Sondervermögen: Reicht das, um die deutsche Infrastruktur zu modernisieren?
Die neue Bundesregierung will viele Milliarden Schulden aufnehmen und investieren. Gelingt die Modernisierung?
Deutschlands Infrastruktur braucht ein Update. Darin sind sich auch Union und SPD einig. Noch bevor eine neue Regierung gebildet wurde, haben sie mithilfe des alten Bundestags beschlossen, 500 Milliarden Euro locker zu machen, um Straßen, Schienen, Energienetze, Schulen und Krankenhäuser zu ertüchtigen. Bei einer Laufzeit von 12 Jahren sind es im Schnitt gut 41,6 Milliarden pro Jahr. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) beziffert den Investitionsstau auf 600 Milliarden Euro.
Umso wichtiger ist es, wohin die Milliarden fließen. Laut Koalitionsvertrag sollen Länder und Kommunen 100 Milliarden bekommen, weitere 100 Milliarden sollen in den Klima- und Transformationsfonds fließen. Aus dem Bundesanteil des Sondervermögens sollen zunächst bis 2029 Maßnahmen in Höhe von rund 150 Milliarden Euro finanziert werden.
Das Land wagt also eine Großbaustelle. Doch wer an Großprojekte wie Stuttgart 21 denkt, darf sich zu Recht fragen: Kann Deutschland das eigentlich?
Es braucht Personal
Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB), der sich über den Geldsegen freut, hat keinen Zweifel. „Die Bauindustrie steht parat und kann sofort loslegen“, sagt deren Hauptgeschäftsführer Tim-Oliver Müller. In Deutschland seien „noch nie Bauprojekte daran gescheitert, weil wir nicht leistungsfähig gewesen wären.“
Doch ganz so easy sieht es nicht jeder. Zentral sei, ob ausreichend Baukapazitäten vorhanden sind, also Maschinen plus Personal, das sie bedienen kann, erklärt Martin Gornig vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). „Gerade der Tiefbau ist bereits gut ausgelastet“, so Gornig. Der Tiefbau umfasst grob gesagt alles, was unter der Erde und an der Erdoberfläche liegt – also Tunnel, Straßen, Schienen, aber auch Brücken. Gornig begrüßt das Sondervermögen, aber damit es „nicht einfach in den Preisen verpufft, braucht es hier dringend eine Kapazitätsausweitung“, erklärt er.
Es ist eine einfache Rechnung: Wenn die Nachfrage steigt, aber die Kapazität nicht, macht sich das in Preissteigerungen bemerkbar. Doch Kapazitäten ließen sich nicht von heute auf morgen erhöhen, so Gornig. Es brauche auch mehr Personal in den Ämtern: „Bevor der erste Arbeiter eine Baustelle betritt, muss viel passiert sein.“ Wichtig sei also, das Geld „klug und über einen längerfristigen Zeitraum einzusetzen.“
Ökonom Jens Südekum sieht das ähnlich. Für den Kapazitätsaufbau spreche zumindest der lange Zeithorizont des Sondervermögens: Baufirmen könnten davon ausgehen, dass „es die nächsten zehn Jahre viele staatliche Aufträge geben wird, nicht nur punktuell.“ Dies könne dafür sorgen, dass mehr eingestellt wird. „Aber diese potentiellen Bewerber muss es erstmal geben“, sagt Südekum. Deshalb brauche es Reformen, „um die Erwerbsbeteiligung zu erhöhen.“ Werde das nicht berücksichtigt, führe das Finanzpaket „nicht zu Wachstum, sondern zu höheren Baupreisen und Inflation.“ Und steigende Preise für Bautätigkeit würden sich „auch im privaten Wohnungsbau bemerkbar machen.“
Nur Geld reicht nicht
Nur mit mehr Geld, darin sind sich Expert*innen einig, sei es nicht getan. Wichtig sei, die öffentlichen Auftraggeber in die Lage zu versetzen, die zusätzlichen Projekte auch bewältigen zu können“, sagt der Verband der Deutschen Bauindustrie. Planungsprozesse müssten beschleunigt werden. Bisher gäbe es zu viel Klein-Klein und ein unflexibles Vergaberecht.
Laut Koalitionsvertrag von Schwarz-Rot soll das Bauen schneller, besser und kostengünstiger werden. In den ersten 100 Tagen soll ein Gesetzentwurf für einen Bauturbo vorgelegt werden. Kann aber auch sein, dass das alles trotz bester Absichten ein Papiertiger bleibt. Stichwort: Bürokratieabbau oder Digitalisierung. Welche Vorgängerregierung hat sich das nicht vorgenommen?
Nehmen wir das Beispiel des digitalen Bauantrags – der ist nicht unwichtig, um die Prozesse zu beschleunigen und die Kosten unter Kontrolle zu halten. Schon Bundeskanzler Olaf Scholz hatte im Zuge seines Deutschlandpakts angekündigt, dass bis Ende 2023 in allen Bundesländern der digitale Bauantrag umgesetzt wird. Auf Nachfrage heißt es nun: Aktuell böten bundesweit „594 der 934 Vollzugsbehörden den Dienst „Digitale Baugenehmigung“ an. Das entspricht etwa 64 Prozent. Eigentlich war die Idee, dass alle Bundesländer das gleiche System nutzen, aber einige Länder haben lieber eigene Lösungen entwickelt.
Der Deutsche Städtetag begrüßt das Sondervermögen Infrastruktur, aber sieht Fallstricke. Bund und Länder müssten „zügig dafür sorgen, dass die Mittel unkompliziert und schnell vor Ort ankommen“, fordert Markus Lewe, Präsident des Deutschen Städtetages, der auch Oberbürgermeister in Münster ist. „Was wir nicht brauchen, sind komplizierte Förderprogramme, für die wir Projektmanager einstellen müssen“, sagt er.
Er fordert, dass Städte aus dem Sondervermögen feste Budgets bekommen, „um das zu machen, was vor Ort notwendig ist.“ Doch derzeit ist nicht mal klar, nach welchem Verteilungsschlüssel das Geld fließen soll. Der Landkreistag in Sachsen-Anhalt fordert gar einen „Faktor Ost“ – die ostdeutschen Bundesländer sollen besonders berücksichtigt werden.
Was ist mit dem Wohnungsbau?
Unklar ist, was durch das Sondervermögen unterstützt werden soll. In der Berichterstattung scheint der Wohnungsbau meist nicht gemeint zu sein. Wenn der Fokus nun auf Straße und Schiene liegt, fürchten manche, dass der ohnehin durch hohe Zinsen gebeutelte Wohnungsbau noch stärker leidet. Die Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt teilt die Sorge nicht. Wenn nun tatsächlich Anschubinvestitionen flößen, würde „auch der Wohnungs- und Gebäudebau davon profitieren“, teilt Sprecher Frank Tekkiliç der taz mit.
Etwas skeptischer sieht das Matthias Günther, Leiter des Pestel-Instituts. „Ich war erschrocken, als die 500 Milliarden im Raum standen und der Wohnungsbau keine Rolle spielte“, sagt er der taz. Günther fordert schon lange ein Sondervermögen für den Wohnungsbau, insbesondere die Zahl der Sozialwohnungen sinkt seit Jahrzehnten.
Wohnen sei „nicht nur die soziale Frage unserer Zeit, sondern auch Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg“, sagt Günther. „Dringend benötigte Fachkräfte müssten auch irgendwo wohnen.“ Schon heute sei der Wohnraummangel eine Bremse für die Gewinnung von Mitarbeitern, sagt auch Axel Gedaschko, Präsident des Interessenverbands der Wohnungswirtschaft GdW.
Doch können die Mittel aus dem Sondervermögen auch für den Sozialen Wohnungsbau verwendet werden? Noch-Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) antwortete kürzlich auf dem Wohnungsbautag ausweichend: Das Sondervermögen werde „mit einem Wirtschaftsplan ausgestattet, wo wir unterschiedliche Bedarfe etablieren.“ Klar sei aber, „dass es eine zusätzliche Förderung“ brauche.
Eine Sprecherin des SPD-Vorstands teilt der taz auf Nachfrage hingegen mit: „Über das Sondervermögen kann auch der Wohnungsbau gefördert werden.“ Auch die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen fordern, dass Mittel aus dem Sondervermögen „gezielt über kommunale Wohnungsbaugesellschaften und Genossenschaften in den Bau neuer Wohnungen fließen“ sollten. Doch ob die Union das genauso sieht, ist unklar. Eine Sprecherin der Union verweist lediglich auf das geplante Errichtungsgesetz für das Sondervermögen. Darin müssten Details festgelegt werden.
Ob Deutschland also so viel bauen kann, wie es sich vorgenommen hat, hängt von vielen Stellschrauben ab – viel Potential also, dass sich noch unsichtbare Risse auftun.
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