So funktionieren Shopping-Schecks: Mit 500 Euro die Konjunktur anheizen
Die deutsche Politik diskutiert über die Ausgabe von Konsumschecks. Die taz erklärt, wie der Plan im Detail aussehen und die Nachfrage angekurbelt werden soll.
BERLIN taz Die deutsche Politik diskutiert über eine Idee, die hierzulande bislang keine Rolle gespielt hat: Konsumgutscheine für Bürger gegen die kommende Rezession. Wie sieht das jetzt vorgeschlagene Konzept aus. und welche Alternativen gibt es?
Die sogenannten Konsumschecks sollen den Menschen in Deutschland anregen, mehr einzukaufen. Der gewünschte volkswirtschaftliche Effekt soll wie folgt aussehen: Die Bundesbürger gehen zusätzlich einkaufen und stärken die Nachfrage, die im Zuge der Rezession wegzubrechen droht. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach und der gewerkschaftsnahe Ökonom Gustav Adolf Horn des Instituts für Makroökonomie plädieren für diese Variante. Lauterbach schlägt vor, dass die Finanzämter jedem erwachsenen Bundesbürger einen Gutschein über 500 Euro schicken (wahlweise zwei Gutscheine über 250 Euro). Jeder Nutznießer dieser Schecks soll 200 Euro eigenes Geld drauflegen, um sie schließlich in Kaufhäusern einzulösen.
Hartz-IV-Empfänger und ähnliche Bedürftige müssen diese Zuzahlung nicht leisten. Bundesbürger unter 18 Jahren erhalten einen Gutschein über 250 Euro.
Um zu verhindern, dass das Geld gespart wird, will Lauterbach die Banken von der Einlösung der Gutscheine ausschließen. Weil die Schecks innerhalb von zwei Monaten eingelöst werden sollen, müssten die Verbraucher sie schnell in die Geschäfte tragen. Das ergebe eine zusätzliche Nachfrage in Höhe von 30 bis 40 Milliarden Euro und entspreche 1 bis 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im ersten Vierteljahr 2009. Die Unternehmen würden zusätzlichen Umsatz verbuchen. Diese positive mittelfristige Wirkung könnte die Rezession über das ganze Jahr 2009 mildern.
Gut findet die Idee mit den Gutscheinen auch Peter Bofinger, allerdings vor allem für Geringverdiener. Der Wirtschaftsberater der Regierung und Professor an der Universität Würzburg weist auf die Nachteile des Konzepts hin. "Warum sollen Leute, die 100.000 Euro pro Jahr verdienen, einen Konsumgutschein erhalten?", fragt Bofinger. Sie würden sich bereits geplante Anschaffungen vom Staat bezahlen lassen. Bofinger rät deshalb, die Gutscheine speziell den Bevölkerungsgruppen zu geben, die wenig Geld haben. Denn Wirtschaftswissenschaftler wissen: Je geringer das Einkommen ist, desto eher wird zusätzliches Geld konsumiert. Und Arme sparen weniger als Reiche.
Einen ähnlichen Ansatz verfolgen die Spitzen der großen Koalition, die mögliche Nachteile der Konsumgutscheine vermeiden wollen. Die Gutscheine, so heißt es, würden fatal an Lebensmittelkarten für Arme erinnern. Deshalb sei Steuergutschriften der Vorzug zu geben. Das könnte so funktionieren: Ähnlich dem Kindergeld oder der Eigenheimzulage überweisen die Finanzämter allen Steuerpflichtigen einen Betrag von mehreren hundert Euro. Wer keine Steuern bezahlt, erhält diesen Betrag als einmalige Erhöhung seiner Hartz-IV-Leistung. Unerwünschte Folge dieser Variante ist, dass alle Bürger, auch die wohlhabenden, in den Genuss dieser Leistung kommen.
Gleichwohl haben die Vereinigten Staaten mit ähnlichen Steuergutschriften zu Anfang der 2000er-Jahre gute Erfahrungen gemacht. Nach Meinung einiger Ökonomen trugen die Steuerschecks dazu bei, die Rezession von 2001 zu beenden.
Ein gänzlich anderes, durchaus wirksames Mittel zur Stabilisierung der Wirtschaft sind auch staatliche Investitionen. Wenn Bund, Länder und Gemeinden in die Sanierung von Schulen, die Ernergieeinsparung öffentlicher Gebäude und den Bau von Straßen investieren, kommen diese Aufträge den Unternehmen direkt zugute. Arbeitsplätze werden erhalten, die Beschäftigten tragen ihren Lohn in die Geschäfte. Weniger vorteilhaft ist: Staatliche Investitionen lassen sich nicht beliebig ausdehnen, es existiert lediglich eine begrenzte Zahl baureifer Projektplanungen.
Nach wie vor wird eine Reduzierung der Mehrwertsteuer diskutiert. Würde sie um 2 Prozent verringert, könnten die Preise insgesamt sinken.
CDU und CSU wollen u. a. die Einkommensteuer für den Mittelstand langfristig senken. Die Debatte über eine umfassende Steuerreform ist allerdings extrem kompliziert und braucht möglicherweise Jahre.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?