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Sexualisierte Gewalt im SportWeg von der Monsterperspektive

Die Ermittlungen des US-Justizministerium zum sexuellen Missbrauch im Sport zielen in eine wichtige Richtung. Es geht auch um die passiven Helfer.

Fokussierung auf den Täter: Larry Nassar vor Gericht in Eaton County Foto: reuters

O b diese Untersuchungen zu Verurteilungen und Strafen führen werden, ist fraglich. Denn der Vorwurf, der im Raum steht, scheint aus juristischer Perspektive von nicht allzu großem Gewicht zu sein. Es geht um das Nichtstun. Es geht um die Mitwisser von sexuellem Missbrauch im Sport, die einfach stillhalten. Es geht um diejenigen, die ein System stabil halten, in welchem dem einen großen Ziel, dem maximalen sportlichen Erfolg und seiner optimalen Vermarktung, alles untergeordnet und in Kauf genommen wird – auch schwerste Verbrechen.

Wie das Wall Street Journal exklusiv berichtete, prüft das US-Justizministerium seit einiger Zeit „in großem Stil Fehler im olympischen System, um auf Anzeichen von weit verbreitetem Kindesmissbrauch zu reagieren“. Anlass ist der im Januar 2018 beendete Prozess gegen Larry Nassar, den ehemaligen Arzt des amerikanischen Turnverbands, bei dem etwa 150 Sportlerinnen von den an ihnen begangenen Missbrauchstaten in den letzten 20 Jahren berichteten. „Dieser Typ ist ein Monster“, sagte Bill Schuette, der Generalstaatsanwalt von Michigan, damals beim Prozess und fasste damit vermutlich die allgemeine Gemütslage der Beobachter zusammen. Die Strafe fiel entsprechend deutlich aus: 175 Jahre Haft lautete das Urteil.

Aber schon damals erklärte die ehemalige Turnerin Rachael Denholland, die mit ihren Aussagen die Ermittlungen erst in Gang gebracht hatte: „So schaut es aus, wenn Institutionen eine Umgebung schaffen, in der ein Straftäter ohne Sorgen aufblühen kann. Und so schaut es aus, wenn Menschen in Führungspositionen nicht zuhören, Freundschaften über Wahrheit stellen und versäumen, die zur Verantwortung zu ziehen, die Straftaten ermöglichen.“

Dass die von Nassar ausgeübte sexualisierte Gewalt solch monströse Ausmaße annehmen konnte, ist eben auch denjenigen anzulasten, die sich passiv verhalten haben, sich um das Image des Verbandes und die Medaillen mehr Sorgen gemacht haben als um die Athletinnen. Das Versagen der staatlichen Behörden will nun das US-Justizministerium unter die Lupe nehmen. Das FBI, die zentrale US-Sicherheitsbehörde, wurde nach Hinweisen des Turnverbandes monatelang nicht aktiv. Die Medaillenschmieden des Landes profitierten offenbar von einer gewissen Immunität.

Fehlender Wille zur Aufarbeitung

Die Ermittlungen des US-Ministeriums sind jenseits der Frage der juristischen Verantwortung von großer Bedeutung. Sie weiten den Blick auf die zahlreichen alltäglichen Schwachstellen, die auch im Sport sexuelle Gewalt begünstigen. Sie werfen ein Licht auf die Strukturen, die das Leid ermöglicht haben. Wenn nämlich der Täter schlicht zum Monster erklärt wird, zu einer nicht alltäglichen Ausnahmeerscheinung, ist dem weit verbreitete Problem sexualisierter Gewalt nicht beizukommen.

Die Aufarbeitung sexualisierter Gewalttaten muss die Grundlage guter Präventionskonzepte sein. Und deshalb sollte sie nicht nur dem US-Justizministerium überlassen werden, das nun ebenfalls das Versagen in anderen Sportverbänden wie etwa im nationalen Taekwando- und Judoverband im Visier hat – wegen der dort ebenso praktizierten Ignoranz trotz alarmierender Hinweise wird genauso ermittelt.

Die US-Sportverbände und das Nationale Olympische Komitee sollten sich nicht nur aktiv an der Aufarbeitung begangenen Unrechts in ihren Reihen beteiligen, sondern selbst initiativ werden. Auch in Deutschland fehlt es dem organisierten Sport an der Bereitschaft, die Aufarbeitung selbst in die Hand zu nehmen, lieber spricht man über die Prävention. Immerhin haben einige Spitzen- und Dachverbände den Aufruf der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs unterstützt, dass alle, die in ihrer Kindheit oder Jugend sexualisierte Gewalt im Sport erfahren haben, sich melden sollen. Die von der Bundesregierung finanzierte Kommission wendet sich in den nächsten Jahren dem Sport zu, weil sie auf diesem Gebiet großen Handlungsbedarf sieht.

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taz-Sportredakteur
Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.
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