Sellner in Marburg: „Klarer antifaschistischer Erfolg“
Mehr als 2.000 Menschen demonstrieren in Marburg gegen die geplante Lesung von Martin Sellner. Die Lesung wurde offenbar nach Gladenbach verlegt.
Mit etwa 1.000 Menschen zog die erste Demonstration vom Marburger Marktplatz zu den Räumlichkeiten der Marburger Burschenschaften Germania, Rheinfranken und Normannia, wo die Demo-Veranstalter:innen Sellners Lesung vermuteten. Aufgerufen zu der Demonstration hatten der Kreisverband der Linken und das Marburger Bündnis gegen Rechts.
„Unser Ziel ist es, Martin Sellner aktiv den Raum zu nehmen und ihm möglichst keinen Raum zu lassen, damit er nicht auftreten kann“, sagte Jana Klein, Sprecherin des Marburger Bündnisses auf der Kundgebung vor den Räumlichkeiten. Man wolle damit aktiv verhindern, dass die Nazis mitten in Marburg über ihre „Remigrationsphantasien“ diskutieren und sich vernetzen.
Katz-und-Maus-Spiel in der Stadt
Doch Sellner war nicht, wie erwartet, bei seinen Burschenschaftsfreunden zu Hause, was zu einem Katz-und-Maus-Spiel in der Stadt führte: Einige Gegendemonstrant:innen begegneten einigen Teilnehmern der Sellner-Lesung am späten Nachmittag auf dem Marburger Messeplatz, wo es kurzzeitig zu Blockaden von etwa 150 Personen sowie zu Rauchbomben kam. Dabei hob die Polizei teilweise Demonstrant:innen von der Straße und erteilte Platzverweise, „da die Teilnehmenden den Beschränkungen der Versammlungsbehörde nicht nachkamen“, hieß es vom Polizeipräsidium Mittelhessen. Vom Messeplatz sollen Sellner und sein Lesekreis den Platz mit Autos verlassen haben, berichteten Augenzeugen der taz.
Am Montagabend bestätigte das Polizeipräsidium, dass Sellners Lesung am späteren Abend mit rund 50 Teilnehmern statt in Marburg in Gladenbach stattfinden konnte. Auch hier kam es zum Protest, doch die „Polizeikräfte verhinderten eine Konfrontation zwischen den Teilnehmern der Lesung und den Gegendemonstranten“, so die Polizei.
Nach Ansicht der Gruppe „Communist Action & Theory“ vom Bündnis gegen Rechts war die Verlegung des Veranstaltungsortes ein Erfolg der Gegendemonstrierenden: „Der Tag hat gezeigt, dass radikaler Antifaschismus in Form von Blockaden, Recherchen und Mobilisierungen die Lesung Martin Sellners in Marburg verhindern konnte“, so die Gruppe zur taz.
Erst sei ihm durch antifaschistischen Druck die Räumlichkeit in Marburg gekündigt worden, der Versuch des klandestinen Treffens abseits der Marburger Innenstadt sei durch Blockaden von 150 Antifaschist:innen hinausgezögert worden, „um dann bei einem bekannten Faschisten in Gladenbach seine Lesung abhalten zu können. Wir werten die Aktionen als klaren antifaschistischen Erfolg aus“, so die Gruppe.
Weitere Lesungen in Deutschland
Zeitgleich fand in der Marburger Innenstadt vor der Stadthalle eine weitere Kundgebung mit 2.500 Teilnehmer:innen statt. Aufgerufen dazu hatten die Stadt Marburg und das Netzwerk für Demokratie und gegen Rechtsextremismus. „Wir stehen hier, weil wir keine menschenfeindliche Propaganda dulden wollen und dulden werden“, so Marburgs Oberbürgermeister Thomas Spies (SPD) auf der Kundgebung.
Viel zu lange habe man verfassungsfeindlichen Aussagen Raum gegeben und weggeschaut. Jetzt müsse unmissverständlich klargestellt werden, was Grundkonsens des Gemeinwesens sei und was nicht. „Hass und Menschenfeindlichkeit sind in unserer Stadt nicht willkommen“, so Spies.
Anfang Juli hatte die Marburger Stadtverordnetenversammlung einen Beschluss gefasst, dem bis auf den AfD-Vertreter alle Stadtverordneten zustimmten. „Die Universitätsstadt Marburg missbilligt mit allem Nachdruck, dass Martin Sellner in Marburg Thesen zur Vertreibung eines Teils unserer Einwohner*innen propagieren will“, hieß es darin. Die Stadt hatte bereits im Vorfeld von Sellners Besuch ein Einreiseverbot angestrebt, war damit aber gescheitert. Zuvor hatte Sellner im April mit einem Eilantrag ein Einreiseverbot nach Deutschland verhindern können.
Der ehemalige Anführer der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich hatte im November 2023 bei einem Treffen in Potsdam seinen „Masterplan zur Remigration“ vorgestellt und dabei mit anderen Rechtsextremen die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland geplant. Das Recherchezentrum „Correctiv“ hatte im vergangenen Januar das Treffen öffentlich gemacht, woraufhin Millionen Menschen in ganz Deutschland demonstrierten. Der 35-jährige Rechtsextremist plant in dieser Woche weitere Lesungen in Deutschland, unter anderem in Saarbrücken, Pforzheim und Passau. Auch dort sind Gegendemonstrationen geplant.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen