Sicherheit von jüdischen Gemeinden: In Halle schützte nur eine Tür

Beim Anschlag auf die Synagoge in Halle war minutenlang keine Polizei vor Ort. Andere Synagogen haben Polizeischutz. Der wird vielerorts verstärkt.

Einschusslöcher in einer Holztür

In Halle trennte Rechtsterrorist Stephan B. nur eine Tür von den Gemeindemitgliedern Foto: afp

BERLIN taz/epd/dpa | Ein Schutzhäuschen für einen Polizeiposten, ein Mannschaftswagen oder gleich ein fest installierter Container: So kennt man die Schutzmaßnahmen von Synagogen beispielsweise in Hamburg oder Bremen. Polizeischutz sei mindestens zu Gottesdienstzeiten bei den meisten Synagogen üblich, erklärt der Zentralrat der Juden in Deutschland.

Und in Halle? Über zehn Minuten dauerte es, bis der Rechtsterrorist Stephan B. am Mittwoch dort erstmals auf die Polizei trifft. Über zehn Minuten, nachdem er an der Tür der Synagoge rüttelt und den ersten selbst gebauten Sprengsatz zündet. Er hatte Zeit, eine Frau zu erschießen, ins Auto zu steigen und in einem Döner-Imbiss einen Mann zu töten. Erst dann ist in dem Mitschnitt des Livevideos, das er von der Tat ins Internet stellte, ein Polizeiwagen zu erkennen.

In der Synagoge trennte B. nur eine Tür von den gut 70 bis 80 Gemeindemitgliedern, die an jenem Tag Jom Kippur feierten. Auf dem Video der Tat ist keinerlei Polizeiposten zu erkennen, nur eine Kamera über der Tür. Ein eigener Sicherheitsmann habe den Angreifer darauf entdeckt, erklärte Max Privorozki, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Halle, in einem Video des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus. Die Gemeindemitglieder, darunter zehn Gäste aus den USA, hätten daraufhin den Flur verbarrikadiert.

Privorozki kritisiert, dass die Polizei „zu spät“ an der Synagoge aufgetaucht sei – mehr als zehn Minuten nach seinem Notruf. Erst nach Stunden wurden die Gläubigen in Bussen evakuiert. Und er sagt: Trotz wiederholter Anfragen sei ein Polizeischutz verwehrt worden. Es habe immer geheißen, alles sei „ruhig“, sagte Privorozki.

Mehr Präsenz der Polizei

Auch der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, wirft den Sicherheitsbehörden in Sachsen-Anhalt deshalb Versäumnisse vor. Der Präsident des Jüdischen Weltkongresses, Ronald S. Lauder, erklärte am Donnerstag in New York, der staatliche Schutz jüdischer Einrichtungen in Deutschland müsse verbessert werden.

Laut Zentralrat werden die Sicherheitsvorkehrungen für jüdische Einrichtungen zwischen den jeweiligen Gemeinden und Landesverbänden und der Polizei und den Landeskriminalämtern geregelt.

In ganz Deutschland war der Schutz jüdischer Einrichtungen am Mittwoch verstärkt worden. Viele Bundesländer erklärten nun, auch zukünftig die Sicherheitsmaßnahmen zu erhöhen. In Schleswig-Holstein und Niedersachsen etwa stehen Gespräche zwischen Polizei und jüdischen Gemeinden an.

Ebenso in Thüringen. Nach dem Anschlag auf die Erfurter Synagoge im April 2000 seien dort die Sicherheitsvorkehrungen um das Gotteshaus und das benachbarte Gemeindezentrum sukzessive ausgebaut worden, sagte der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde, Reinhard Schramm, dem Evangelischen Pressedienst. Dazu zählten neben Überwachungstechnik auch ein neuer Sicherheitszaun und Sicherheitstüren, sagte Schramm. Alle Gottesdienste und Veranstaltungen würden bei der Polizei angemeldet.

Auch die Brandenburger Polizei will ihre Präsenz zum Schutz von Gebetshäusern, Büros, Friedhöfe, Gedenksteine und Gedenktafeln verstärken.

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