Sexismus an Kunsthochschulen: Unsichtbare Muster
An Kunstakademien herrscht zwischen Studierenden und Professoren meist Vertrautheit und Autorität zugleich. Das begünstigt Machtmissbrauch.
Sie ähneln überdimensionalen, kristallin geformten Schneeflocken oder aus Papier geschnittenen, ornamentalen Weihnachtssternen. Künstlerin Ulla von Brandenburg, die immer wieder Verfahren des Theaters nutzt, bediente sich für diese Bilder alltäglicher Requisiten: Herrenhemden ordnete sie konzentrisch an, bunt gemusterte Krawatten lässt sie sternförmig in der Mitte aufeinandertreffen. Ein Sinnbild für Old-Boys-Networks?
Oder geht es um die Macht der Muster, ihre visuelle Kraft, oder sind tiefsitzende Verhaltensmuster und festgefahrene Perspektiven gemeint?
Die Kunst lässt das offen und kann auch wenig Konkretes sagen über die realen Probleme an den Kunstakademien, wo Struktur und Freiheit, Distanz und Nähe vielfältig miteinander verwoben sind. Einerseits entwickelt sich in den Klassen zwischen Professor*innen und Studierenden eine große Vertrautheit, andererseits steht fest, wer in diesem Gefüge über Autorität und Deutungshoheit verfügt. Das kann mitunter zu Machtmissbrauch führen, zu mentalen Verletzungen und sexuellen Übergriffen.
Seit MeToo wächst das Bedürfnis, dieser problematischen Gemengelage etwas entgegenzusetzen, doch gibt es keinen Schalter, den man einfach umlegen könnte. Schnelle Erfolge sind nicht zu erwarten, der Druck aber ist groß. Welche Kunstakademie kann sich schon negative Schlagzeilen leisten?
Professor muss Hochschule verlassen
Dass sexuelle Belästigung ernst genommen und geahndet wird, belegen Fälle wie in Leipzig, wo ein Professor die Hochschule für Grafik und Buchkunst verlassen musste. Viele ähnlich gelagerte Fälle werden gar nicht öffentlich. Und solange es sich nicht um prominente Personen handelt, die sich schuldig gemacht haben, muss rein rechtlich Diskretion gewahrt werden.
Die Soziologin Mathilde Provansal fand heraus, dass Sexismus in den vergangenen dreißig Jahren an Kunsthochschulen an der Tagesordnung war. Auf dem Symposion „Talking Back. Gegen Machtmissbrauch“ an der Staatlichen Kunstakademie Karlsruhe gab die Französin in diesem November Einblick in ihre Forschungsergebnisse.
Sie befragte für ihre Studie fünfzig Männer und Frauen einer renommierten Kunsthochschule, die nach 1990 ihr Studium abgeschlossen hatten. Interessanterweise war sexueller Missbrauch nicht der Schwerpunkt ihres Feldversuchs, vielmehr sprachen die Interviewpartner*innen das Thema von sich aus an.
Sie berichteten von sexistischen Witzen, sowohl von Professoren als auch von männlichen Studierenden. Letztere gefielen sich darin, die Arbeit der Frauen negativ zu kommentieren. Unerwünschter körperlicher Kontakt und eine männliche Dominanz im Arbeitsraum wurden genannt. Frauen wechselten daraufhin mehrfach die Klasse, was zu Instabilität ihrer künstlerischen Arbeit führte.
Tendenz zur Heterosexualisation
Professoren unterhielten wie selbstverständlich sexuelle Kontakte zu Studentinnen. Perfekte Opfer seien Frauen aus Ländern gewesen, in denen männliche Dominanz vorherrscht. Mathilde Provansals Untersuchung belegt zudem eine Tendenz zur Heterosexualisation der Frauen, also eine Festlegung der Frauen auf vermeintlich typisch weibliche Denk- und Verhaltensnormen.
2017 machte das französische Kulturministerium für Kunsthochschulen eine Gleichstellungssatzung verbindlich sowie ein internes Gremium, das bei Diskriminierungsfällen Beschwerden entgegennimmt. Auch eine externe psychologische und juristische Beratung wird angeboten.
An deutschen Kunstakademien werden solche Aufgaben von den Lehrenden übernommen. Ulla von Brandenburg ist Professorin an der Karlsruher Kunstakademie und seit vier Jahren Gleichstellungsbeauftragte. Sie fordert die Einrichtung einer vollen Stelle und deren Besetzung mit einer entsprechend ausgebildeten Person. Für die international agierende Künstlerin ist klar, „sexueller Missbrauch ist nur da möglich, wo es auch einen Machtmissbrauch gibt“.
Sie kritisiert die „pyramidale Struktur“. Das Klassensystem, in dem die Studierenden über Jahre mit einem oder einer Professor*in zu tun haben, der oder die über Preise, Stipendien und damit über Karrierechancen entscheidet, sei nicht mehr zeitgemäß.
Eine Klasse, die sich vom Namen der Professorin löst
Mancherorts hat sich im Zuge des neuen Bewusstseins bereits der Zuschnitt der Akademieklassen verändert, die verhärtete Machtstrukturen begünstigen. Die Klasse von Hito Steyerl an der Universität der Künste in Berlin etwa löst sich vom Namen der Professorin, heißt „Lensbased Class“ und tritt selbstbewusst mit eigener Agenda online an die Öffentlichkeit.
Die Frankfurter Städelschule bekennt sich zwar weiterhin zum Klassensystem, begreift aber laut Mission Statement die Hochschule als „permanentes Experiment“ und legt Wert auf eine „Ausbildung im Dialog“.
Die Studierenden würden das Machtgefälle nicht länger hinnehmen, sagt Ulla von Brandenburg. „Viele der Student*innen fühlen sich von uns nicht gehört. Sie sagen, dass wir Professor*innen ihre Belange nicht ernst nehmen.“ Sie will wissen, warum sich die Studentin*innen so machtlos fühlen, und fragt sich, wie an einer Akademie Empowerment funktionieren kann.
In Karlsruhe hat sich eine Gruppe gegründet, die sich „ZusammenAntiDiskriminieren“, kurz ZAD, nennt und sich an der Formulierung des „Code of Conduct“ der Hochschule beteiligt hat.
Revision tiefsitzender patriarchaler Muster
Ohne eine Revision tiefsitzender patriarchaler Muster werden solche Ansätze jedoch ihre Grenzen haben. Das legt zumindest Christian Dittloffs autofiktionale Recherche nahe. Am Beispiel seines Vaters zeigt der Schriftsteller in seinem demnächst erscheinenden Buch „Prägung – Nachdenken über Männlichkeit“, wie selbst bei einem „lieben Mann“ archaische Muster greifen und emotionale Sprachlosigkeit herrscht.
Männlichkeit sei ein Mythos, der in den Medien wie im Alltag weitergetragen werde. Mikrobilder hätten sich in seiner Jugend blitzartig in ihn eingeprägt und Gedanken von Neid, Vergleich und Mangel in ihm ausgelöst, sagte er auf der Karlsruher Tagung.
Was wurde bislang an deutschen Kunstakademien erreicht? 1992 wurde die Bildhauerin Inge Mahn zur ersten Gleichstellungsbeauftragten der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart ernannt. Seit den neunziger Jahren stieg die Zahl der Professorinnen und anderer weiblicher Mitarbeiterinnen an den Kunsthochschulen stetig an und wurde regelmäßig bundesweit evaluiert.
Adaption männlicher Verhaltensmuster
Und schon vor MeToo, seit 2010 gab es an der Hochschule für bildende Künste Hamburg eine Richtlinie gegen geschlechtsbezogene Diskriminierung und sexuelle Gewalt. Ist alles auf gutem Weg?
Prinzipiell schon. Doch adaptierten Frauen, die in einem patriarchalen Kunstsystem zu Einfluss gekommen seien, oftmals männliche Verhaltensmuster, sagt Ulla von Brandenburg: „Sie sind manchmal schlimmere Machos als die Männer und treten andere Frauen weg. Es betrübt mich, wenn Frauen untereinander nicht solidarisch sind.“
Das ist jedoch ein gesamtgesellschaftliches Problem, das nicht allein mit rechtlichen Maßnahmen gelöst werden kann. Es setzt die Bereitschaft voraus, auf einer persönlichen Ebene Verhaltensmuster zu erkennen und zu verändern.
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