Selenskis Verhältnis zum Armeechef: Scharmützel zur Unzeit
Armeechef Saluschnyj ist nicht der Prigoschin der Ukraine. Dennoch ist der Zwist zwischen Präsident Selenski und dem obersten Militär bedeutend.
E s ist müßig, darüber zu spekulieren, ob der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski wirklich im Begriff war, den Oberbefehlshaber der Armee, Waleri Saluschnyj, zu entlassen und auf einen Botschafterposten abzuschieben. Fakt jedoch ist: Das Verhältnis zwischen den beiden Männern ist schon länger nachhaltig beschädigt.
Dieser Erkenntnis konnte sich spätestens nach Saluschnyjs Interview mit dem britischen Economist im vergangenen November niemand mehr verschließen. Da redete der ranghöchste Militär der Ukraine Tacheles über die Situation auf dem Schlachtfeld, es fielen Worte wie Pattsituation und zermürbender Stellungskrieg. Das war nichts weniger als das Eingeständnis des Scheiterns einer Gegenoffensive, die ohnehin mit völlig überzogenen Erwartungen verbunden war.
Derzeit rätselt alle Welt darüber, was Selenski umtreibt. Eine Vermutung ist, der Präsident befürchte, Saluschnyj könnte ihm politisch gefährlich werden. Da ist etwas dran. Selenskis Zustimmungswerte sind ausbaufähig. Demgegenüber erfreut sich Saluschnyj ungebrochener Wertschätzung und Beliebtheit – aus nachvollziehbaren Gründen. Nicht zuletzt er ist dafür verantwortlich, dass die Hauptstadt Kyjiw in den ersten Kriegstagen nicht von russischen Truppen eingenommen wurde.
Dass Machtkämpfe in Kriegszeiten ausbrechen, ist nicht ungewöhnlich und per se ein positives Zeichen – vor allem, wenn sich der Blick nach Russland richtet. Dort lässt Präsident Wladimir Putin Probleme mit Widersachern bekanntermaßen auf seine Art lösen.
Dennoch kommen derartige Scharmützel in Kyjiw zur Unzeit. Aktuell sind hier Fragen der Mobilisierung ein bestimmendes Thema des öffentlichen Diskurses, in den sich auch Teile der Zivilgesellschaft zu Recht lautstark einschalten. Zudem stehen internationale Finanzhilfen für die Ukraine auf der Kippe, auch bei Waffenlieferungen hakt es. Will heißen: Es geht jetzt mehr denn je darum, Prioritäten zu setzen. Das gekränkte Ego des Präsidenten gehört nicht dazu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist