Sieg für Gorillas-ArbeitnehmerInnen: Fair wird diese Branche nie
Die Angestellten des Schnell-Lieferdienstes Gorillas dürfen jetzt einen Betriebsrat wählen. Doch bringt das kurz- und langfristig überhaupt etwas?
W as die Beschäftigten des Lebensmittel-Lieferdienstes „Gorillas“ am Mittwoch vor dem Berliner Arbeitsgericht erreicht haben, ist ein kleiner Etappensieg – nicht weniger, aber auch nicht mehr. Die Entscheidung der Kammer, dass das Unternehmen die anstehende Wahl eines Betriebsrats zulassen muss, könnte schon bald ins Leere laufen, denn die Gorillas-Geschäftsführung ist gerade dabei, die derzeit 18 Warenlager in formal unabhängige Franchises umzuwandeln.
Wenn es dabei bleibt, können die jeweiligen Angestellten – FahrerInnen und LageristInnen – zwar immer noch einzelne Betriebsräte wählen, denn dass die Belegschaften die Mindestgröße dafür verfehlen, ist unwahrscheinlich. Andererseits ist es gerade in einer Branche, in der viele nur mit Studierendenvisa tätig sind und oft wenig Deutsch sprechen, ohnehin schon schwierig, dass sich ArbeitnehmerInnen organisieren. „Union Busting“ kennt viele Strategien.
Zumindest eines ist mal wieder überdeutlich geworden: Auf diesem neuen und rasant wachsenden Feld, auf dem der Dienst mit dem Tiernamen nur einer von mehreren Playern ist, versuchen die Unternehmen alles, um Kosten zu drücken und maximale Flexibilität herzustellen. Der Krieg um Marktanteile zwischen Gorillas, Flink, Getir, Foodpanda und bald auch Wolt (bislang nur für zubereitetes Essen zuständig) ist unerbittlich. In den Rabatt- und Werbeschlachten wird am Ende wohl nur einer überleben, der dann so richtig Reibach machen soll.
Hinter den Kulissen schieben Investoren gewaltige Beträge hin- und her. Gerade hat der US-Lieferriese Doordash Wolt für 7 Milliarden Euro gekauft, und der DAX-Konzern Delivery Hero, selbst Eigentümer von Foodpanda, ist mit 200 Millionen Euro bei Gorillas eingestiegen. All dieses Geld wird – betriebswirtschaftlich betrachtet – erst einmal nur verbrannt. Niemand fährt Gewinne ein, aber das soll, das muss sich ändern, ist ja Kapitalismus. Und da sind die Rechte von ArbeitnehmerInnen eher im Weg.
Die Frage ist: Kann „Quick-Commerce“ – so der Branchensprech – wirklich profitabel sein, wenn nicht alles zack-zack und unter dem Diktat der Kostenvermeidung läuft? Wenn seriöse Dienstpläne aufgestellt und Ruhezeiten respektiert werden, wenn LagerarbeiterInnen in angemessenen dimensionierten und hygienischen Räumen tätig sind, FahrerInnen sichere Räder erhalten, die regelmäßig gewartet werden? Von Zahlungen deutlich über dem Mindestlohn mal ganz zu schweigen?
Gefährliches Arbeitsmodell
Die Antwort lautet vermutlich Nein. Und einen grundsätzlichen Strickfehler des Geschäftsmodells haben wir noch gar nicht erwähnt: Eine Lieferung von Waren in zehn Minuten setzt diejenigen, die sie ausliefern, maximal unter Druck. Unter den Bedingungen des Berliner Straßenverkehrs ist das über das zumutbare Maß hinaus gefährlich.
„4,5 Millionen Mal haben Rider im letzten Jahr ihr Leben und ihre Gesundheit riskiert, damit jemand Reiches in 10 Minuten seine Einkäufe bekommt!“ Aussagen wie diese kürzlich auf einer Gorillas-Solidemo geäußerte sind im Prinzip richtig. Aber die Antwort kann dann auch eigentlich nur lauten: Lasst es. Arbeitsbedingungen und Gehälter, die solche Risiken angemessen ausgleichen, wird es in diesen Jobs nie geben.
Aber wer weiß, vielleicht erledigt sich der ganze Hype spätestens nach der allerletzten Corona-Welle von selbst. Wenn bis dahin nicht irgendwo Gewinne sprudeln, suchen sich die Investoren eine andere Spielwiese, und „wir“ gehen doch wieder zum Späti oder fragen den Nachbarn nach einer Tasse Mehl.
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