiche möglichst wenig Steuern zahlen, Arme arm gehalten werden und sich zum Mindestlohn (oder darunter) abplacken. Sie macht nichts gegen die Wirtschaftskartelle (Stromerzeuger/Kraftstoffe/Lebensmittel/Düngemittel/Pharma/ Abgasbetrugs-Autokonzerne und und und) in dieser angeblich so "freien" Marktwirtschaft.



      Sie verhindert Energiewende (fossile Technologiegeschlossenheit/Autopriorisierung in der StVO) und blockiert sozialen Fortschritt (Kindergrundsicherung) auch wenn dies der Wirtschaft sehr helfen würde (durch besser aufgezogene Kinder und gebildete Erwachsene aus ALLEN Schichten).



      Nein, die fdp macht nicht was sie für richtig hält, sondern wo sich mit Klientelpolitik und Lobbyhörigkeit 5% zusammenkratzen lassen.

  • Guter Kommentar! Menschen wählen rechts, weil sie egozentrisch sind und sich davon Vorteile zu Lasten anderer versprechen und weil sie dumm sind und aus der Geschichte nichts gelernt haben. Und aus der Gegenwart auch nicht: Putin, Trump, XI, Orban, Erdogan haben die Freheit für Ihr Volk abgeschafft, um für sich und ihren Clan ein Leben in Saus und Braus führen zu können, zu Lasten des Volkes. Auch des eigenen!

  • Richtig. Wenn man mit Politik unzufrieden ist oder wirtschaftliche Sorgen hat, dann setzt man sich konstruktiv damit auseinander und greift nicht nach Hass, Hetze, Gewalt und Demokratiegefährdung.

  • so is es!

  • 6G
    678409 (Profil gelöscht)

    Sehr guter Kommentar.

  • Es ist wirklich traurig, dass so viele Menschen keinerlei Ahnung wie die Demokratie hier funktioniert und sich dann wirklich so eine Art Stasi geführten Kindergarten mit Wunschprogramm, billigem Gas und einem netten Diktator wünschen.

    Ich habe im Stern das Interview mit Michel Friedmann gelesen, das kann ich 1:1 unterschreiben, denn ich habe wie sicher viele Andere gleiche Befürchtungen.

  • Endlich spricht es jemand öffentlich aus: Die Infantilisierung im Mitnehm-Abholton geht nicht nur in der Hochschulpädagogisierung entschieden auf die Nerven erwachsener Menschen - sondern hat gesellschaftliche und politische Folgen.

  • "40 Prozent der Erwerbstätigen in Sonneberg leben vom Mindestlohn, so viele wie nirgendwo sonst. Das kann ein Ansatz sein, auch wenn ökonomische Gründe nicht ausreichen, um den Erfolg der AfD zu erklären."

    Nun zeigen aber Untersuchungen regelmäßig, dass Menschen aus allen Schichten, Klassen, Milieus AfD wählen. Es gibt dabei zwar graduelle Unterschiede, aber allein der Umstand, dass jede Menge reiche Menschen AfD wählen, sollte ausreichen um dieses Argument weitgehend zu entkräften.



    Das bedeutet aber letztlich nicht, dass nicht die ökonomischen Bedingungen ausschlaggebend sind. Dabei geht es aber dann nicht so sehr um die Höhe des Mindestlohns oder dergleichen, sondern um bestimmte aus der kapitalistischen Produktionsweise resultierende Konflikte, die spezifische psychologische Dispositionen erzeugen.



    Das bedeutet aber nicht, dass man sich nicht bei der Bekämpfung der Ressentiments sehr viel geschickter anstellen könnte, als es gegenwärtig der Fall ist. Auch die Ressentiments können sich verändern und unterliegen einer Art Konjunktur. Die Meinungen, denen die AfD Ausdruck verschafft, gibt es jedoch schon sehr viel länger als die AfD. Man ignoriert das Problem seit Jahrzehnten und gerät nun in Panik, da es die Parlamente erfasst.



    Leider deutet vieles darauf hin, dass die Politik darauf verzichtet, die autoritäre Revolte so weit es eben geht zu bekämpfen. Stattdessen werden den Rechten lieber programmatische Konzessionen gemacht. Das politische Spektrum wird sich mittelfristig nach rechts verschieben, die AfD-Wähler fühlen sich bestätigt, wählen aber weiterhin "das Original". Zugleich verschärft sich das Chaos, an dessen Verursachung sie mit ihrem Handeln großen Anteil haben. Es steht zu befürchten, dass sich die politische Lage erstmal auf diesem Niveau stabilisiert oder sogar verschlimmert. Es ist jetzt geboten potentiellen Bündnispartner genau auf die Finger zu schauen, das betrifft sowohl Konservative als auch linke Querfrontbestrebungen.