Sicherheitsleck in der JVA Burg: Sensibler Lageplan kursierte unter Gefangenen
Nach Recherchen der taz ist ein detaillierter Plan der JVA Burg in die Hände von Gefangenen gelangt. Die Leiterin der Anstalt wurde vorläufig freigestellt.
Doch diese Sicherheit könnte nun erheblich kompromittiert sein. Nach Recherchen der taz ist ein sensibler „SEK Übersichtsplan – Justizvollzugsanstalt Burg“ in die Hände von Insassen gelangt. Er soll bereits seit mindestens Februar 2024 kursieren. Am Freitag wurde die Anstaltsleiterin der Justizvollzugsanstalt Burg vorläufig vom Dienst freigestellt.
Die taz konnte ein elfseitiges Dokument einsehen und fotografieren, bei dem es sich um den Originalplan handeln soll. Abgebildet sind detaillierte Lagepläne aller Räume und Etagen der unterschiedlichen Anstaltsgebäude. Auf DIN A3 großen Papierbögen mit grünem Rand ist alles verzeichnet: Installationskanäle, Abstellkammern, Werkzeuglager, Brennstofflager, Schlüssel- und Saferaum, sogar die Orte, wo Waffen- und Munition zu finden sind. Auch alle Einstiege, Personalschleusen und Notausgänge sind eingezeichnet, teils mit zusätzlichen Informationen. An einem der Notausgänge etwa steht: „Gitter aufschließbar!“
Das Papier stammt anscheinend aus der Zeit, als die Anstalt eröffnet wurde. „Plan-Freigabe 03/2009“ steht in einem Kasten am rechten unteren Rand eines jeden Blattes, sowie die Kontaktdaten eines Ingenieursbüros, das auf Arbeits-, Brand- und Umweltschutz spezialisiert ist und sicherheitstechnische Beratung anbietet. Gegenüber der taz wollte sich das Ingenieurbüro nicht zu dem Übersichtsplan äußern.
Einstiege genau verzeichnet
Nach Informationen der taz nutzen Spezialeinsatzkommandos der Polizei solche Übersichtspläne taktisch, um Gefahrensituationen wie zum Beispiel eine Geiselnahme im Gefängnis unter Kontrolle zu bringen. In einem Bereich innerhalb des Gefängnisses können Beamte über Einstiegsschächte zu den Gefangenen gelangen. Der Übersichtsplan zeigt genau, wo diese Einstiege zu finden sind.
Zugespielt wurden der taz diese Informationen von einer Person, die diesen Plan nicht haben sollte. Der Name dieser Person ist der Redaktion bekannt, sie möchte nicht öffentlich genannt werden. Die taz hat die Person mehrfach gesprochen, es gab Telefonate und ein persönliches Treffen. Auch der Anwalt eines ehemaligen Gefangenen bestätigt gegenüber der taz, dass dieser Übersichtsplan unter einigen Insassen im Gefängnis kursiert und von dort nach außen gedrungen sei.
Wie das Papier in die falschen Hände gelangte, ließ sich für die taz nicht eindeutig nachvollziehen. Eine Version, die sich unter den Gefangenen erzählt wird, lautet: Ein Gefangener habe den Plan im Altpapier gefunden, das er entsorgen sollte. Wer mittlerweile alles den Plan kennt und möglicherweise Kopien davon hat, ist unklar. Sicher ist aber: Der Plan kursiert bei Unbefugten innerhalb und außerhalb der Anstalt.
Die taz hat das Justizministerium Sachsen-Anhalt um eine Stellungnahme gebeten und zur Klärung auch ein Foto des Übersichtsplanes übermittelt. Ein Sprecher des Ministeriums erklärte dazu am Freitag: „Nach Bekanntwerden des Fotos ist durch das Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz des Landes Sachsen-Anhalt eine Untersuchung eingeleitet worden, welche gegenwärtig andauert.“ Zu sicherheitsrelevanten Fragen und auch zu geplanten Maßnahmen im Justizvollzug könne das Justizministerium keine Angaben machen.
„Schwerwiegender Vorfall“
Allerdings hat der sicherheitsrelevante Vorfall bereits erste Konsequenzen: Laut Ministerium wurde eine Anzeige gegen Unbekannt erstattet. Zudem wurde die Leitung der Justizvollzugsanstalt Burg am Freitag vorläufig vom Dienst freigestellt. „Es ist vorgesehen, eine kommissarische Leitung der Justizvollzugsanstalt Burg einzusetzen“, erklärte der Pressesprecher. Aus Gründen des Personaldatenschutzes könnten keine weiteren Angaben gemacht werden.
Der Landtagsabgeordnete Sebastian Striegel (Grüne) ist Mitglied im Rechtsausschuss von Sachsen-Anhalt: „Die Veröffentlichung einer solchen Unterlage ist ein äußerst schwerwiegender und alarmierender Sicherheitsvorfall im Justizvollzug von Sachsen-Anhalt“, sagte er der taz. „Er wirft gravierende Fragen zur Sicherheit und zum Umgang mit sensiblen Informationen in unseren Anstalten auf.“ Striegel fordert umfassende Aufklärung durch die Landesregierung. Durch die Veröffentlichung sieht er eine deutlich erhöhte abstrakte Gefahr sowohl für die Gefangenen als auch für die Bediensteten des Gefängnisses.
Betrieben wird die JVA Burg vom Justizministerium Sachsen-Anhalt in einer Partnerschaft mit einer privaten Sicherheitsfirma. Das Gefängnis liegt etwas außerhalb der Stadt Burg zwischen der Autobahn A2 und einem Waldstück. 2009 wurde der neu gebaute Komplex mit 687 Haftplätzen eröffnet. Die Hafthäuser für männliche Untersuchungsgefangene, Strafgefangene, Sicherungsverwahrte sind panoptisch angeordnet: Von einem langen Haus an der Stirnseite gehen die vier Gebäudetrakte wie Gliedmaßen ab. Die Anstalt hat einen eigenen Hubschrauberlandeplatz, von dem Straftäter ins Gericht geflogen werden können. Außerdem gibt es eine Sporthalle, Arbeitsstätten und Besuchsräume.
Der kursierende Plan ist nicht der erste sicherheitsrelevante Vorfall in der JVA Burg: 2022 versuchte der rechtsextreme Attentäter von Halle aus dem Gefängnis zu fliehen. Er saß zu dem Zeitpunkt bereits seit etwa zwei Jahren in dieser Haftanstalt. Der Attentäter bastelte eine Waffe und nahm zwei Geiseln. Er bedrohte die Justizvollzugsbeamten, zwang sie, Türen zu öffnen und schaffte es bis kurz vor die Autoschleuse. Dort scheiterte er an den Sicherheitsmaßnahmen und gab auf.
Der Halle-Attentäter saß einen Teil seiner lebenslänglichen Haftstrafe in der JVA Burg ab, weil er 2019 zwei Menschen bei einem antisemitischen und rassistischen Anschlag am jüdischen Feiertag Jom Kippur getötet hatte. Er wurde nach der Geiselnahme nach Bayern verlegt.
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