Solidaritätszuschlag in Karlsruhe: Soli oder Haushaltsloch
Sollten die sechs klagenden FDP-Politiker:innen vor dem Bundesverfassungsgericht gewinnen, fehlen dem Fiskus 65 Milliarden Euro.
Der Solidaritätszuschlag wurde 1995 eingeführt, um den besonderen Finanzbedarf des Bundes wegen der Wiedervereinigung zu finanzieren. Er beträgt 5,5 Prozent der Einkommensteuerschuld (nicht des Einkommens).
Seit 2021 gelten allerdings großzügige Freigrenzen, sodass 90 Prozent der Steuerpflichtigen den Soli nicht mehr bezahlen müssen. Nur wer pro Jahr mehr als rund 18.000 Euro Einkommensteuer bezahlt, muss dazu auch noch den Soli-Zuschlag berappen. Der Soli bringt dem Fiskus aber immer noch 12 Milliarden pro Jahr.
Gegen diese Reform der schwarz-roten Koalition erhoben 2020 sechs FDP-Bundestagsabgeordnete Verfassungsbeschwerde. Der bekannteste von ihnen ist der jetzige Fraktionsvorsitzende Christian Dürr. Mit dabei waren auch Florian Tomcar und Katja Hessel; beide waren in dieser Wahlperiode Staatssekretär:innen im Finanzministerium.
Gleichheitsrecht der Reichen verletzt
Die FDPler bemängelten vor allem, dass der Soli immer noch erhoben wird, obwohl es keinen Sonderbedarf mehr für den Aufbau Ost gebe. Der Soli verletze daher ihr Grundrecht auf Eigentum. Außerdem sei ihr Gleichheitsrecht verletzt, weil nur noch Gutverdienende den Soli zahlen müssen.
Hätte die Klage der FDPler:innen Erfolg, müsste der Bund den einkommensstarken Steuerzahler:innen für die Zeit ab 2020 knapp 65 Milliarden Euro zurückzahlen, es wäre ein Haushaltsdesaster. Der FDP-Anwalt Henning Berger forderte deshalb das Bundesverfassungsgericht auf, eine „ausgewogene Lösung“ zu finden.
Andreas Audretsch, Vize-Fraktionschef der Grünen, verteidigte in Karlsruhe den Solidaritätszuschlag. Neben den Kosten der Einheit gebe es inzwischen viele neue finanzielle Sonderbedarfe des Bundes: Sanierung der Infrastruktur, Verteidigung und Hilfe für die Ukraine, Klimaschutz. Dass den Soli nur noch Gutverdienende zahlen, sei vom Sozialstaatsgebot gedeckt, so Audretsch. Der SPD-Finanzpolitiker Michael Schrodi ergänzte, im Steuerrecht komme es immer auf die Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen an.
DIW sieht weiterhin „teilungsbedingte Lasten“
Die juristischen Sachverständigen vertraten unterschiedliche Konzepte. Der Trierer Rechtsprofessor Henning Tappe sah im Grundgesetz keinerlei Zweckbindung für „Ergänzungsabgaben“ wie den Soli. Entscheidend sei, dass der Bund zusätzlichen Finanzbedarf habe. Dagegen forderte der Heidelberger Professor Hanno Kube die Beschränkung von Ergänzungsabgaben auf vorübergehende „Bedarfsspitzen“.
Ein Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sah im April 2020 noch jährlichen Sonderbedarf von rund 13 Milliarden Euro allein für „teilungsbedingte Lasten“, etwa beim Bürgergeld und bei der Rentenversicherung. Das Bundesverfassungsgericht wird sein Urteil in einigen Monaten verkünden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Krieg in der Ukraine
„Weihnachtsgrüße“ aus Moskau