„Sicheres Herkunftsland“ Serbien: An einem gottverlassenen Ort
Serbien ist ein „sicheres Herkunftsland“ – aber für wen? Ein Rom aus Belgrad erzählt, wie er zweimal nach Deutschland floh und abgeschoben wurde.
BELGRAD taz | Die Knez Mihailova sieht aus wie die Fußgängerzone einer jeden mitteleuropäischen Metropole: aufgeputzt, mit teuren Geschäften, verlockenden Schaufenstern, unzähligen Touristen. Man hört Deutsch, Französisch, Japanisch, man posiert und fotografiert sich lächelnd. Nur ab und zu stört ein bettelndes Roma-Kind das Scheinbild einer Wohlstandsgesellschaft.
Knapp fünfzehn Minuten Autofahrt von dem heiteren Gewimmel entfernt stößt man im Belgrader Vorort Krnjaca auf eine andere Welt. Man biegt ab bei einem Schild, auf dem „Flüchtlingszentrum Ivan Milutinovic“ steht. In den Baracken der Baufirma Ivan Milutinovic sind noch immer, fast zwei Jahrzehnte nach Kriegsende, serbische Flüchtlinge aus Kroatien, Bosnien und dem Kosovo untergebracht. Dazu gesellt haben sich rund hundert Asylsuchende aus Syrien, Afghanistan, Pakistan und Somalia, die auf dem Weg in die EU in Serbien hängen geblieben sind. Alle diese Menschen sind durch Elend und Leid verbunden. Das ist ihnen gemeinsam auch mit ihren einheimischen Nachbarn, die sich hier, in diesem gottverlassenen Ort im Pappelwald, vor mehreren Jahrzehnten angesiedelt haben – den Roma.
Eine Gruppe Schwarzer geht aus dem von einem Zaun umzingelten Camp heraus, vorbei an einem jungen Rom, der versucht, zwei bockige Ziegen zu zügeln. Ein langer, teilweise gepflasterter Weg ist zu sehen. Rechts und links davon, dicht aneinander, stehen aus Brettern, Karton und Blech gebaute Hütten, liegen Autowracks. Es ist eine für den Balkan typische, wilde Romasiedlung. Oft wohnen Roma aus vielen Staaten in einer Siedlung, doch nur die Einheimischen haben Krankenversicherung und das Recht auf Schulbildung. Ankömmlinge von anderswo sind juristisch völlig unsichtbar.
Als er zwei Unbekannte sieht, kommt Kameraj Sajin (27) aus seiner Hütte. Er hat ein breites Lächeln und lädt gleich zum türkischen Kaffee ein. Seine Gastfreundlichkeit gegenüber Fremden ist unüblich für Roma in Serbien: Die Erfahrung lehrt sie, auf der Hut zu sein, wenn Fremde kommen. Oft heißt das, dass eine Zwangsumsiedlung oder ein anderes Übel bevorsteht. Von Journalisten fühlt man sich missbraucht, sie würden „aus der Misere der Roma Geld machen“, hört man.
In Deutschland war es schön
Sajin hat etwas Weltmännisches an sich. Stolz erzählt er, dass er mit seiner Frau und drei Kindern zwei Mal in Deutschland war. Acht Monate verbrachte die Familie 2013 in Steinfurt, dieses Jahr „drei Monate und elf Tage“. Erst vor wenigen Wochen wurden sie nach Serbien abgeschoben.
Der Aufenthalt sei „wirklich schön“ gewesen, erzählt Sajin. Nachdem die Familie einige Asylheime gewechselt hatte, bekam sie eine Wohnung und rund 1.200 Euro im Monat. Bei der Caritas konnte sie für zwei Euro Kleidung und Nahrungsmittel kaufen. Die Tochter ging in die Schule, die beiden Söhne in den Kindergarten. „Nicht so wie hier“, sagt Sajin, doch es klingt nicht wie eine Klage, eher wie eine Feststellung. Er lächelt, und das Lächeln schwindet auch nicht, wenn er von seiner Nierenkrankheit spricht.
Trotz allem liebt Sajin seine Heimat. „Nur hier fühle ich mich zu Hause“, sagt er. Dabei hatte er eine harte Kindheit: seine Mutter starb, als er vier Jahre alt war; die Grundschule brach er in der dritten Klasse ab, nachdem man ihn wegen dem vielen Fehlen in eine Sonderschule gesteckt hatte. Er wusch Autoscheiben im Zentrum Belgrads an „seiner“ Ampel; als Teenager half er beim Ein- und Ausladen von LkWs. „Bei jedem Wetter“, sagt er, dort holte er sich seine Nierenkrankheit.
Kein „dreckiger Zigeuner“
Hier, in Krnjaca, muss seine Tochter in die Abendschule gehen, weil sie ihren Platz in der regulären Grundschule verloren und er keine Bestätigung hat, dass sie eine deutsche Schule besucht hatte. Für die Jungen gibt es keinen Kindergarten, und vom Staat bekomme er lediglich 10.000 Dinar (rund 85 Euro) Kindergeld. In Deutschland sei alles „irgendwie menschlicher“, man komme sich nicht vor wie ein „dreckiger Zigeuner“.
Sajin ist stolz auf den vorderen Teil seiner Hütte, der aus Ziegelsteinen gebaut ist. Im Wohnzimmer liegen Teppiche, das Geld dafür hat er in Deutschland gespart. Wie er und seine Familie die Grenzen passiert hätten? Den serbischen Grenzern hätten sie ganz normal ihre serbischen Reisepässe gezeigt, die ungarischen hätten sie bestochen.
In der Siedlung leben rund 100 Menschen in etwa 25 Hütten. Wasser zapfen sie an, für Strom zahlen sie einer benachbarten Baufirma „auf privater Basis“. Das hat Denis Sajti (27) ausgehandelt, der alle Klassen der Grundschule absolviert hat, und den man wegen seiner Leaderqualitäten auch Bush nennt, nach dem US-Präsidenten. Er und Sajin scheinen die Anführer der Siedlung zu sein, in der sie geboren wurden. „Bei uns in Krnjaca ist es, als ob die Zeit stehen würde“, sagen beide.
„Wovon sollen wir hier leben?“
Nur Bush und ein weiterer Bewohner haben einen Job im Belgrader Kommunaldienst, befristet, ohne Urlaub oder Krankengeld. Andere sammeln altes Eisen und verkaufen es für rund zwei Euro pro hundert Kilo.
„Schön, dass Serbien in Deutschland nun als sicheres Land gilt – aber wovon sollen wir hier leben?“, fragt Bush. Mindestens ein Viertel der Bürger Serbiens lebt an oder unter der Armutsgrenze, jeder Dritte ist arbeitslos. „Was können wir Zigeuner da erwarten?“. Bush zuckt mit den Achseln. Die „Zigeuner“ seinen stets am Ende der Nahrungskette einer Gesellschaft. Sogar diese Asylsuchenden aus Afrika würden vom Staat mehr bekommen, kostenlose Unterkunft in guten Baracken und Nahrungsmittel. Für serbische Flüchtlinge werde natürlich gesorgt. „Aber uns vergisst man immer“.
Laut Volkszählung leben in Serbien knapp 118.000 Roma, ihre Anzahl wird aber auf über eine halbe Million geschätzt. Die meisten leben unter ähnlichen oder schlechteren Bedingungen wie in Krnjaca, ohne Wasser und Strom. Ebenso unpräzise sind die Angaben über die Anzahl der Roma in Bosnien und Herzegowina und in Mazedonien. Und je ärmer die Länder sind, desto schlimmer ist die Lage der Roma.
„Besser lebendig in Deutschland als tot in Serbien“, sagt Sajin lächelnd. Er habe noch Familie in Deutschland, er sei ein freier Mann mit einem Reisepass. Er werde sie besuchen.
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