Serpil Temiz-Unvar: „Seine Angriffe werden weitergehen“
Der Vater des Hanau-Täters belästigt Serpil Temiz-Unvar, die Mutter eines der Opfer, seit Jahren. Nun wurde er verurteilt. Zu einer Geldstrafe.
taz: Frau Unvar, der Vater des Täters, Hans-Gerd R., belästigt Sie seit Jahren, sei es durch Briefe oder indem er Ihre Wohnung aufsucht. Nun wurde er zu einer Geldstrafe von 21.600 Euro verurteilt. Sind Sie mit dem Urteil zufrieden?
Serpil Temiz-Unvar: Ehrlich gesagt bin ich nicht zufrieden, aber wirklich überrascht bin ich auch nicht. Das eigentliche Problem ist, dass es in Deutschland keine abschreckenden Strafen gibt. Ohne solche Strafen werden seine und ähnliche Angriffe weitergehen. Mein Fall hätte als Beispiel dienen sollen, um ähnliche Verfahren zu beeinflussen. Das hatte ich erwartet, und daher ist dieses Urteil in keinster Weise das, was ich mir erhofft hatte.
taz: Was muss sich Ihrer Meinung nach verändern?
Temiz-Unvar: In solchen Fällen fehlt es an Sensibilität, und das sage ich nicht nur für meinen eigenen Fall. Es gibt große Lücken im Justizsystem und abschreckende Strafen werden nicht verhängt. Hier geht es um Rassismus und Hassverbrechen – Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die wie Terrorakte behandelt werden sollten. Der Sohn dieses Mannes hat meinen Sohn getötet.
Ihr ältester Sohn, Ferhat, war einer von zehn Menschen, die am 19. Februar 2020 von dem Rechtsextremen Tobias R. in Hanau erschossen wurden. Die frühere Journalistin gründete daraufhin eine Bildungsinitiative, die sie nach Ferhat benannte.
Weiterhin wird er für seine eigenen Taten weder verhaftet noch hat er eine angemessene Strafe erhalten. Viele Menschen, die Ähnliches erleben, zögern mittlerweile sogar, die Polizei zu rufen, weil sie das Gefühl haben, es lohnt sich nicht, sich durch die ganzen Prozeduren zu kämpfen. Hassverbrechen müssen ernsthaft bestraft werden. Die Strafe, die dieser Mann jetzt erhalten hat, wird ihn und andere in keiner Weise abschrecken, und das wird leider so weitergehen.
Wann war der letzte Kontaktversuch von R.?
Temiz-Unvar: Zuletzt in diesem Jahr. Er hält sich für Polizei, Richter und Anwalt zugleich und schreibt mir weiterhin Briefe. Die letzten Monate habe ich keinen erhalten, aber er macht das immer wieder in Phasen – manchmal meldet er sich, dann wieder eine Weile nicht.
taz: Sie wohnen in Kesselstadt, wo auch R. wohnt. Haben Sie Angst oder darüber nachgedacht, umzuziehen? Sie haben auch einen kleinen Sohn.
Temiz-Unvar: Ich selbst habe keine Angst. Als ich diesen Weg eingeschlagen habe, war ich auf alles vorbereitet und ich bin immer noch bereit für alles, was auf mich zukommt. Warum sollte ich jetzt das Haus verlassen, in dem mein Sohn gelebt hat? Mein kleiner Sohn leidet jedoch stark darunter, er hat das Vertrauen in das System verloren und denkt, dass er selbst handeln muss, sich selbst schützen muss. Ihm geht es nicht gut, überhaupt nicht gut. Es ist wichtig, dass junge Menschen und Kinder Vertrauen in den Staat haben, aber dieses Vertrauen können sie so leider nicht entwickeln.
taz: Sie engagieren sich seit fünf Jahren in der Initiative „Ferhat Unvar“. Woher nehmen Sie die Energie, weiterzumachen?
Temiz-Unvar: Die Energie bekomme ich von den Jugendlichen und der Zivilgesellschaft. Ich weiß, dass ich nicht allein bin, und ich werde weiter stark bleiben. Und ich weiß: Es gibt viele Menschen wie mich, die nicht allein sein wollen und bereit sind, gegen Hassverbrechen zu kämpfen. Wir geben einander Kraft und bleiben im Austausch. Am 23. November organisieren wir eine internationale Konferenz in Hanau und unsere Jahrestagsveranstaltung mit der Initiative.
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