Sichere Herkunftsstaaten im Bundesrat: Gezerre um Asylrechtsverschärfung
Die Grünen sind entschlossen, das umstrittene Gesetz scheitern zu lassen. Der hessische Ministerpräsident wollte versöhnen, gab dann aber auf.
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Union und SPD versprechen sich von der Asylrechtsverschärfung schnellere Abschiebungen. Die Grünen und die Linkspartei halten sie für verfassungsrechtlich problematisch – und glauben, dass besonders die drei nordafrikanischen Maghrebstaaten nicht sicher sind. In Tunesien, Algerien und Marokko ist Homosexualität laut Gesetz strafbar. Schwule und Lesben können ins Gefängnis wandern. Dort kommt es häufig zu Demütigungen und Gewalt durch die Polizei oder Aufseher.
Die Haltung der Grünen ist in diesem Fall entscheidend. Die Groko braucht die Zustimmung des Bundesrates. Dort kann die Ökopartei Vorhaben blockieren, weil sie in neun Ländern mitregiert. Bisher hat nur Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der mit einer grün-schwarzen Koalition regiert, seine Zustimmung in Aussicht gestellt. Dies reicht jedoch nicht für eine Mehrheit in der Länderkammer am Freitag.
Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) hatte am Dienstagnachmittag auf taz-Anfrage überraschend angekündigt, die Abstimmung verschieben zu wollen, um noch eine Einigung zu erreichen. Doch der Vorstoß war offenbar nicht mit seinem Koalitionspartner abgesprochen. Die hessischen Grünen zeigten sich am Dienstagabend „verwundert“ über die Berichterstattung über einen Vertagungsantrag.
Bouffier bläst zum Rückzug
Dieses Vorgehen sei in der schwarz-grünen Koalition nicht abgesprochen, teilten die Landesvorsitzenden Angela Dorn und Kai Klose mit. „Im hessischen Koalitionsvertrag ist ausdrücklich festgehalten, dass die Koalitionspartner in der Frage zusätzlicher sogenannter sicherer Herkunftsländer unterschiedlicher Meinung sind. Der Koalitionsvertrag gilt.“ Hessen werde sich deshalb in dieser Frage in der Länderkammer enthalten – was einem Nein gleichkommt.
Am Mittwoch blies Bouffier daraufhin zum Rückzug. Aufgrund der „aktuellen Verlautbarungen“ scheine eine Weiterentwicklung auf Basis des jetzigen Gesetzentwurfes nicht möglich, sagte Hessens Regierungssprecher Michael Bußer. „Deshalb wird Hessen auf eine Vertagung verzichten.“ Werde über das Gesetz im Bundesrat abgestimmt, werde sich Hessen enthalten.
Auch in Schleswig-Holstein hatte Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) dem Vernehmen nach mehrere Male versucht, die Grünen ins Boot zu holen. Günther regiert in einer Jamaika-Koalition mit Grünen und FDP. Doch auch hier beißt die CDU auf Granit. „Schleswig-Holstein wird diesem Gesetz nicht zustimmen“, sagte Aminata Touré, die Migrationsexpertin der Grünen-Fraktion im Kieler Landtag.
Grüne Alternativen
Die Grünen versuchen nun, die Debatte nach vorne zu wenden. Für schnellere Verfahren und funktionierende Abschiebungen brauche es verbesserte Verfahren an den Verwaltungsgerichten, funktionierende Rückführungsabkommen mit Herkunftsländern, eine Qualitätsoffensive beim Migrationsamt Bamf und vor jedem Asylverfahren eine Rechtsberatung, sagten Göring-Eckardt und Baerbock.
Für Union und SPD wäre ein Scheitern des Gesetzes zu den sicheren Herkunftsstaaten peinlich. Seit Monaten bewerben sie es als unverzichtbaren Baustein ihrer Flüchtlingspolitik. Die CDU hat bei ihrem Werkstattgespräch über Flüchtlingspolitik Anfang der Woche nochmal hervorgehoben, dass mehr Staaten als sicher eingestuft werden müssten – am besten von allen EU-Staaten gemeinsam.
Die Große Koalition ist mit dem Versuch, die Maghrebstaaten als sicher zu deklarieren, schon einmal vor die Wand gelaufen. Einen ersten Anlauf stoppte der grüne Widerstand im Bundesrat im März 2017.
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