Sezessions-Referendum in Katalonien: Der Traum von der linken Republik
Der Terror in Spanien hat den Streit über die Unabhängigkeit Kataloniens nur kurz unterbrochen. Das Referendum spaltet die Linke.
Am Samstag wollen wieder Tausende in Barcelona gegen den Terror demonstrieren. „Ich habe keine Angst!“, werden sie rufen auf dem Boulevard Passeig de Gràcia mit seinen prachtvollen Jugendstilgebäuden.
Auch Spaniens König wird dabei sein. Doch die Attentate haben nichts daran geändert, dass Gabriel und Arenas zerstritten sind – so wie ganz Katalonien gespalten ist. Im Gegenteil: Der Monarch dürfe die Demonstration nicht anführen, forderte Gabriels Fraktion „Kandidatur der Volkseinheit“, kurz CUP. Arenas glaubt, die Sezessionsbewegung sei mitverantwortlich dafür, dass die Sicherheitskräfte der Region und der Zentralregierung schlecht zusammengearbeitet hätten.
Dabei haben Gabriel und Arenas eine Menge gemein: Beide haben Jura studiert; als Professor für internationales Privatrecht war er ihr Dozent. Beide sind dafür, das bedingungslose Grundeinkommen einzuführen und mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Sie sind dagegen, Arbeitnehmerrechte abzubauen und das Gesundheitssystem zu privatisieren. Anna Gabriel und Rafael Arenas sind beide links.
Kein Konsens in Sicht
Doch in der Diskussion über die Unabhängigkeit kämpfen sie seit Monaten so unerbittlich gegeneinander wie noch nie. Denn Gabriels CUP bereitet gemeinsam mit der von einem Konservativen geführten katalanischen Regierung ein Referendum vor. Am 1. Oktober wollen sie die Wahlberechtigten der Region fragen, ob Katalonien eine eigene Republik werden soll. Falls die Mehrheit zustimmt, soll zwei Tage nach Bekanntgabe des Ergebnisses die Abspaltung von Spanien erklärt werden – auch gegen den Willen der Zentralregierung in Madrid.
Arenas argumentiert dagegen, zum Beispiel als Gastkommentator in der New York Times. Ein Jahr lang war er Präsident der Vereinigung „Katalanische Zivilgesellschaft“, die die wichtigste überparteiliche Organisation der Unabhängigkeitsgegner ist.
Mit Geld- und Haftstrafen droht derweil die spanische Staatsanwaltschaft Politikern und Beamten, die das Plebiszit vorbereiten. Die Polizei führt schon Verhöre durch. Doch die Regionalregierung in Barcelona gibt sich unbeugsam und entwirft sogar Gesetze, die die Details der Loslösung von Madrid regeln sollen. Wenn das Referendum trotz des Drucks tatsächlich stattfindet, könnte Madrid der militärisch organisierten Polizeieinheit Guardia Civil befehlen, die Urnen einzusammeln. Nicht auszudenken, was passieren würde, falls sie dabei auf Widerstand stieße.
Anna Gabriel, CUP-Abgeordnete
Und das mitten in einem der größten EU-Länder und in einer wirtschaftlich bedeutenden Region, mit Barcelona und der Costa Brava, die Deutsche als Urlaubsziel kennen. Der Streit in Katalonien betrifft vor allem deshalb auch Deutschland, weil die Regionalregierung will, dass der neue Staat in die Europäische Union und die Eurozone aufgenommen wird. Berlin hätte ein Vetorecht.
Wenn Katalonien mit seinen 7,4 Millionen Einwohnern unabhängig würde, könnten auch andere Minderheiten sich ermutigt fühlen, den gleichen Weg zu gehen. Separatisten gibt es etwa unter den Basken in Spanien und Frankreich, den Schotten in Großbritannien, den Südtirolern in Italien oder den Ungarn in der Slowakei, Rumänien und Kroatien. Es drohen wieder Dispute um Grenzen in Europa.
Warum unterstützt dann eine Linke wie Anna Gabriel die nationalistische Bewegung in Katalonien? Sie lächelt, als sie diese Frage hört. Die 41-Jährige ist Sprecherin der CUP-Parlamentsfraktion. Die Gruppe hat zwar bei der letzten Wahl nur 8 Prozent der Stimmen erhalten und ist nicht Teil der Regierung, aber lediglich dank Stimmen aus ihren Reihen konnte der Konservative Carles Puigdemont Ministerpräsident werden.
Gabriel sitzt – sehr aufrecht – in ihrem kleinen Büro im Keller des Parlaments in Barcelona. An der Wand hinter ihr hängt ein „Free Kurdistan“-Plakat. Sie trägt ein schwarzes T-Shirt, einen kurzen Pony, einen großen Metallring in dem einen, vier Ringe in dem anderen Ohr.
„Ich komme aus einer Arbeiterfamilie“, erzählt sie. Ihre Eltern hätten immer ein „großes Klassenbewusstsein“ gehabt. Gewerkschaften, Anarchismus, Kommunismus, das waren Themen in ihrer Familie. „Schon als ich klein war, haben wir sehr viel über Politik geredet. Und immer im Geist, Gerechtigkeit zu suchen.“
Gabriel ist zu dem Schluss gekommen: „Wenn du mehr Rechte für Arbeiterinnen, mehr Kontrolle über die Wirtschaft und mehr Souveränität für das Volk erreichen willst, ist das im Rahmen des spanischen Staats unmöglich.“
Die Abspaltung könne mehr soziale Gerechtigkeit bringen, denn in Katalonien gebe es eine Mehrheit dafür – anders als im restlichen Spanien. Das ist Gabriels Hoffnung. Für sie ist die katalanische Unabhängigkeit vor allem ein Mittel, um „den Weg zum Sozialismus einzuschlagen“, wie es im Wahlprogramm der CUP heißt.
Vor Kurzem hat Gabriel ein Plakat der CUP für das Referendum in die Kameras gehalten, das diese Strategie auf den Punkt bringt: Darauf schubst eine Putzfrau mit einem großen Besen den spanischen König, der Korruption verdächtige Politiker, den Präsidenten der Zentralregierung, einen Stierkämpfer und einen Kardinal von einer Karte Kataloniens. „Lasst uns den Kapitalismus, das Patriarchat, die Korruption und die Monarchie hinwegfegen“, sagen Gabriel und ihre Mitstreiter. Sie verspricht: „Die Unabhängigkeit ist dazu da, alles zu ändern.“
Dieser Text stammt aus der taz.am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Dem Königshaus und der Zentralregierung wirft Gabriel sogar vor, eine Mitschuld an dem Doppelanschlag in Katalonien zu tragen. Spanien sei schließlich für den Irakkrieg 2003 gewesen, der dazu beigetragen hat, dass der „Islamische Staat“ entstanden ist. Und der König sei mit Monarchen in Golfstaaten befreundet, die die Terrororganisation finanzierten.
Im Programm der CUP stehen so radikale Forderungen wie die 30-Stunden-Woche oder dass Staatsschulden nicht bezahlt werden sollen. Die klassische Familie bezeichnet Anna Gabriel als „arm“. Sie würde Kinder lieber im Kollektiv aufziehen, so dass sie kein Zugehörigkeitsgefühl zu den biologischen Eltern entwickeln.
Das katalanische Parlament tagt zwei Stockwerke über Gabriels Büro in einem kleinen, aber prächtigen Saal aus dem 18. Jahrhundert. Drei voluminöse kugelförmige Kronleuchter hängen an der Decke, an den Seiten stehen Doppelsäulen aus Marmor. Die Abgeordneten sitzen auf Holzbänken mit roten Polstern.
Ende Juli 2015 drückte hier die Mehrheit der Parlamentarier – inklusive der CUP – die grünen Knöpfe in der Bank vor ihnen. Sie beschlossen, dass leerstehende Wohnungen von Banken an Arme vermietet werden müssen. Gabriel ist sehr stolz darauf. Doch dieses Gesetz hob das spanische Verfassungsgericht wieder auf, weil die Region damit ihre Kompetenzen überschreite. Für Gabriel ist die Episode ein Beleg dafür, dass mit Spanien kein gesellschaftlicher Fortschritt zu machen sei.
Rafael Arenas, linker Jura-Prof
Unumstritten ist, dass die Unabhängigkeitsbewegung vor allem wegen der Wirtschaftskrise ab 2007 und den Massenprotesten 2011 gegen die Sparmaßnahmen, die Arbeitslosigkeit und die Korruption an Fahrt gewonnen hat. Doch wie groß ist die Chance auf eine linkere Politik in einem unabhängigen Katalonien wirklich?
Um das zu erfahren, kann man von Barcelona aus an der Küste 110 Kilometer nach Westen in die Nähe der Stadt Tarragona fahren. Hier entsteht auf einer Fläche von mehr als 74 Hektar direkt am Mittelmeer ein gigantischer Komplex aus Spielcasinos, Hotels und Geschäften – ein mediterranes Las Vegas. Der Hard-Rock-Café-Konzern aus den USA will dort 1.200 Glücksspielautomaten und 100 Spieltische für Poker und Ähnliches aufbauen. Gelockt hat die katalanische Regionalregierung potenzielle Investoren mit großzügigen Steuerermäßigungen.
„Das ist das Gegenteil von einer fortschrittlichen, linken Politik“, sagt Rafael Arenas, der ehemalige Juraprofessor von Gabriel. Er will zwar auch mehr soziale Gerechtigkeit, aber seine Forderungen sind moderater. Er ist 50, also fast zehn Jahre älter als Gabriel, hat einen kurzgeschnittenen Vollbart und trägt ein frisch gebügeltes, weißes Hemd. Arenas hat drei Kinder – von derselben Frau, mit der er den Nachwuchs auch noch gemeinsam aufzieht.
Dass die Separatisten im katalanischen Parlament das Casinoprojekt nicht gestoppt oder dessen Steuerbefreiung gestrichen haben, zeigt Arenas: „In den Bereichen, wo Katalonien Gesetzgebungskompetenz hat, haben die Unabhängigkeitsbefürworter fast nichts gemacht.“ Sie hätten auch nicht die Beteiligung von Privatunternehmen am Gesundheits- und am Bildungswesen zurückgedrängt.
Die Region: Katalonien ist eine von 17 autonomen Regionen Spaniens. Wichtigste Städte sind Barcelona, Tarragona und Girona. 16 Prozent der 46,5 Millionen Spanier leben in Katalonien. Die Region trägt
bei. Historisch, sprachlich und kulturell unterscheidet sich Katalonien vom restlichen Spanien, weshalb es seit Langem einen Drang zur Unabhängigkeit von Spanien gibt.Das Referendum: Nach der letzten Umfrage, die die Regionalregierung veröffentlichte, wollen 41 Prozent der Wahlberechtigten, dass Katalonien unabhängig wird. 49 Prozent sind dagegen. Etwa die Hälfte der Befragten will ein Referendum auch gegen den Willen Spaniens, die andere Hälfte ist dagegen. Eine Mehrheit derjenigen, die an der Abstimmung teilnehmen wollen, sprach sich für die Unabhängigkeit aus.
Aber hat das katalanische Parlament nicht tatsächlich progressive Gesetze beschlossen? „Sie wussten, dass diese Beschlüsse aufgehoben werden, weil sie nicht in die Zuständigkeit der Region fielen“, antwortet Arenas. Wären sie wirklich durchsetzbar, hätte die Koalition sie nicht beschlossen – wegen des Widerstands des konservativen Lagers in der Regierung.
„Die Unabhängigkeitsbewegung wird von der Rechten angeführt“, sagt Arenas. Stärkste Kraft in der katalanischen Regierung sei die konservative Partei PdeCat. Ihr wichtigster Koalitionspartner, die sozialdemokratische ERC, müsse Kompromisse akzeptieren, um die Unabhängigkeit zu erreichen.
Wenn die katalanische Republik doch nicht die Revolution bringt, was dann? Chauvinismus – wie so viele Nationalismen der Vergangenheit?
Anna Gabriel lächelt wieder. Ihre Stimme bleibt ruhig und klar. „Die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien“, antwortet die CUP-Politikerin, „ist sehr antifaschistisch.“
Gabriel verweist gern auf die Geschichte: Unter dem rechten Diktator Francisco Franco wurde die katalanische Kultur diskriminiert. Der General führte Spanien von seinem Putsch gegen die gewählte republikanische Regierung 1936 bis zu seinem Tod 1975 mit eiserner Hand. Franco hob das Autonomiestatut auf, das Katalonien zum Beispiel eine eigene Regierung, ein Parlament und Kompetenzen im Bildungswesen zugestanden hatte.
Katalanisch ist eine eigene Sprache
Katalanisch, diese eigenständige romanische Sprache mit ihrer jahrhundertealten literarischen Tradition, war nicht mehr Amtssprache und wurde beispielsweise in der öffentlichen Verwaltung unterdrückt. Schon deshalb stand der katalanische Nationalismus gegen Franco, der vom faschistischen Italien und nationalsozialistischen Deutschland unterstützt wurde. „Es gibt keinen identitären Diskurs, keinen Diskurs der Exklusion von Nationen“, beteuert Gabriel.
Wenn Rafael Arenas vom Bahnhof zum Campus seiner Universität nahe Barcelona geht, fällt sein Blick auf das riesige Graffito dort: Auf der gesamten Längsseite des Mensa- und Verwaltungsgebäudes prangt eine rote Sowjetflagge und eine gelb-rote Fahne der Unabhängigkeitsbewegung. In der Mitte eine schwarze, geballte Faust. Unter dem Bild steht: „Unabhängigkeit. Sozialismus. Feminismus“. Signiert ist es mit SEPC, dem Kürzel einer Studentenorganisation, die von Gabriels CUP finanziert wird und deren Mitglieder regelmäßig maskiert und mit brennenden Bengalos über den Campus marschieren.
Auf Pfeilern am Rande des Wegs sind Aufkleber mit der Aufschrift „FCK SCC“. SCC ist die Abkürzung für den Namen von Arenas’ Pro-Spanien-Organisation. „Das haben sie mir auch schon auf meine Bürotür geklebt“, klagt der Professor.
In seinem Büro zeigt Arenas Fotos und Videos von Veranstaltungen der SCC auf dem Campus: Etwa 30 teils maskierte Leute blockieren in ziemlich einschüchternder Art und Weise den Zugang zu einer Veranstaltung der SCC. „Die Autonome Universität Barcelona wird immer unsere bleiben“, brüllen sie. Und: „Faschisten!“
Einmal wurde ein Stand der SCC auf dem Campus von den sogenannten Antifaschisten mit einem Feuerlöscher eingenebelt, sie rissen die spanische Fahne herunter und verbrannten sie. Regelmäßig müssen die SCC-Veranstaltungen auf dem Campus von Sicherheitsleuten und manchmal sogar von der Polizei geschützt werden.
Arenas hat Laura Casado und María Domingo mitgebracht. Die beiden Studentinnen arbeiten in der Unigruppe der SCC mit. „Sie haben Unterschriften gesammelt, um uns aus der Uni auszuschließen“, erzählt Casado. „Mich haben sie vor der Bibliothek bespuckt“, sagt Domingo. Seien sie anfangs 13 Studenten gewesen, würden jetzt nur noch fünf mitmachen, „wegen des Drucks“.
„Reaktionär“ und intolerant – so nennt Arenas manche Separatisten.
Die Lage an der Universität ist eine Ausnahme. Die überwiegende Mehrheit der Unabhängigkeitsbefürworter ist friedlich. Aber es gibt unter ihnen linke Strömungen, die sich nicht klar von den Aggressionen gegen die SCC oder ähnliche Organisationen distanzieren. Was hält Anna Gabriel von den Angriffen auf den Verein ihres ehemaligen Professors?
Bei dieser Frage verschwindet das Lächeln aus Gabriels Gesicht – und zwar schlagartig. Ihr Blick wird kalt. Gut, sagt sie, die SCC verweigere dem katalanischen Volk das Recht auf Selbstbestimmung, das auch in der Charta der Vereinten Nationen verankert ist. Sie hätten „Beziehungen zu Mitgliedern von Gruppierungen mit einer faschistischen Ideologie“. Da verwundere es nicht, dass Menschen, die mehr Demokratie in Katalonien wollen, „reagieren“, wenn sie einen Stand der SCC und in der Nähe Rechtsextreme sehen.
Rechte mischen mit
Auf den Videos eines SCC-Auftritts sind tatsächlich in einiger Entfernung mehrere Glatzköpfe zu sehen. Aber das war nur bei einer Veranstaltung, gestört wurden ebenso SCC-Auftritte, bei denen keine Rechtsextreme in der Nähe waren.
Arenas sagt auch, er habe die anwesenden Polizisten gebeten, sich zwischen die SCC-Leute und die Rechtsextremen zu stellen, damit diese isoliert blieben. Zudem haben sich er und seine Organisation von „Nazis“ und „Faschisten“ distanziert. „Aber in dem Moment, in dem du dich gegen die Sezession stellst, bist du für viele Unabhängigkeitsbefürworter automatisch ein Faschist“, klagt Arenas. Schweiß perlt von seiner Stirn. Es ist heiß in seinem Büro, obwohl der Ventilator vor seinem Schreibtisch läuft. Und die Debatte setzt ihm zu, weil die Fronten so verhärtet sind.
„Wie tief der Riss in der katalanischen Gesellschaft ist, hat die Reaktion auf die Attentate offengelegt“, sagt er. Die Regionalregierung habe diese Tragödie missbraucht, um der Welt zu demonstrieren, dass Katalonien wie ein eigener Staat funktioniert. Dabei habe die Regionalpolizei nach der Explosion eines Hauses der Terroristen am Tag vor den Attentaten zu spät erkannt, dass dort Anschläge vorbereitet wurden. Und sie hätten der Guardia Civil nicht gestattet, dort zu ermitteln.
In Arenas’ Regal steht ein juristisches Fachbuch neben dem anderen. Sogar der „Schönfelder“, ein roter Plastikordner mit deutschen Gesetzen. „Weil wir Spanier alle eine politische Gemeinschaft bilden, haben die Bürger aus Huelva, aus Madrid oder Galicien zum Beispiel das Recht, nach Katalonien zu ziehen, hier zu leben, zu arbeiten und das Regionalparlament zu wählen“, sagt der Jurist.
Im Moment würden sie automatisch wie Inländer behandelt. „Durch eine Abspaltung könnten diese Bürger ihre Rechte verlieren.“ Deshalb müssten sie zustimmen, dass es eine Sezession gibt. „Man darf nicht der Gesamtheit der Spanier ein Recht nehmen, ohne sie zu befragen.“
Auf Arenas’ Schreibtisch stapeln sich auch Standardwerke zum Völkerrecht. Die braucht er für die Debatte über Katalonien. „Den Teil des Selbstbestimmungsrechts der Völker, der auch das Recht auf Sezession beinhaltet, gibt es in den internationalen Verträgen und UN-Resolutionen nur für Kolonialvölker oder wenn die Grundrechte systematisch und schwerwiegend verletzt werden“, sagt Arenas. Und die Katalanen lebten schließlich in Spanien, einer Demokratie.
Katalanen fühlen sich benachteiligt
Dennoch halten sich viele Katalanen für unterdrückt. „Wenn du vor Gericht stehst und auf Katalanisch mit der Justiz kommunizieren willst, sprechen weniger als 5 Prozent der Richter auf Katalanisch oder fassen die Urteile darin ab“, sagt Anna Gabriel. Für viele Separatisten gibt es auch bei den von Madrid gesteuerten Polizeikräften eine „kulturelle Unterdrückung“ des Katalanischen.
„Ich lache mich kaputt, wenn ich das höre“, sagt Arenas dazu. „Meine Kinder haben wie die meisten Katalanen Spanisch als Muttersprache. Dennoch hören sie seit dem Kindergarten nur Katalanisch, außer in den Spanischstunden, die mit sechs Jahren begonnen haben. Wo bitte sehr ist die Unterdrückung?“ In der Verwaltung der Region sei Spanisch auf ein Minimum reduziert worden. „Zu wollen, dass die Leute Spanisch vergessen, das finde ich pervers“, sagt Arenas.
Anna Gabriel weist solche Pläne weit von sich. Sie verspricht eine „Vorzugsbehandlung“ für das Spanische, weil es für so viele Katalanen die Muttersprache ist.
Vorzugsbehandlung ist aber nicht Gleichberechtigung. Jedenfalls verdrängt Gabriel das Spanische zuweilen eigenhändig und mit Genuss. Für sie ist die Sprache auch ein Mittel, Macht zu demonstrieren. Arenas habe an der Uni seine Vorlesungen immer auf Spanisch gehalten, erzählt sie. „Ich habe ihm immer auf Katalanisch Fragen gestellt. Und er hat immer auf Katalanisch geantwortet. Das hat mich immer gefreut, weil es mir gezeigt hat: Hier befehle ich.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl