Skandal im Kongo: Der Fall des Gorilla-Retters
Gegen Innocent Mburanumwe, Vizedirektor des Virunga-Nationalparks, wird unter anderem wegen Vergewaltigung und Mordversuchs ermittelt.
Innocent Mburanumwe ist ein Held des Naturschutzes im Kongo. Erst im vergangenen Jahr hat ihm die EU den Schuman-Preis für Biodiversität verliehen. Im 2014 produzierten, mehrfach preisgekrönten Dokumentarfilm „Virunga“ über den schwierigen Schutz der bedrohten Berggorillas hat Mburanumwe eine Hauptrolle.
Seitdem ist der Kongolese weltweit berühmt und gepriesen als derjenige, der die letzten Gorillas mit Leib und Leben schützt. Doch vor Ort bezeichnen ihn jetzt manche als mutmaßlichen Vergewaltiger, Mörder und Chef eines mafiösen Syndikats, das den ältesten Nationalpark Afrikas und Unesco-Weltkulturerbe von innen heraus zerstört. Ausgerechnet der Virunga-Nationalpark, der mit großem finanziellen Aufwand seit 1988 fast ausschließlich von der EU finanziert wird, denn er gilt als Entwicklungsmotor für die ganze Bürgerkriegsregion.
Denise Serubungo überlebte den Durchschuss durch die Wade nur knapp, berichtet Krankenpfleger Jean Claude Karamba, der sie notversorgt hat. Sie war schon bewusstlos, als ihre beiden Schwestern in die kleine schmutzige Krankenstation von Rumangabo brachten, wo die Parkverwaltung ihren Hauptsitz hat. „Sie hatte viel Blut verloren, wir mussten sie reanimieren“, sagt Karamba.
Vergewaltigt, seit sie 15 Jahre alt ist
Normalerweise hätte sie direkt von den Ärzten der Parkverwaltung versorgt und mit deren Ambulanz in die 50 Kilometer entfernte Provinzhauptstadt Goma gebracht werden müssen. Dies sei üblich bei schweren Verletzungen in Rumangabo. „Doch in diesem Fall haben sie nicht geholfen“, sagt Karamba. Er selbst musste das Rote Kreuz anrufen, deren Ambulanz Serubungo abholte.
Nach einer Operation mit 16 Stichen sitzt die junge Kongolesin nun im Haus ihrer Schwester in Goma auf dem Sofa und zittert wie Espenlaub. Sie wirkt noch immer wie unter Schock. Unter Schmerzen erzählt sie, wie Mburanumwe sie immer wieder vergewaltigt habe, seit sie 15 Jahre alt ist. Im Dorf Rumangabo lebt Serubungo mit ihrer Mutter und Geschwistern in einem kleinen Haus mit Wellblechdach direkt neben der Eingangsstation des Parks. Ihre Mutter ist über zwei Ecken mit Mburanumwe verwandt. Derzeit muss sich Serubungo jedoch in Goma verstecken. Sie wird bedroht. Die UN-Mission im Kongo ist eingeschaltet.
Neben ihr auf der Couch sitzt ihre vierjährige Tochter, die dem Vizeparkchef zum Verwechseln ähnlich sieht. Zwei andere Schwangerschaften habe sie abgebrochen. „Er hat mich immer wieder dazu gezwungen, mit ihm zu verkehren“, wispert sie. Für das Kind habe er keinen einzigen Dollar bezahlt.
Nun hat sie Klage eingereicht. Die Schwangerschaft habe ihr Leben zerstört und ihre Schulkarriere unterbrochen, argumentiert Serubungos Anwalt Sosthene Mashagiro in seiner Anzeige an die Militärstaatsanwaltschaft der Provinz Nord-Kivu, in welcher der Park liegt. Mburanumwe habe „ihr Leben terrorisiert, sie eingeschüchtert und ihr mit dem Tod gedroht, jedes Mal, wenn es möglich war“.
Kongo ist kein Rechtsstaat
Kongos Militärstaatsanwaltschaft hat den Vizeparkchef unter Hausarrest gestellt. Die Ermittlungen laufen, bestätigt Militärstaatsanwalt William Mulaja der taz. „Mburanumwes Verteidiger argumentieren, er habe das Hauptquartier in der Dunkelheit gegen Eindringlinge verteidigt und nur in die Luft geschossen“, so Mulaja. Wie die Kugel in Serubungos Wade eindrang, bleibt unklar. Die junge Frau ist sich sicher: „Er hat versucht, mich zu töten“.
Ist das alles vielleicht nur eine Kampagne gegen ein erfolgreiches Naturschutzprojekt? Kongo ist kein Rechtsstaat, man kann Gerichte und Zeugen kaufen und Anklagen fabrizieren. Doch in diesem Fall wird der Vorfall an sich nicht einmal bestritten. Und Denise Serubungos Klage hat eine Lawine losgetreten. Sie ist nicht die einzige Frau und das einzige minderjährige Mädchen, das von Mburanumwe sexuell missbraucht wurde, erfuhr die taz von zahlreichen Zeugen vor Ort übereinstimmend. Er habe auch Menschen angeschossen und bedroht.
„Er gilt weltweit als großer Retter und ist damit unantastbar geworden“, erklärt der Vertreter einer Menschenrechtsorganisation in Rumangabo, der seit Jahren Mburanumwes Übergiffe dokumentiert. Die taz kann derzeit keine Namen und Details nennen, denn es gibt Drohungen von hohen Stellen, die versuchen, die Geschichte unter den Teppich zu kehren.
Entführung und Lösegelderpressung
Mburanumwe, ein 47-jähriger Hutu aus einer einflussreichen Familie aus Rumangabo, war einst zuständig für die Aufzucht der Gorilla-Waisenkinder. Dann stieg er auf, wurde Kommandant des südlichen Parksektors, zuletzt Vizeparkchef. Damit ist er zuständig für die Rekrutierung neuer Ranger, die Finanzen des Parks, vor allem aber für den durch internationale Spenden finanzierten Witwenfonds für die Familien getöteter Parkwächter. Den Fonds verwaltet Mburanumwes Frau. Auch hier gibt es Aussagen von Rangerfamilien, die Gelder würden oft nicht voll ausbezahlt.
Es gibt auch Hinweise, wonach der Vizeparkchef in der Entführung und Lösegelderpressung zweier britischer Touristen im Mai 2018 involviert war. Sie gerieten auf dem Weg von Goma in den Nationalpark in einen Hinterhalt, direkt neben einer Position der kongolesischen Armee. Die begleitende Parkrangerin wurde mit einer Kugel aus einem Scharfschützengewehr getötet. Rebellen der ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas), die vom Kongo aus gegen Ruandas Regierung kämpften und von ehemaligen Tätern des Völkermordes an Ruandas Tutsi kommandiert wurden, verschleppten die beiden Briten und ihren kongolesischen Fahrer in den Dschungel. Sie verlangten rund eine halbe Million Dollar Lösegeld. Britische Behörden zahlten über Umwege 180.000 Dollar.
Die Touristen kamen frei, aber der Park musste schließen bis Februar 2019. Seitdem besuchen mehr Ausländer den Virunga-Park als je zuvor unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen. Je zwei Geländewagen mit schwer bewaffneten Rangern begleiten die Touristenfahrzeuge zur Luxuslodge in Kibumba südlich des Parks. Rund um das Hauptquartier in Rumangabo wurde ein elektrischer Zaun hochgezogen. Ein Großteil der EU-Gelder wurde demnach in den Ausbau der Sicherheit investiert.
Das Geld ging an die FDLR
Die taz hat mit mehreren Personen gesprochen, die in die Lösegeldabwicklung involviert waren. Sie bestätigen: Das Geld ging an die FDLR, die sehr genau wusste, wann Touristen wo vorbeifahren. Der für diesen Sektor zuständige FDLR-Kommandant Oberst Ruhinda steht im Kontakt mit Park-Vizechef Mburanumwe. „Sie telefonieren regelmäßig“, bestätigt ein ehemaliger Ranger der taz.
Die FDLR hat ein ganz eigenes Interesse am Virunga-Park. Sie nutzt ihn als Rückzugsgebiet und monopolisiert den Holzkohlehandel aus dem Park – ein gewaltiges Geschäft, denn rund um den Park ist Holzkohle der einzige Brennstoff für Millionen von Menschen. Gewonnen wird er durch den Kahlschlag der Wälder – eine ökologische Katastrophe, mit der die Milizen rund 30 Millionen Dollar Umsatz im Jahr machen, schätzte der belgische Virunga-Chef Emmanuel de Merode im Interview mit der taz 2015 und kündigte Maßnahmen an.
Doch kaum ließ Parkchef de Merode im Frühjahr 2018 auf der Straße zwischen Rumangabo und Goma Straßensperren errichten, um Lastwagen systematisch auf illegale Holzkohlelieferungen zu untersuchen, wurden auf just dieser Straße die Touristen entführt. Schon 2014 war de Merode kurz vor der Premiere und Oscar-Nominierung des Films „Virunga“ auf dem Weg in den Park mehrfach angeschossen worden und hatte nur knapp überlebt. Auf taz-Anfrage zu den aktuellen Vorfällen äußert er sich bislang nicht, ebenso wenig wie andere offizielle Vertreter des Parks.
Es steht für alle viel auf dem Spiel
Drohungen haben nun auch diejenigen erhalten, die in den vergangenen zwei Wochen im Ostkongo mit der taz gesprochen haben. Es steht für alle viel auf dem Spiel: Der Virunga ist nicht nur ein Naturschutzgebiet, sondern ein Wirtschaftsimperium. Die Virunga-Stiftung, die neben der EU von US-Milliardär Howard Buffet finanziert wird, hat drei Wasserkraftwerke gebaut und vier Luxuslodges für die Gorillatouristen errichtet. Die EU hat erst im November 2018 erneut 20 Millionen Euro für Nationalparks im Kongo-Becken bis 2020 bereitgestellt, einen Großteil davon für Virunga.
Der Chef von Kongos Naturschutzbehörde ICCN, welcher der Park untersteht, ist am Wochenende aus der Hauptstadt Kinshasa eingeflogen. Am Montag wird er den Tatort in Rumangabo besuchen. Die Frauen dort rufen zum Protestmarsch auf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin