Sigmar Gabriel in Moskau: Zu Gast bei Freunden
Der Vize-Kanzler macht Präsident Putin seine Aufwartung. Der Kreml verkauft das Ereignis als Zeichen einer Normalisierung der Beziehungen.
Der Besuch des Vizekanzlers ist ein Highlight. Zwar schaut gelegentlich auch US-Außenminister John Kerry im Rahmen des Syrienkonflikts vorbei. Sigmar Gabriel kommt jedoch als Dialogpartner und Vertreter einer Partei, die „traditionell mehr Verständnis aufbringt für Russlands Interessen“, sagt Jekaterina Timoschenkowa vom Deutschland-Institut der Akademie der Wissenschaften. Der Besuch eines deutschen Vizekanzlers oder Außenministers sei immer eine „positive Nachricht“.
Gelegentlich kommt auch Ungarns Regierungschef Victor Orban vorbei. Hochrangige Gäste aus dem Westen sind jedoch rar, einmal abgesehen von rechten und linken Vertretern EU-kritischer Bewegungen. Moskau ist einsam und fürchtet die Isolation. Präsenz in Schlagzeilen täuscht darüber hinweg.
Die Visite des Sanktionskritikers Sigmar Gabriel liefert Moskau jedoch eine Steilvorlage. Schon in den letzten Tagen klang durch: Russlands Verhältnis zum Westen normalisiere sich langsam wieder, ohne dass es Zugeständnisse hätte machen müssen. Gabriels Auftritt wird als Beweis für die Uneinigkeit des Westens gewertet. Nicht zuletzt sei damit auch die Isolation widerlegt.
Persönliche Glückwünsche
Kurzum, Gabriel ist bei Freunden zu Gast. Unmittelbar nach dem Erdrutschsieg der Kremlpartei „Einiges Russland“ bei den Dumawahlen nimmt Präsident Putin persönliche Glückwünsche gerne entgegen. Denn sie legitimieren auch den Wahlausgang. Drei Viertel aller Parlamentssitze erhielt die Kremlpartei, die Opposition keinen. Davon träumen Gabriel und die SPD gar nicht erst. Der Besuch in Russland geschieht ebenfalls nicht ganz ohne wahltaktische Hintergedanken.
Im Juni warnte Außenminister Frank-Walter Steinmeier die Nato, die Lage an der EU-Ostgrenze „durch Säbelrasseln und Kriegsgeheul“ nicht weiter anzuheizen. Seither erhärtet sich der Verdacht: die SPD könnte mit einer Neuauflage der Ostpolitik der 1970er Jahre in den Bundestagswahlkampf 2017 ziehen.
Über Unterstützung bei der hybriden Kriegsführung freut sich Moskau. Gleichwohl verschont der russische Außenminister Sergej Lawrow den deutschen Amtskollegen nicht vor Erniedrigung. Die Feuerpause um Aleppo lehnte Lawrow im Juli kaltschnäuzig ab, wider besseren Wissens wiederholte er im Januar die Vergewaltigungslüge einer russischstämmigen Berliner Schülerin – „unserer Lisa“.
Berlin antwortet mit vertrauensbildenden Maßnahmen. Unterdessen führt Wladimir Putin in der Ostukraine weiter Krieg. Mehr als 9000 Tote sind zu beklagen, in Syrien stützt der Kreml Assad und die Streubomben des Regimes.
Hackerangriffe auf den Bundestag
Selbst die Hackerangriffe auf den Bundestag werden nicht angesprochen. Mal sehen, ob der Gast den Schneid besitzt, die Gastgeber mit der jüngsten Bombardierung des Hilfskonvois vor Aleppo zu konfrontieren.
Bei Wählern der Linken und der AfD steht Wladimir Putin hoch im Kurs. Dort genießt der Kremlchef mehr Vertrauen als Angela Merkel. In dieses Wählerpotential wollen Gabriel und Steinmeier vorstoßen. Fraglich ist, ob der Zugewinn von einigen Prozentpunkten den Handel mit demokratischen Prinzipien aufwiegt. Zumal Putin aus seiner Verachtung der europäischen Demokratie schon lange kein Hehl mehr macht.
Mit einer sofortigen Lockerung der Sanktionen rechnet in Moskau niemand. Gabriel wird jedoch als Hoffnungsträger wahrgenommen, der die Aussicht „auf einen Einstieg in einen etappenweisen Abbau“ eröffne, sagt Timoschenkowa. Sie erwartet, dass deutsche Unternehmen trotz Krise und Sanktionen die Produktion in Russland ausdehnen werden. Moskaus Strategie des Importersatzes begünstige deren Ansiedlung, so die Deutschlandexpertin.
Gabriel reist nicht zufällig mit einer großen Delegation der deutschen Wirtschaft an. Dort mache man sich sogar noch Hoffnungen, an einer Hochgeschwindigkeitsbahntrasse zwischen Moskau und dem 700 Kilometer entfernten Kasan beteiligt zu werden. Zu welchem politischen Preis?
Auch Russlands Deutschlandexperten glauben, eine vorsichtige Normalisierung der Beziehungen beobachten zu können. Berlins Umgang mit der Ukraine werde schärfer und ungeduldiger, hieß es. Gute Nachrichten für Moskau: Weder Kompromisse noch Zugeständnisse sind nötig.
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