Sexuelle Übergriffe im Alltag: Die Boxershorts auf dem Balkon
Für viele Frauen ist Catcalling Alltag. In Japan werden sie hingegen eher selten angepfiffen – stattdessen klauen Männer lieber ihre Unterwäsche.
E gal in welchem Land ich bin, widerliche Männer gibt es überall – sei es, dass sie mich mit einem Auto eine halbe Stunde lang verfolgen oder nachts in einem U-Bahn-Abteil als Exhibitionist auftreten. Könnte ich, würde ich all diesen Männern ihre Schwänze abschneiden. Ohne Betäubung. So wütend bin ich auf Männer, die meinen, sich alles erlauben zu dürfen. Denn nach so einem Vorfall sind Frauen diejenigen, die mit einem Trauma, vielleicht sogar lebenslanger Angst, leben müssen. Und Japan ist da leider keine Ausnahme.
Meine Erfahrungen mit sexueller Belästigung in Japan beschränken sich zum Glück (!) auf Anmachsprüche am Bahnhof und Begrabschen in der Bahn. Ich sage zum Glück, denn die meisten Frauen erleben viel gruseligere Sachen. Meine beiden Erfahrungen sind hingegen Alltag für viele.
Das Klischee, dass japanische Bahnwaggons zur Rush Hour prallgefüllt sind, stimmt in Tokyo durchaus. Obwohl die Bahn pünktlich alle zwei oder drei Minuten fährt, werden Fahrgäste in jedem Waggon zerquetscht. In solchen Momenten gibt es Männer, die dies ausnutzen: Da sich niemand bewegen kann, reiben sie sich an Frauen oder begrabschen sie von oben bis unten. Manche gehen gar unter die Kleidung, andere machen sich an Minderjährige ran.
Viele Mädchen und Frauen sind dabei paralysiert und trauen sich nicht, etwas dagegen zu sagen. Aus diesem Grund wurde vor etwa 20 Jahren der „Women only wagon“ eingeführt, also Bahnwaggons, die zu Rush-Hour-Zeiten nur von Frauen genutzt werden dürfen. Parallel dazu gibt es zunehmend Schilder an Bahnhöfen, die auf diese Übergriffe aufmerksam machen. Während solche Schilder früher eher Hinweise an Frauen gaben („Tragt keine kurzen Röcke“), adressieren sie heutzutage die Täter („Belästigung ist ein Verbrechen“ – no shit, Sherlock).
Fragwürdige Lösungsansätze
Aus ähnlichen Gründen sind übrigens Handys in Japan so eingestellt, dass der Kameraton nicht stumm geschaltet werden kann. Das liegt daran, weil Männer vermehrt Frauen unter dem Rock fotografierten, also Upskirting betreiben. Ein Freund von mir, der in Tokyo ein gebrauchtes Handy kaufte, quälte sich in einer deutschen Bibliothek mit dem Ton, als er mehrere Seiten für seine Arbeit abfotografieren musste. Das mag vielleicht absurd oder lustig klingen, wirklich zur Lösung trägt es nicht bei.
Und noch weniger lustig sind japanische Unterwäschediebe. Immer mal wieder klettern Männer auf Balkone von alleinwohnenden Frauen und stehlen dort Strings und BHs, die zum Trocknen hängen. Es gibt auch Fälle von Männern, die nachts Frauen hinterherlaufen und ihnen ihre Unterwäsche vom Leib reißen und damit wegrennen. Oder sich auf den Balkon schleichen und sichtbar onanieren.
Die berühmte Manga-Autorin und Essayistin Momoko Sakura schrieb in einem Essay, dass sie nach einer solchen Erfahrung ihre Mutter angerufen habe. Die Mutter schickte ihr darauf prompt die Boxershorts ihres Vaters, die Sakura auf dem Balkon hängen sollte. Die Idee dahinter: Wenn Männerunterwäsche am Balkon hängt, bleiben andere Männer fern.
Vom Schlüssel zwischen den Fingern der Faust bis zur Unterwäsche des Vaters – der weiblichen Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Unsere Geduld hingegen hat schon längst ihre Grenzen erreicht. Hoffen wir mal, dass Täter das auch zu spüren bekommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Kohleausstieg 2030 in Gefahr
Aus für neue Kraftwerkspläne
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Russlands Nachschub im Ukraine-Krieg
Zu viele Vaterlandshelden