Senatstour in Friedrichshain-Kreuzberg: Auf Safari im Görlitzer Park
Der Senat tourt am Dienstag durch Friedrichshain-Kreuzberg und besucht den Görli. Und Bizim Kiez protestiert gegen den geplanten Zaun um den Park.
Die Kita ist der der erste von vier Stopps, denen eine klassische Dramaturgie innewohnt. Der eigentliche Höhepunkt ist nämlich erst als dritter Punkt für den späteren Nachmittag vorgesehen: ein Rundgang im Görlitzer Park. Der Senat will der dortigen Drogenproblematik mit einem Zaun begegnen, die grün-geführte Bezirksregierung hält das für den falschen Ansatz.
Wie im klassischen Drama gibt es einen klaren Auftakt, dann ein paar das Tempo rausnehmende, aber die Spannung steigernde Momente bis zum großen Showdown im und am Park, wo sich später rund 200 Zaun-Gegner versammeln werden. Viele Worte sind dazu schon gefallen, aber der Senat dazu dort vor Ort, das ist ein Novum. Vor Jahren hatte mal Schlagzeilen gemacht, als dort auf Einladung der örtlichen CDU der bei seiner eigenen Partei umstrittene Boris Palmer unterwegs war, der umstrittene grüne Oberbürgermeister von Tübingen.
Wegner und Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann von den Grünen wirken nicht wie unversöhnliche Gegner, als sie gleich nach der gemeinsamen Sitzung im Bezirksamt Friedrichshain vor Journalisten auf Park und Zaun zu sprechen kommen. Die Haltungen sind gegenüber früheren Äußerungen unverändert – „da wird der Senat jetzt handeln“, sagt Wegner. Aber man scheint zu akzeptieren, dass die jeweils andere Seite die Sache anders sieht, und doch nach Gemeinsamkeiten drum herum zu suchen. Und man ist auch per Du.
Zentrales Argument gegen den Zaun
Was Herrmann als zentrales Argument gegen den Zaun und nächtliches Abschließen vorbringt – dass sich die Kriminalität dann in die Nachbarschaft und direkt in die Hausflure verlagere –, mag Wegner gar nicht wegreden: Es bringe nichts, die Drogenkriminalität aus dem Park zu verdrängen, wenn sie danach in den Hauseingängen lande. Er setzt darauf, dass die Polizei, weil sie künftig nicht mehr im Park patroullieren müsste, dadurch Zeit und Leute genug für den Schutz der Nachbarschaft hat.
Einig sind sich die beiden, dass es intensive präventive Maßnahmen geben soll. Und so bewegt sich die Kolonne aus Bus und Begleitfahrzeugen durch den Bezirk und macht sich von der Kita auf den Weg zu einer Bibliothek.
Was an diesem Nachmittag auffällt: Es sind nicht die sonst verbreiteten Rein-raus-Stippvisiten, bei denen dem Besuch das Pressefoto am wichtigsten ist. Der Regierende Bürgermeister und mehrere weitere Senatsmitglieder verbringen fast eine Stunde bei „Menschenkinder“, lassen sich in drei Gruppen einteilen – entscheidend dafür ist der Griff in eine Süßigkeitenschale.
Die Diskussion um den Zaun ist trotzdem auch auf der Weiterfahrt vorrangig. Am Vormittag hat sich im Landgericht ergeben, dass der Vorwurf einer Vergewaltigung im Park, der die Debatte intensivierte, möglicherweise deutlich anders zu betrachten ist. Darauf angesprochen, sagt Wegner: „Das spielt keine Rolle, was die Bewertung des Görlitzer Parks angeht.“ Dort habe man grundsätzlich eine angespannte Kriminalitätslage. Die Planung für den Zaun und weitere Maßnahmen sei „völlig unabhängig von diesem Fall“.
Finanzsenator hilft mit Schokoriegel aus
Über die Oberbaumbrücke führt die Fahrt im oft stockenden Verkehr entlang der Hochbahn von Friedrichshain nach Kreuzberg. Wie so oft auf solchen Touren geht es in den Sitzreihen nicht nur ums Hochpolitische. Finanzsenator Stefan Evers (CDU) etwa hilft mit einem Schokoriegel aus und witzelt über seinen anstehenden Besuch bei der SPD-Fraktionsklausur am Wochenende: „Man muss immer dorthin gehen, wo es wehtut“ – die Sozialdemokraten sind von seinen Einsparvorgaben wenig überzeugt.
Die Bibliothek als nächstes Ziel liegt unmittelbar neben der neuen Polizeiwache am Kottbusser Tor, großer Streitpunkt in der rot-grün-roten Vorgängerkoalition zwischen SPD-Innensenatorin Iris Spranger und Grünen und Linkspartei. Bürgermeisterin Herrmann lädt drinnen dazu ein, „den ganz normalen Bibliothekswahnsinn“ zu erleben, und berichtet von auslaufenden Quartiersmanagementgeldern, die unabdingbar für den sozialen Zusammenhalt seien. „Für viele, die hier wohnen, ist die Bibliothek ein zweites Wohnzimmer.“
Über die Oranienstraße rückt der Höhepunkt der Tour näher. Wird es bei den angemeldeten 50 Demonstranten gegen den Zaun bleiben? Der Bus parkt am Seiteneingang in der Görlitzer Straße, die Kundgebung hat sich Richtung U-Bahnhof versammelt.
Mehr als 200 Anwohner:innen und Aktivist:innen des Bündnisses „Görli Zaunfrei“ warten dort auf die Senatsmitglieder. Die kurzfristig organisierte Kundgebung fiel damit deutlich größer aus, als vom Anmelder David Kiefer, Sprecher der Initiative Wrangelkiez United, erwartet worden war. In mehreren Redebeiträgen wurden die Senatspläne massiv kritisiert.
Als gegen 16 Uhr der Bus mit den Senatsmitgliedern am Park hielt, erschallten Sprechchöre: „Der Görli bleibt auf!“ Polizist:innen zogen eine Kette durch den Park, konnten aber nicht verhindern, dass sich die Menschen dem Pulk um Bürgermeister Wegner am Parkeingang entgegenstellten. Trillerpfeifen schrillen, „Haut ab“-Rufe werden laut, auch „Nazis“ hallt es Wegner entgegen, als er sich, eng umgeben von Polizisten, quer durch den Park zur Ohlauer Straße bewegt. Die Tour durch den Park ist keine 150 Meter lang
„Das ist unser Park“
Kiefer sagt: „Der schwarz-rote Law-and-Order-Populismus löst keine Probleme, sondern verschärft sie.“ Dem Senat wirft er eine „Unkenntnis der Situation“ vor. Die Probleme des Görli, von Drogenkonsum und -handel über Gewalt bis Gentrifizierung, würden von den Anwohner:innen gesehen; nur löse ein Zaun eben keines davon.
In einer Rede einer Mitstreiterin von Kiefer hieß es, es gehe schon lange nicht mehr um die Vergewaltigung. Frauen würden instrumentalisiert. Stattdessen würde eine Politik „rassistischer Verdrängung“ betrieben.
Für Philipp Vergin von der Anwohnerinitiative Bizim Kiez zeuge die Idee der Umzäunung von „provinziellem Mindset“. Er erinnerte an die Geschichte des Parks, der erst in den 1980er Jahren nach langem Kampf der Nachbarschaft errichtet worden war: „Das ist unser Park und den lassen wir uns nicht nehmen“, so Vergin.
Die Tour endet an der Gerhart-Hauptmann-Schule. Vor dem Gebäude zieht Wegner vor Journalisten ein Fazit. „Dass hier nur 200 Leute demonstriert haben, ist auch ein Signal“, sagt er, „ich hatte deutlich mehr erwartet.“ Mit einigen von ihnen habe er auf dem Weg reden können. Das aber ist für ihn nicht mit allen möglich: „Wer hier Polizisten und demokratisch gewählte Politiker als Nazis beschimpft, disqualifiziert sich – das ist keine Gesprächsgrundlage.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Innereuropäische Datenverbindung
Sabotageverdacht bei Kabelbruch in der Ostsee
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört