Söders Absage an die Pflege-Impfpflicht: Winkelzüge statt Konfrontation
Bayerns Landesregierung unter Markus Söder muss Bundesgesetze umsetzen, auch die Impfpflicht für die Pflege. Aber sie könnte tricksen.
FREIBURG taz | Es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen Markus Söder, Friedrich Merz und Tobias Hans. Zwar fordern sie alle eine Aussetzung der Impfpflicht für Pflege- und Gesundheitsbeschäftigte. Doch während CDU-Chef Merz und der saarländische Ministerpräsident Hans dabei an den Bund appellieren, will Bayerns Landeschef Markus Söder zur Selbsthilfe greifen. In Bayern soll der Vollzug der „einrichtungsbezogenen Impfpflicht“ de facto ausgesetzt werden, kündigte er am Montag an.
Seitdem ist die Aufregung groß. Denn natürlich muss auch Bayern die Bundesgesetze umsetzen. Und die Pflege-Impfpflicht ist in einem Bundesgesetz geregelt, im Infektionsschutzgesetz. Im Dezember 2021 wurde sie beschlossen.
Laut Gesetz müssen Mitarbeiter:innen in der Pflege und im Gesundheitswesen bis zum 15. März nachweisen, dass sie vollständig geimpft oder genesen sind. Danach müssen die Einrichtungen alle Mitarbeiter:innen, die diesen Nachweis nicht erbracht haben, dem Gesundheitsamt melden. Die Nachweis- und Meldepflichten kann die Bayerische Staatsregierung nicht einseitig aussetzen, denn sie sind bundesgesetzlich vorgegeben. Bayern würde hier seine verfassungsrechtlichen Pflichten verletzen.
Falls Bayern so weit ginge, hätte die Bundesregierung drei Hebel in der Hand. So könnte sie erstens vom Mittel der Bundesaufsicht in Artikel 84 des Grundgesetzes Gebrauch machen. Sie könnte „Beauftragte“ nach Bayern entsenden und eine Mängelrüge beschließen. Beides ist eher symbolisch. Zweitens könnte die Bundesregierung Bayern vor dem Bundesverfassungsgericht verklagen. Dies wäre dann ein eher seltener Bund-Länder-Streit, bei dem Karlsruhe über die Pflichten des Landes Bayern bei der Umsetzung eines Bundesgesetzes entscheiden müsste. Ein Karlsruher Richterspruch wäre für Bayern verbindlich.
Bayern spielt auf Zeit
Als dritte, noch schärfere Möglichkeit könnte die Bundesregierung auch den sogenannten Bundeszwang anwenden. Sie könnte dabei mit Zustimmung des Bundesrats dem Land Weisungen erteilen oder einen Staatskommissar einsetzen. In der Geschichte der Bundesrepublik hat es aber noch keinen einzigen Anwendungsfall des Bundeszwangs gegeben.
Vermutlich wird Söder bei der Pflege-Impfpflicht jedoch nicht auf volle Konfrontation setzen, sondern eher zu Tricks greifen. So müssen die Gesundheitsämter laut Gesetz den ungeimpften Pflegern und Ärzten eine „angemessene“ Frist setzen, um die Impfung nachzuholen. Denkbar ist, dass die Frist in Bayern dann eben sehr großzügig festgesetzt wird. Wenn bayerische Ämter hier noch einige Monate Aufschub gewähren, wird das Bundesgesetz zwar irgendwie beachtet, der Vollzug wäre aber dennoch faktisch ausgesetzt. Und die ungeimpften Pfleger:innen und Ärzt:innen blieben bis auf Weiteres im Dienst.
Dass Bayern auf solche Winkelzüge setzt, machte der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) am Dienstag deutlich. Er sagte, Bayern werde bei der Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht „mit großem Augenmaß vorgehen“. Durch „angemessene Umsetzungszeiten“ solle den ungeimpften Personen „nochmals die Gelegenheit gegeben werden, sich intensiv fachlich beraten zu lassen – auch was den neuen proteinbasierten Impfstoff Novavax anbelangt“.
Bayern spielt also auf Zeit. Denn die bayerische Regierung geht davon aus, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht ohnehin bald abgeschafft oder abgeschwächt wird, wie Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) am Dienstag sagte. Und zum Ende des Jahres läuft die Pflege-Impfpflicht sogar ganz aus. Das hatte die FDP durchgesetzt.
Leser*innenkommentare
Argonaut
Söder hat auch mit abgestimmt für das Gesetz.
Zwischenzeitlich fand jedoch offenbar eine Begegnung mit der Realität statt.
Euromeyer
Söder kündigt also an, ein Gesetz nicht befolgen zu wollen, somit zu brechen, somit kriminell zu werden.
Da heult die Union wegen privater Sympathien grüner Abgeordneter für Autobahnblokierer, derweil sie selbst eine gesammte Landesverwaltung für rechtsbrecherische Machenschaften einsetzen will? Offenbar haben sich die Christsozialen, die das Grundgesetz ´49 nicht unterschreiben wollten, was Verfassungs- und Gesetzestreue angeht nicht weiterentwickelt
und nicht nur der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit ist diese 'Ungeheuerlichkeit egal, sondern sogar den Linken Hauptvertreter, die ja bei jeder Beanstandung durch die Bürgerlichen sich in Sack und Asche hüllen.
Was es wohl für ein Geschrei gäbe, käme unser z.B. Verteidigungsminister auf die gesetzesbrechende Idee die Münchner Staatskanzlei besetzen zu lassen, weil Söder nervt.....
Hans Jürgen Langmann
Und so steigt sie weiter, die Politikverdrossenheit.
noevil
Diese dreiste bayerische Selbstherrlichkeit geht mir unsagbar auf den Geist. Söder hat doch als MP dem Gesetz zugestimmt. Wieso scheinen ihm die Fragen der Umsetzung erst jetzt einzufallen?
Oder: Vielleicht dachte er aber auch, so wie in den bisher üblichen Corona-Gesprächsrunden der Ministerkollegen könne er erst den konzilianten Kollegen zeigen, aber hinterher zurück in Bayern ja doch machen was er wolle und sich seine eigene Extrawurst braten.
Beides kein Ruhmesblatt - weder für ihn noch für Bayern.
louisa
Art. 37 GG ließe sich nur mit der Mehrheit des Bundesrates durchsetzen.
Art. 83-85 GG gelten unbenommen, dass Söder sich eine andere Kompetenz wünscht.
Um das Gesetz, wie der Autor oben schreibt nach Holetschek oder Söder nicht zur Anwednung zu bringen und auf das befristete Auslaufen zu setzen, dürfte in der Zwischenzeit niemand gegen die bayerische Landesregierung klagen, die allgemeine Impfpflicht als kommendes Gesetz im Bund nicht beschlossen werden.
Beides ist nicht sicher zu erwarten.
louisa
Bull, Hans Peter: „Subjektivierung“ der Grundrechte – eine verfassungsrechtliche Sackgasse, VerfBlog, 2022/2/02, verfassungsblog.de...htliche-sackgasse/, DOI: 10.17176/20220203-001135-0.
„[...]
Wie weit ein Gesetz in Grundrechte eingreift, muss geklärt werden, bevor die Eingriffsermächtigung beschlossen wird, also auch bevor die Betroffenen die Schwere des Eingriffs selbst spüren können. Für besonders schwere Eingriffe können ausdrückliche Ausnahmen in das Gesetz aufgenommen werden – Fälle bzw. Fallgruppen, die dann konkret anders umschrieben werden müssen. Wenn ein Eingriff verschiedene Betroffenengruppen voraussichtlich unterschiedlich hart treffen, also relevante Ungleichheit verursachen würde, müsste nach anderen Ansätzen gesucht oder vielleicht sogar ganz auf die Ermächtigung verzichtet werden. Jedenfalls rechtfertigt die subjektive Empfindung Einzelner gerade keine Ausnahme von einer einheitlichen Regel.
[…]
Nochmals: Es ist richtig, dass die Festlegung von Grundrechtsschranken „nicht allein auf Gemeinwohlinteressen rekurrieren“ kann, sondern „die entgegenstehenden Interessen der Grundrechtsträger und -trägerinnen einbeziehen“ muss (Sacksofsky aaO.). Aber dies kann und muss der Gesetzgeber leisten; die Betroffenen können und sollen ihre Meinung zuvor in die öffentlichen Diskussionen einbringen – was ja im Fall der Impfpflicht tatsächlich in aller Lebhaftigkeit geschieht – und können später im Streitfall argumentieren, der Gesetzgeber habe ihre Interessen falsch abgewogen. Der Richter, der die Verfassungsmäßigkeit eines Eingriffs zu beurteilen hat, kann diese Entscheidung aber nicht davon abhängig machen, wie der Adressat das Grundrecht versteht.
[...]“
StefanMaria
Warum werden die Pfleger gezwungen, aber nicht die Lehrer? Fragezeichen oder ein "Die Pädagogen" von Lumpenpack www.youtube.com/watch?v=CbTc7fUp1DM
Fezi
@StefanMaria Vielleicht weil LehrerInnen nicht per se mit Schwerkranken zu tun haben?
StefanMaria
@Fezi nichts gegen Lehrer - aber Eltern werden seelisch und beruflich fertiggemacht seit zwei Jahren
- Heimbewohner sind inzwischen wohl zu hundert Prozent geimpft, Risiko eines schweren Verlaufs also unwahrscheinlicher
- wenn die Lehrer mich bezahlen mach ich auch ne Fortbildung für sie