Senat will das Tempelhofer Feld bebauen: Bürgerbeteiligung als Farce
Beteiligte der Dialogwerkstatt zum Tempelhofer Feld sind sauer: Der Berliner Senat hält an Bebauungsoption fest und will das Feld-Gesetz ändern.

Sie alle eint, dass sie das Feld nicht bebauen wollen. „How not to built“, wie man nicht baut, lautet der Titel des gemeinsamen Projekts der Technischen Universität (TU) Berlin, der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig und der Bauhaus-Universität Weimar. Antoine Vialle ist Professor für klimaorientierten Städtebau an der TU und einer der Initiator*innen des Projekts. „Uns geht es darum, den Wert des Tempelhofer Felds als Freiraum und als urbanes Ökosystem herauszustellen“, sagt Vialle am Mittwoch zur taz.
Eine Gruppe nach der anderen betritt die kleine Bühne unter dem Zeltdach. Wie nah das Feld ist, verrät ein Blick aufs Wasser: Darin spiegelt sich der markante Radarturm der US-Armee am ehemaligen Flughafengelände, er ragt gleich hinter den umstehenden Bäumen in die Höhe.
Es gehe ihrer Gruppe darum, die Offenheit des Tempelhofer Felds zu bewahren, das „Gefühl von Raum und Weite“, sagt eine Studentin in ihrer Präsentation. Zugleich müsse das Gelände in die Klimastrategie der Stadt eingegliedert werden. Dass das dringend nötig ist, zeigt eine andere Gruppe, die Klimamodelle für das Jahr 2100 errechnet hat. „Wir erwarten viel mehr tropische Nächte als heute. Das Feld könnte eine Oase der Kühlung sein“, so ein Teilnehmer.
Die Zeichen stehen derzeit eher auf Bebauung
Doch damit könnte es bald vorbei sein. Denn die Zeichen stehen derzeit eher auf Bebauung der innerstädtischen Grünfläche. Und das, obwohl sich die Teilnehmer*innen der Dialogwerkstatt zur Zukunft des Tempelhofer Felds klar dagegen ausgesprochen haben. Entsprechend unzufrieden sind sie dann auch mit dem Ablauf und Ausgang des vermeintlichen Beteiligungsformats, das am Wochenende zu Ende ging. „Viele sind wütend. Wir haben den Prozess als manipulativ und Scheinbeteiligung empfunden“, sagt einer der Bürgerbeteiligten, der anonym bleiben will.
Die 275 zufällig ausgewählten Berliner*innen trafen sich am Wochenende zum dritten und letzten Mal, um die einen Monat zuvor von einer Jury ausgewählten Entwürfe zu diskutieren. Von den sechs Plänen sahen nur zwei eine Bebauung des Feldes vor. Die Stimmung sei angespannt gewesen, als die Sieger vorgestellt wurden, heißt es.
Das Misstrauen ist groß. Das Forum hatte im vergangenen Jahr, zehn Jahre nach dem erfolgreichen Volksentscheid zum Erhalt des Tempelhofer Feldes, vom schwarz-roten Senat die Aufgabe bekommen, Vorschläge für eine Entwicklung des ehemaligen Flughafenfelds zu erarbeiten. Während des Prozesses sei immer wieder die Frage gestellt worden, wo das Feld bebaut werden solle – nicht ob, heißt es. Diese Einschränkung der Optionen hätten viele als Bevormundung und respektlos empfunden.
Das Votum der Dialogwerkstatt fiel dann auch eindeutig aus: Das Feld soll unbebaut bleiben. Der vom schwarz-roten Senat bereits geplante und drei Millionen Euro teure städtebauliche Wettbewerb wäre damit eigentlich überflüssig gewesen. Denn der sollte eigentlich die Ergebnisse des Bürger*innenforums konkretisieren. Trotzdem fand er statt.
„Klare Absage an die Bebauungspläne des Senats“
Neben fünf Bürger*innen aus der Dialogwerkstatt saßen im Entscheidungsgremium auch sechs Architekt*innen und Stadtplaner*innen. Der Senat hatte der Gruppe auf den Weg gegeben, die besten Entwürfe zu identifizieren, die „ein breites Spektrum möglicher Entwicklungen für das Tempelhofer Feld aufzeigen“. Zwar sehen vier Vorschläge keine Bebauung vor, zwei aber eben doch.
Das Konzept „Tempelhofer Atem“ des Kopenhagener Büros Schønherr etwa will die westlichen und südlichen Ränder mit höheren Wohngebäuden in Richtung Straße sowie mit Townhouses in Richtung Feld vollstellen. „Ob die Bebauung tatsächlich als sozialer Wohnungsbau realisierbar wäre, wurde aber angezweifelt und konnte auch von den Sachverständigen und im Preisgericht nicht abschließend beantwortet werden“, berichtet ein Jury-Mitglied.
Nach der Diskussion über die Siegerentwürfe verfasste eine größere Gruppe der Dialogwerkstatt eine gemeinsame Erklärung. „Die Bebauung des Tempelhofer Felds ist anscheinend längst beschlossen und der Dialogprozess nur ein Mittel zur Durchsetzung dieses Ziels“, heißt es darin.
Das kritisiert auch der Sprecher für Stadtentwicklung der Grünen-Fraktion, Julian Schwarze. „Die Ergebnisse des Wettbewerbs und der Dialogwerkstätten sind eine klare Absage an die Bebauungspläne des Senats“, so Schwarze. Auch wenn das CDU und SPD nicht passe, müssten sie sich jetzt an ihr eigenes Verfahren halten „und die Scheindebatte um eine Bebauung des Tempelhofer Feldes beenden“.
Es mangele Berlin nicht an Bauland für neue Wohnungen
Auch das Bündnis Architects4Tempelhofer Feld veröffentlichte nach dem Ende der Dialogwerkstatt einen offenen Brief mit fast 4.500 Unterschriften an Bausenator Christian Gaebler (SPD) mit der Aufforderung, das Feld freizulassen. Es mangele Berlin nicht an Bauland für neue Wohnungen, heißt es darin. Zehntausende Genehmigungen lägen vor, würden aber nicht umgesetzt. Außerdem stünden 40.000 Wohnungen und 1,5 Millionen Quadratmeter Büroflächen leer.
Das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung hat schon vor Jahren auf die große Bedeutung des Tempelhofer Felds für die Kühlung von Berlin hingewiesen. „Die Bebauung des Tempelhofer Feldes gefährdet eine klimagerechte und zukunftsfähige Stadtentwicklung“, mahnt das Architekt*innenbündnis.
Bausenator Gaebler kündigte im Stadtentwicklungsausschuss des Abgeordnetenhauses an, dass das Tempelhofer-Feld-Gesetz nun auf jeden Fall geändert werden müsse, selbst wenn dort nur eine Entwicklung der Freiflächen stattfinden sollte. Dass es dabei bleibt, bezweifelt der Grünen-Abgeordnete Schwarze: Wenn es dem Senat tatsächlich um eine Weiterentwicklung des Feldes abseits einer Bebauung gegangen wäre, hätte er den Prozess anders aufsetzen müssen. „Stattdessen hat er versucht, mit dem Wettbewerb Stimmung für eine Bebauung zu machen und ist damit klar gescheitert.“
Antoine Vialle, Professor für Architektur
Das zeigt auch die alternative Ideensammlung der Studierenden aus Berlin, Leipzig und Weimar in der „Floating University“. Auf das Feld sei ja sowieso schon gebaut worden, heißt es hier. Man könnte sich also auch einfach darauf konzentrieren, die existierenden Strukturen besser zu nutzen. „Baut nicht noch mehr aufs Feld!“, appelliert TU-Professor Antoine Vialle. „Das Feld ist ein Ort der Freiheit.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
„Boomer-Soli“
Gib die Renten-Kohle her, Boomer!
Verurteilung zweier Tierschützer
Don’t shoot the messenger
Nina Warken zu Cannabis
Kampfansage gegen das Kiffen
Gezerre um Verfassungsrichter*in-Posten
Ein Rückzug wäre das falsche Signal
Religiöse Fußballspielerinnen
God first
Was Frauen beim Sex stört
Wie kommen wir zusammen?