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Sexualisierte Gewalt in der KircheAm Anfang war die Aufarbeitung

Die Katholische Kirche startet ihre erste weltweite Missbrauchskonferenz im Vatikan. Ergebnisse kann man danach nicht erwarten.

Größer als die Reformation? Diskussion um sexualisierte Gewalt in der katholischen Kirche Foto: reuters

Klar ist: Es wird nichts dabei rauskommen – zumindest für alle, die am Ende so etwas wie bindende Beschlüsse oder zumindest kluge Papiere erwarten. Ab dem heutigen Donnerstag werden rund 190 wichtige Männer und Frauen aus aller Welt, in erster Linie die Vorsitzenden der nationalen Bischofskonferenzen, in der neuen Synodenaula des Vatikan zur ersten weltweiten Missbrauchskonferenz zusammenkommen. Bis zum Abschlussgottesdienst am Sonntag wollen sie dem „Monster in die Augen schauen“, wie es der Pressesprecher des Heiligen Stuhls, Alessandro Gisotti, gesagt hat.

Das ist fast noch untertrieben. Denn die größte Glau­bensgemeinschaft der Welt mit ihren rund 1,2 Milliarden Mitgliedern wird in einem Ausmaß von dem weltweiten Missbrauchsskandal erschüttert, der nur noch historisch genannt werden kann. Der hoch angesehene Münsteraner Kirchengeschichtler Hubert Wolf sagte dazu kürzlich: „Ich halte diese Krise, wenn ich sie historisch anschaue, für größer als das, was in der Reformation passiert ist.“ Denn die Kirche lebe vom Glauben und von ihrer Glaubwürdigkeit. „Eine Religion, die keine Glaubwürdigkeit hat, ist am Ende.“

Es wird im Vatikan vor allem darum gehen, die Führung der katholischen Kirche mit zweierlei zu konfrontieren: dem Thema Missbrauch von Kindern und Nonnen durch Geistliche. Und der Verantwortlichkeit der Hierarchie, wie es der frühere Vatikansprecher und Moderator der Konferenz, Pater Federico Lombardi, noch vornehm ausdrückt. „Vertuschung durch die Hierarchie“ trifft es in der Regel besser.

Zur Erinnerung: Allein in Deutschland haben laut Aktenlage in den vergangenen rund 70 Jahren mindestens 1.670 Kleriker Missbrauchstaten vorgenommen, wie die umfangreiche MHG-Studie im letzten Herbst ermittelt hat. Die geweihten Täter haben in Deutschland über 3.600 Kinder und Jugendliche missbraucht. Sicher ist, dass die Zahlen in Wirklichkeit weit höher liegen, so die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Auch die Quote der Täter im geistlichen Stand, rechnerisch 4,4 Prozent, dürfte nur das Minimum darstellen. Ähnliche Studien in den USA oder Australien gingen eher von sieben oder mehr Prozent missbrauchender Geistlicher aus.

Vatikan bemüht sich um Transparenz

In den meisten Ländern stehen die nationalen katholischen Kirchen noch ganz am Anfang der Aufarbeitung. Deshalb hat die Missbrauchskonferenz auch eher einen Workshop-Charakter. Es gibt täglich drei Referate, eines davon hält der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx. Es gibt Fragerunden und Gespräche in elf Kleingruppen sowie einen Bußgottesdienst. Am wichtigsten aber werden die Zeugnisse von Missbrauchsopfern sein. Manche der meist traumatisierten Betroffenen werden per Videokonferenz zugeschaltet.

Mit besonderer Spannung werden die Auftritte von Linda Ghisoni von der päpstlichen Behörde für Familie und Leben erwartet – und das Referat der nigerianischen Generaloberen Veronica Openibo von der „Gesellschaft des Heiligen Kindes Jesus“. Dazu passt das jüngste öffentliche Eingeständnis von Papst Franziskus, dass es den Missbrauch auch von Ordensfrauen gab und gibt.

Die Missbrauchskonferenz in Rom hat eher einen Workshop-Charakter

Gerade der afrikanische Kontinent wird noch viel leisten müssen. Denn dort gibt es viele Bischöfe, die den Missbrauch als Spezialproblem eines angeblich dekadenten Nordens und Westens der Weltkirche diffamieren. Motto: So etwas gibt es bei uns nicht. Dabei bemüht sich der Vatikan etwas um Transparenz. Eine Internetseite wird über die Konferenz informieren.

Hochburg der Doppelmoral

Schon vor der Konferenz war der epochale Kampf zwischen Reaktionären und Reformern in der Weltkirche zu beobachten. Kardinal Gerhard Ludwig Müller, bis 2017 als Präfekt der Glaubenskongregation so etwas wie der Cheftheologe und oberste Glaubenshüter des Vatikan, meldete sich zu Wort, was er derzeit dauernd tut, und kritisierte mal wieder den Papst durch die Blume.

Zur Konferenz wusste er nur extrem Schlichtes und Homophobes beizutragen, etwa: „Wer sich nicht beherrschen kann, ist für das Priesteramt nicht geeignet. Schönreden nützt da nichts. Übrigens bin ich der Meinung, dass kein Mensch gottgewollt als Homosexueller geboren wird.“ Gleichzeitig wird derzeit in 20 Ländern und zehn Sprachen das Enthüllungsbuch des französischen Journalisten Frédéric Martel veröffentlicht, das aufzeigt, wie sehr der Vatikan einer homosexuellen Hochburg der Doppelmoral gleicht. Die Regel: Je schwuler die Kurienkardinäle, desto homophober ihre öffentlichen Äußerungen.

Der Kulturkampf im Vatikan kreist um die Themen Gender, Frauenpriestertum, Zölibat, Abtreibung, Missbrauch und Homosexualität. Nicht zufällig schossen Müllers reaktionäre Freunde, US-Kardinal Raymond Leo Burke und der emeritierte deutsche Kardinal Walter Brandmüller, gegen die Konferenz.

„Das System ist gescheitert“

In einem offenen Brief an den Papst griffen sie dessen These an, der Klerikalismus sei die Hauptursache sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche. Nein, so Brandmüller und Burke: „Die wahre Ursache dafür ist nicht Machtmissbrauch durch Priester, sondern Abkehr von der Wahrheit des Evangeliums.“

Dem gegenüber stehen nicht ganz zufällig einige deutsche Bischöfe. Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf analysierte kühl, „das System ist infrage gestellt, das System hat versagt“. In zehn Jahren könnte „die Verpflichtung zur Ehelosigkeit als einzigem Weg“, so der Bischof, „möglicherweise der Vergangenheit angehören“ – übrigens eine Entscheidung, die nationale Bischofskonferenzen allein treffen können. Der Magdeburger Bischof Gerhard Feige zeigte sich zuletzt sicher, dass das Frauenpriestertum in der katholischen Kirche kommen werde.

Wie ernst der Papst diese Konferenz nimmt, zeigte sich in den vergangenen Tagen, als er dem Missbrauchstäter Kardinal Theodore Edgar McCarrick neben allen hohen kirchlichen Ämtern nun auch das Priesteramt entzog. Der frühere Erzbischof von Washington ist der erste Kardinal der katholischen Kirche, der wegen Taten sexualisierter Gewalt im Amt in den Laienstand versetzt wurde.

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12 Kommentare

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  • 2. Teil:



    Wird Kirche, wenn ihr sexuelle Doppelmoral als Kitt genommen, neuen Kitt kreieren oder verfügt sie über diesen seit ihrem Handel mit Ablassbriefen, als sie klösterlicher Gemeinwirtschaft "Ora et Labora" den Umlage Geldhahn abdreht, aus ihrem Schoß Kapitalismus erwuchs, indem sie nun in Doppelmoral einerseits ganz im Kapitalismus aufgeht, den sie geschaffen, anderseits Scheere zwischen Arm und Reich urbi et orbi beklagt, ohne mit ihrem Abernilliarden Vermögen, verbuddelt in Fonds, Elend, Not, Flucht, Vertreibung duch Landgrapping in Richtung einer neu verantworteten Gemeinwirtschaft abzuhelfen?

  • 1.Teil:



    Kirchengeschichtler Hubert Wolf: „Ich halte diese Krise, wenn ich sie historisch anschaue, für größer als das, was in der Reformation passiert ist.“ Denn die Kirche lebe vom Glauben und von ihrer Glaubwürdigkeit. „Eine Religion, die keine Glaubwürdigkeit hat, ist am Ende.“. Das klingt als ob es jemals in der Kirche um Glaubwürdigkeit nicht Doppelmoral als Kitt für Korpsgeist im Zweifelsfall blinden Gehorsam gegangen, wenn nicht um Spaltung der Kirche von ganz oben durch den Heiligen Stuhl wie im Fall der Reformation 1525, der Verschleierung kirchlicher Vermögensverhältnisse durch Gründung der Mafia als Treuhänder ihres Vermögens nach Konsstituierung italienischen Staates 1859, der Altkatholiken 1871 als die sich Gehorsam gegenüber neu eingeführten Unanfechtbarkeit ex cathedra des Papstes verweigerten. Reformen, zu umgehen. In der Reformation ging es um die Doppelmoral des Vatikans, die Furien der Kurie, Herrscher über Verbreitung von Angst und Schrecken vor dem Fegefeuer zu sein und gleichzeitig einen Handel mit Ablassbriefen zur Befreiung vom Fegefeuer zu forcieren, den überdimensionierten Bau des Petersdom zu Rom (1495-1595) aus abendländischer Landschaft Gläubiger zu finanzieren, indem Bankhäuser Fugger, Welser zu Nürnberg als Vorfinazierer des Baus päpstliche Pacht auf das Recht erhielten, Ablassbriefe auf Marktplätzen wie ein Inkassobüro cora Publikum schreiend einzutreiben.



    Nachdem die Reformation Gläubigen als freien Christenmenschen Angst, Schrecken vor dem Fegefeuer durch die Verkündigung ewiger Gnade Gottes genommen, verlegte sich kirchliche Doppelmoral auf das Sexuelle, diese einerseits als Ursünde, Sündenpfuhl zu diskreditieren, anderseits heimlich diese "Sündenpraxis", "Bad Habits" unter dem Beicht Geheimnis versiegelt, abgefragt, ab 1871 sogar bei 7-jährigen, als Kitt für Gehorsam, kirchlichen Korpsgeist zu fremdem Zweck z. B. Mitgliedschaft in einem Orden zu dulden.

  • Ja wie*?* "Am Anfang war die Aufarbeitung"

    Träum weiter - Jung.

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ...der sog. Papst nennt Kritiker der katholischen Kirche "Freunde oder Verwandte des Teufels"?!

    • @81331 (Profil gelöscht):

      Däh! & Zisch - Mailtütenfrisch -

      “VIRILIO: .der sog. Papst nennt Kritiker der katholischen Kirche "Freunde oder Verwandte des Teufels"?!







      Sind halt alles gefallene Engel.



      Wie lässt Goethe das oberste Wesen zum Teufel sprechen?







      "Du magst auch da nur frei erscheinen;



      ich habe Deinesgleichen nie gehasst.



      Von allen Geistern, die verneinen,



      ist mir der Schalk am Wenigsten zur Last..." “ Liggers.



      &



      Letzteres - für mich auch zwei davon*¡*

  • Zitat: „Übrigens bin ich der Meinung, dass kein Mensch gottgewollt als Homosexueller geboren wird.“

    Kardinal Gerhard Ludwig Müller ist offenbar weniger oberster Glaubens- als vielmehr oberster Meinungshüter. Oberster Hüter seiner eigenen Meinung, wohl gemerkt.

    Meiner Meinung nach braucht sich ein Cheftheologe, dessen Glaube auf der Überzeugung ruht, wer sich nicht selbst beherrschen kann, sei für das Priesteramt halt nicht geeignet, nicht wundern, wenn seine Schäfchen antworten: „So etwas gibt es bei uns nicht.“ Wer sich erst mal hat überzeugen lassen, dass reden sowieso nichts nützt, der hält ja meist lieber seine Klappe.

    Sollte der Papst tatsächlich die These vertreten, der Klerikalismus sei die Hauptursache sexuellen Missbrauchs, käme das im Übrigen wirklich einer Revolution gleich. Aber wer hätte nach 1970 noch von Revolutionen von oben gehört – außer unter Gorbatschow vielleicht? Mir scheint, für seine Revolution von oben braucht Papst Franziskus dringend Gottes Hilfe – oder doch wenigstens die sehr vieler kluger Laien.

    Klerikalismus ist schließlich (u.A.) „das Bestreben, der Geistlichkeit innerhalb einer Religion im Vergleich zu den Laien mehr Gewicht zu geben.“ Ein Papst, der Laien gegenüber Demut lehrt, provoziert damit zwangsläufig solche Leute, die sich der jeweils höheren Hierarchieebene nur unterordnen, weil ihnen das ein Recht zu geben scheint, nach unten durchzutreten (Kardinal Müller).

    Was aber die „Wahrheit des Evangeliums“ angeht, war die schon immer fragwürdig. Die „frohe Botschaft“ ist schließlich überliefert worden. Von Menschen, die Matthäus, Markus, Lukas und Johannes hießen. Wer, wann, wo, wie und was genau die Männer waren, ist unter den Gelehrten noch umstritten. Fest steht, dass sie als Menschen irren konnten. Und ihre Übersetzer/Interpreten auch.

    Wieso ich mich ihren (widersprüchlichen) Worten also kritiklos unterwerfen sollte, müsste mir Kardinal Müller erklären. Macht im engeren Sinn hat der Mann ja nicht über mich.

  • 9G
    97088 (Profil gelöscht)

    „Der frühere Erzbischof von Washington ist der erste Kardinal der katholischen Kirche, der wegen Taten sexualisierter Gewalt im Amt in den Laienstand versetzt wurde.“ Er wurde meines Wissens für seine Straftaten bisher noch nicht belangt.



    In Deutschland sitzen wegen nachgewiesener Körperverletzung und/oder sexueller Nötigung auch keine (Ex-)Würdenträger der Kirchen in Haftanstalten. So ist das in einer Gesellschaft, in der vor dem Gesetz alle gleich sind.

  • Man kann ja wieder nur ein rein rethorische Frage stellen, gekoppelt mit einem Gedankenspiel:



    Wir stellen uns vor, es ginge bei gleichen Ausgangslagen nicht um Katholien sondern den Islam. Wir stellen uns vor, dieser fiktive Isalm hätte das Zölibat, und die dargestellten Missbrauchsdiskussionen mit dem ganzen hin und her und Vertuschung und Amtsmissbrauch beträfe den Islam...

    Was würde dann unsere aufgeklärte Gesellschaft alles in Politik und Medienlandschaft über diese Rückständigkeit alles schreiben. Mittelalter und so...!

    Leute, wo leben wir, was lassen wir uns alles gefallen und wo bleibt der Staat, das Gesetz? Warum gibts kaum Will, PLasberg und Co Abende, was eigentlich sagt die AFD dazu? "Rechtsfreie Zustände", die hier mal zu beklagen wäre? Hier könnte man die Falschen mal inhaltlich stellen...macht nur keiner!

  • Tut mir leid, ich versteh nicht was Sie mir sagen wollen. Wie soll ich mich mit "meiner" Kirche beschäftigen? Sie meinen , Kritik darf man nur "regional" abgeben? DANN freilich wäre ja beispielsweise Kritik an Männern durch Frauen komplett falsch. Ich glaube, Ihre Forderung greift zu kurz....

  • Nich EINEN Missbrau hsfall gäbe es weniger, wenn wir die scheinbar erwünschte deutsche evangelische Einheitskirche hätten. Nur AUFGEDECKT würden noch weniger.... Soweit mein Blick in die Kristallkugel

  • Ja, das liest man gern. Bei den Katholen wusste mans ja schon immer.



    Gleichzeitig können die ganzen Evangelischen und Evangelikalen weitermachen wie bisher. Auch die Klosterschwestern kommen gut weg, nach dem Motto: eine Frau KANN sowas gar nicht machen. Schaut einfach mal nach Afrika! Dort hat jeder Reverend seine Lustknaben und Lustschwestern. Es ist lächerlich, in einer Zeit des "Ich tus weil ichs kann" aus der Anklage einer einzigen Organisation das Problem als gelöst zu betrachten. Die NICHT aufgedeckten Fälle sinds, die weiter leiden werden.

    • @ophorus:

      Sie sollten sich mit ihrer eigenen Kirche befassen zumindest in öffentlichen Kommentaren. Stammtisch Geplärre kommt da nicht so gut. Kirchengeschichte käme auch an. Sicher wer seine Kinder heute noch dieser Institution anvertraut ist



      selber Schuld. Man sollte diese Èliten



      unter sich untergehen lassen.